Ex-Verfassungsschützer im NSU-Prozess: „Ich glaube Dir überhaupt nicht“

Der Vater des ermordeten Halit Yozgat bezichtigte Andreas T. offen der Lüge. Was sah dieser im Internetcafé der türkischen Familie? Erneut geriet T. in Erklärungsnot.

Hier musste Halit Yozgat sterben: der elterliche Laden in der Holländischen Straße in Kassel Bild: imago/Florian Schuh

MÜNCHEN dpa | Im NSU-Prozess hat der Vater des ermordeten Halit Yozgat einen ehemaligen Verfassungsschützer offen der Lüge bezichtigt – und die Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit weiter genährt. „Es tut mir leid, T., aber ich glaube dir überhaupt nicht“, sagte Ismail Yozgat am Dienstag vor dem Münchner Oberlandesgericht zu Andreas T. T. saß 2006 während des Mordes an Halit Yozgat im hinteren Raum von dessen Internetcafé in Kassel. Er behauptet aber bis heute, von der Tat, die den Rechtsterroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zugeschrieben wird, nichts mitbekommen und den Getöteten nicht gesehen zu haben – was ihm Ismail Yozgat nicht abnimmt.

T.'s Rolle und seine Anwesenheit in dem Internetcafé wirft ohnehin viele Fragezeichen auf – zumal er sich nach der Tat damals nicht als Zeuge gemeldet hatte. Ermittlungen gegen ihn wurden allerdings eingestellt. Die Bundesanwaltschaft geht nicht davon aus, dass er mit dem Mord selbst etwas zu tun hatte.

Ismail Yozgat, der Nebenkläger im NSU-Prozess ist, befragte T. am Dienstag direkt - und brachte ihn mehrfach in Erklärungsnot. Ob der Verfassungsschützer Halit nicht hätte sehen müssen – weil er doch gewusst habe, wo Halit normalerweise saß, weil er also genau wusste, wo er ihn suchen musste. Ob er denn die Blutstropfen auf dem Tresen nicht gesehen habe, als er dort die 50 Cent für die Internbenutzung hinlegte. Und ob er wirklich nicht gesehen habe, dass hinter dem Tresen sein tödlich verletzter Sohn lag. „Ich habe ihn nicht gesehen“, entgegnete T., „ich weiß, dass ich ihn nicht gesehen habe.“

Zweimal Kaffee angeboten

Yozgat zog zudem Aussagen des Ex-Verfassungsschützers in dessen vorangegangenen Befragungen in Zweifel. Da hatte T. etwa angegeben, immer nur kurz in dem Internetcafé gewesen zu sein. „Haben Sie das vergessen, dass Sie oft zwei Stunden geblieben sind, dass ich Ihnen zweimal Kaffee angeboten habe – ohne Geld“, fragte der Vater, dessen Worte von einem Dolmetscher übersetzt wurden.

Einmal sei T. mit einer Frau da gewesen, beiden habe er Kaffee angeboten. T. entgegnete, an einen Besuch mit einer Frau könne er sich nicht erinnern, und „auf keinen Fall“ sei er regelmäßig zwei Stunden dort gewesen. „Ich war zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich lange dort“, sagte er nur.

Yozgats Anwälte meldeten ebenfalls neue Zweifel an T.'s Rolle an. Sie stellten mehrere Beweisanträge, um aufzeigen zu können, dass T. „über exklusives Täter- oder Tatwissen“ verfügt haben müsse. T. habe die Information, dass es sich bei dem Mord um das Werk von Serientätern handle, damals schon zu einem Zeitpunkt weitergegeben, als diese noch gar nicht über Medien öffentlich verbreitet war, argumentierten sie.

Viel Fleiß in den Bombenbau investiert

Ein Sachverständiger des Thüringer Landeskriminalamts sagte am Dienstag aus, dass die 1998 in Jena gefundenen Rohrbomben der späteren mutmaßlichen NSU-Terroristen nicht funktionsfähig gewesen seien. Es sei aber viel Arbeit und Fleiß in deren Bau investiert worden.

Die aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bestehende Gruppe besorgte sich demnach damals den Sprengstoff TNT, schaffte es aber nicht, daraus eine gefährliche Bombe zu bauen. Es fehlten sowohl Zündvorrichtungen als auch Hilfsmittel zum Zünden des TNT. „Entweder sie hatten nicht das nötige Wissen oder nicht das nötige Material – aber sie haben Fleiß investiert“, sagte der Zeuge.

Nach dem Auffliegen ihrer Bombenwerkstatt waren die drei Neonazis in den Untergrund gegangen. Ihnen werden unter anderem zehn Morde zur Last gelegt, darunter neun an Geschäftsleuten ausländischer Herkunft. Zschäpe ist als Mittäterin an allen Taten des NSU angeklagt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.