: Abendländische Urangst
Allen Toleranzbekundungen zum Trotz: Das neueste christdemokratische Papier zur Homo-Ehe zeigt, dass die „CDU 2000“ Homosexualität nach wie vor eindämmen will
Eines hat der rot-grüne Gesetzentwurf zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft bereits erreicht: Die CDU ist in Schwulitäten. Junge Schwule in der Union pochen auf ihr Recht. Prominente aus der zweiten Reihe kritisieren öffentlich die harte Haltung der Parteiführung. Die wiederum weiß nicht so genau, ob sie nun eine Kampagne gegen die „Homo-Ehe“ führt oder nicht.
Die Union tastet sich zentimeterweise an die Wirklichkeit heran. Bislang hatte sie jede noch so kleine rechtliche Anerkennung kategorisch abgelehnt. Neuerdings ist die CDU offiziell an fünf Punkten bereit, gesetzliche Änderungen zugunsten von Homo-Partnerschaften vorzunehmen: Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht, Besuchsrecht im Knast, Auskunftsrecht im Krankenhaus, Eintritt in den Mietvertrag beim Tod des Partners, Teilhabe an der Totensorge. So stellt sich also der Homosexuelle im christdemokratischen Weltbild dar: als Verbrecher, als Kranker oder als Toter. Glückliche Schwule und Lesben, die Rechtssicherheit nicht nur für das Sterben, sondern vor allem für das Leben in einer Partnerschaft möchten, sind hier nicht vorgesehen.
In ihrem ungeklärten Verhältnis zur Homosexualität befindet sich die CDU heute in einer Situation, die viele Ähnlichkeiten mit den 60-Jahren aufweist. Damals hatte die Union zögerlich begonnen, von der strafrechtlichen Verfolgung „homosexueller Unzucht“ abzurücken. 1962 legte das letzte Kabinett Adenauer einen Gesetzentwurf für eine große Strafrechtsreform vor. Darin wurde zum Schutz der „natürlichen Lebensordnung“ zwar grundsätzlich an der Strafbarkeit der Homosexualität festgehalten. Erstmals wurde aber auch eingeräumt, dass die Strafverfolgung für Menschen, die „auf Grund ihrer Veranlagung mit dem gleichgeschlechtlichen Trieb behaftet“ sind, „eine Härte“ darstellt. Deshalb wollte man ein Schlupfloch eröffnen. Nicht mehr alle „unzüchtigen“ homosexuellen Handlungen sollten strafbar sein, sondern nur noch so genannte „beischlafähnliche“.
Eine ähnliche Position bezieht die CDU heute zu Homo-Paaren. Grundsätzlich rechtlos halten, aber einige Milderungen einführen – das ist die Kernaussage eines umfänglichen Thesenpapiers aus der Feder des Vizevorsitzenden der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach. Vergleicht man das Papier mit dem Adenauer-Gesetzentwurf, findet man frappierende Parallelen: „Der Weg zum Standesamt für homosexuelle Paare kommt für die Union nicht in Betracht. Der damit erweckte Anschein eines eheähnlichen Rechtsinstituts ... muss vermieden werden“, schreibt Bosbach. Schon die Adenauer-Regierung hatte gewarnt: Bei Straffreiheit „stände auch für die Homosexuellen nichts im Wege, ihre nähere Umgebung durch Zusammenleben in eheähnlichen Verhältnissen zu belästigen“.
