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Exil in NorddeutschlandJesiden in Angst

Im Nordirak droht ein Genozid an den Jesiden. Viele aus der kurdischen Minderheit leben in Norddeutschland. Auch hier haben sie Angst vor Islamisten.

Seit Tagen demonstrieren Jesiden in deutschen Städten gegen den drohenden Genozid im Nordirak. Bild: dpa

BREMEN/OLDENBURG taz | Bajazid (Name geändert) sitzt hinter seinen zwei Neffen im Auto. Alle drei sind Jesiden aus Syrien. Aus Bremen haben sie sich am Sonntag auf den Weg nach Oldenburg gemacht, um sich mit Verwandten zu treffen. Seit die Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) im Nordirak einmarschiert sind und das dortige jesidische Zentrum, die Stadt Shengal, eingenommen haben, sind zehntausende Jesiden auf der Flucht. Etliche sind in die kurdisch kontrollierten Gebiete in Syrien geflohen und wurden dort von Verwandten aufgenommen. Die brauchen nun Hilfe. Darum soll es bei dem Treffen in Oldenburg gehen.

„Schon 74 Mal wurde versucht, uns auszulöschen“, sagt Bajazid, „meistens von Muslimen.“ Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Sie glauben an einen Gott und sieben Engel, für die Islamisten gelten sie als „Teufelsanbeter“. Die Fluchtgeschichte der Jesiden ist lang: einige sind bereits vor zwanzig Jahren geflohen, viele sind in den letzten drei Jahren im Zuge des syrischen Bürgerkrieges nach Deutschland gekommen, vor allem nach Niedersachsen. Ihr Zentralrat in Deutschland sitzt in Oldenburg.

Telim Tolan, der Vorsitzende des Zentralrates, verschickt von hier aus seine Pressemitteilungen. Er spricht von einem „Genozid“ und bittet die Staatengemeinschaft um Hilfe – um Waffen für die jesidischen Kämpfer, Hilfsgüter und einen unbürokratischen Umgang der EU mit Flüchtlingen. Auch Kamal Sido, Nahost-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen, spricht von einer „systematische Vertreibung eines Volkes“: „Sie verlieren ihre Heiligtümer und ihre Häuser.“ Nach einer fortschreitenden Zwangsislamisierung sei das Gebiet um Shengal das letzte gewesen, in dem die Jesiden noch unter sich gelebt hätten. Sido fordert eine militärische Offensive: „Das Shengal-Gebirge muss befreit werden.“

Vor dem Gemeindezentrum in Oldenburg stehen einige junge Männer und rauchen. Dass die USA nun Stellungen des IS im Nordirak bombardieren sei gut, sagt Bajazid, „sehr gut“. Nicht alle sehen das so. „Die USA bombardieren nur Stellungen rund um Erbil, wo sie ihre Basis haben“, sagt etwa Bajazids Schwager. Das helfe den Jesiden wenig.

Jesiden in Deutschland

Die Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Sie stammen aus dem Irak, Syrien, der Türkei und dem Iran und leben vor allem in der Gegend um die nordirakische Stadt Mossul und im nahe gelegenen Sindschar-Gebirge. Wegen ihrer Verfolgung sind viele Anhänger ins Ausland geflohen.

Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland hat seinen Sitz in Oldenburg, in Hannover gibt es eine Jesidische Akademie.

Weltweit gibt es deren Schätzung nach bis zu 1.2 Millionen Jesiden.

In Deutschland ist die größte Exil-Gemeinschaft, mit bis zu 120.000 Jesiden, überwiegend in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Jesiden wohnen vor allem in Celle, im Raum Hannover, Oldenburg, Verden und im Raum Göttingen-Northeim. Weitere Schwerpunkte liegen in Ostwestfalen.

Einer der Umstehenden holt sein Handy heraus. Er öffnet ein Video, zu sehen ist, wie bewaffnete IS-Kämpfer Menschen aus einem Haus auf ein Feld treiben. Kurz ist das Logo des „Islamischen Staates“ eingeblendet. Dann sieht man, wie die Islamisten die unbewaffneten Menschen mit Maschinengewehren erschießen, einen nach dem anderen. Solche IS-Propagandavideos kennen alle hier. Die Schrecken, die die Kämpfer des IS in Syrien und Nordirak verbreiten, sind für sie nicht nur eine Nachricht in der Tagesschau. Bajazid und seine Familie hören am Telefon die Berichte ihrer Verwandten. Es gebe „Vergewaltigungen, Ermordungen, Enthauptungen von Kindern“, sagen die Umstehenden. Manche haben von Onkeln, Schwestern, Brüdern seit Tagen nichts mehr gehört. Sie haben Angst – nicht nur um ihre Verwandten im Nordirak. „Ich fürchte, dass sich der Konflikt in Deutschland fortsetzt“, sagt Bajazid.

In Herford kam es vor ein paar Tagen zu einem Angriff auf eine jesidische Demonstration, vermutlich von Salafisten. Es gab Verletze. Bajazid sorgt sich vor allem um die Jungen: „Es ist gefährlich für sie, wenn sie davon sprechen, dass sie Jesiden sind.“ Nach ihrer Flucht nach Deutschland würden manche Jesiden in den Flüchtlingsheimen mit Islamisten auf einem Zimmer untergebracht. „Das geht nicht gut, ein großes Problem“, sagt Bajazid.

Die Nerven in der Community liegen blank. Als die Versammlung von Bajazid und etwa 50 anderen Familienvertretern in dem Gemeindezentrum beginnt, geht es zu Beginn um das eigene Verhalten. „Die Jesiden haben einen guten Ruf, den dürfen wir nicht verlieren“, sagt der erste Redner. In Bremen soll bereits ein junger Jeside auf einen Islamisten losgegangen sein. In Hannover, so berichteten es mehrere Medien, sei es nach einer Demonstration zu einem Sturm von Jesiden auf eine Polizeiwache gekommen. Angeblich ging es um eine Zwangsheirat einer Jesidin mit einem Salafisten. Laut Polizeidirektion Hannover allerdings kam es weder zu einem „Sturm“ noch sei der Hintergrund politischer Natur. Vielmehr sei es ein innerfamiliärer Streit gewesen. Der Freund der jungen Frau war laut Polizei kein Jeside, was in der Glaubensgemeinschaft nicht erlaubt ist. Salafist aber war er auch nicht.

Dennoch: Die Polizei ist sich der Feindschaft der Salafisten gegen die Jesiden bewusst. Aus dem niedersächsischen Innenministerium heißt es: Im Zusammenhang mit den internationalen Konflikten sei „feststellbar, dass die Thematisierung der Konflikte auch zunehmend in Deutschland und damit auch in Niedersachsen stattfindet“. Es müssten „veranstaltungstypische Straftaten einkalkuliert werden“. Und: „Aufgrund der hohen Emotionalität ist auch mit Übergriffen von Einzeltätern zu rechnen.“ In Bremen und Hamburg hingegen ist dieser Konflikt bislang kein Thema gewesen, steht aber ebenso unter Beobachtung der Polizei.

In dem Saal im Gemeindezentrum drängen sich die Männer um einen Tisch. Jeder wirft Geldscheine hin. 3.000 Euro für die Flüchtlinge in Syrien kommen schließlich zusammen. „Wir sind Flüchtlinge und spenden nun selbst für Flüchtlinge“, sagt Bajazids Neffe und lacht.

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