1962 wurde die „unmittelbare Nachahmung des natürlichen Beischlafs“ durch Homosexuelle als „besonders anstößig“ und strafwürdig eingestuft. Bosbach wettert heute gegen ein „die Ehe unter anderer Bezeichnung imitierendes Rechtsinstitut“. Offenkundig bereitet es gestandenen Christdemokraten bis heute regelrechtes körperliches Unbehagen, wenn sie sich von Homos „nachgeahmt“ oder „imitiert“ wähnen. Zu Adenauers Zeiten sah man in „einer Freigabe gleichgeschlechtlicher Unzucht unter erwachsenen Männern“ eine große Bedrohung für kasernierte Polizei und Bundeswehr. Genauso hält es Bosbach: „Homosexuell lebende Menschen sollten weiterhin in den Streitkräften nicht als Vorgesetzte eingesetzt werden.“
„Ausgeprägter als in anderen Bereichen“, so die Kernbotschaft von 1962, „hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, ... einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde.“ Das „zu erwartende stärkere Hervortreten homosexueller Werbung und Betätigung in der Öffentlichkeit würde vor allem jüngere Menschen in den Bann“ ziehen. Kaum zu fassen, dass Bosbach das gleiche Argument gegen die Lebenspartnerschaft ins Feld führt: „Angesichts der wissenschaftlich ungeklärten Ursachen der Homosexualität und in Hinblick auf Menschen mit bisexueller Orientierung und auf Jugendliche“ sei „zu bedenken, dass eine demonstrative rechtliche Gleichstellung auf Verhaltensdispositionen zurückwirken und gegenwärtig unabsehbare soziale, kulturelle und psychologische Folgewirkungen haben könnte“. Weniger verschwurbelt ausgedrückt: Als gutem Urenkel Adenauers graut ihm davor, dass Homosexualität um sich greifen und gefährdete Personen wie Bisexuelle und Jugendliche unrettbar ans andere Ufer ziehen könnte. Eine ebenso absurde wie amüsante Fantasie – setzt sie doch voraus, dass man der Homosexualität eine besondere magische Anziehungskraft und Attraktivität zuschreibt.
Großes Vertrauen kann die CDU in ihr Leitbild von Ehe und Familie nicht haben, wenn sie eine Massenflucht ins homosexuelle Lager befürchtet. Natürlich wird keine Ehe weniger geschlossen, wenn die Eingetragene Partnerschaft kommt. Natürlich ist sie keine Konkurrenz zur Familie, sondern lediglich eine Ergänzung unseres Rechtssystems. Aber anscheinend haben wir es hier mit einer abendländischen Urangst zu tun. Da setzt rationales Denken einfach aus. Ebenso sind Bosbachs Bekenntnisse zur „weitestgehende(n) Freiheit in der privaten Lebensgestaltung“ flugs hintenangestellt. Auch die CDU 2000 will immer noch – sicher ist sicher – Homosexualität eindämmen.
Allen Toleranz- und Liberalitätsbekundungen zum Trotz wird hier deutlich: Einen wirklich aufgeklärten und demokratischen Standpunkt zum Phänomen der Homosexualität hat die CDU bis heute nicht entwickeln können. Das sollte uns für die Zukunft dennoch nicht allzu pessimistisch stimmen. Christdemokraten ist es schon häufig gelungen, sich ebenso stillschweigend wie pragmatisch mit Entwicklungen zu arrangieren, die sie nicht verhindern konnten. Auch der Entwurf von 1962 wurde nie Gesetz. 1969 hat die Union vielmehr in der großen Koalition die Entkriminalisierung der Homosexualität unter Erwachsenen klaglos mitgetragen. Und ihre Schwesterparteien in Skandinavien haben nach anfänglicher heftiger Ablehnung längst ihren Frieden mit der Eingetragenen Partnerschaft gemacht.
Auch die CDU beginnt sich zu zivilisieren. Mit Sexverboten hat sie längst nichts mehr am Hut. Sie begnügt sich heute damit, Homosexuellen das Zusammenleben als Paar von Staats wegen möglichst schwer zu machen. Als Sexualwesen hat sie Schwule und Lesben akzeptiert, als Sozialwesen bislang nicht. „Mitten im Leben“ ist die CDU damit freilich noch lange nicht, sondern weiterhin ziemlich daneben.
GÜNTER DWOREK
Hinweise:Die CDU 2000 glaubt, die Homo-Ehe könnte gefährdete Personen unrettbar ans andere Ufer ziehenGroßes Vertrauen in ihr Leitbild von Ehe und Familie können die Christdemokraten nicht haben
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