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Debatte um VerteidigungsbudgetHurra, wir rüsten wieder!

Im Krisen- und Kriegsgetöse gehen kritische Stimmen unter. Dabei gilt es gerade jetzt, die echten Bedrohungen zu bearbeiten.

Mit Pauken und Trompeten aufrüsten: ein Skandal, weil andere Prioritäten, wie die Energiewende, zurückgestuft werden Foto: Michael Bihlmayer/imago

E s geht wieder los. Das Raunen. Das Diffuse. Ein Frühnebel, der sich bis zum Abend nicht lichtet. Ängste schüren, Bedrohungen an noch zu errichtende Mauern malen. Und lautstark mit einer simplen Lösung hausieren gehen, dem Allheilmittel seit tausend Jahren: Aufrüsten! Koste es, was es wolle. Whatever it takes. In einer Zeitung steht, bei Verteidigung müsse man vom schlimmstmöglichen Fall ausgehen. So hört es sich an, wenn Versicherungsvertreter Amok laufen.

Wir haben keine Zeit, nicht einmal um nachzudenken. Jeder Kommentar beschwört „Wochen der Wahrheit“, „Schicksalstage“. Wir müssen stark werden, zu einer militärischen Macht reifen. Bevor es zu spät ist. Quasi sofort. Wenn die letzte Stunde droht, schlägt die Stunde apokalyptischer Apodiktik. Wer zweifelt, begeht Verrat. An den europäischen Werten, an der Zukunft! Die Sprache ein einziger Exerzierplatz. „Die Einschläge kommen nicht mehr näher. Sie detonieren bereits mitten unter uns.“

Das schreibt kein Ukrainer, sondern der Berliner Max Haerder in feinem Zwirn. Der sogleich Winston Churchill zitiert: „Sie fragen, was unser Ziel ist? Ich kann mit einem Wort antworten: Es ist der Sieg, […] wie lang und hart der Weg auch sein mag; denn ohne Sieg gibt es kein Überleben.“ Diese Heldenverehrung aus der Wirtschaftswoche sind Fausthiebe in die Fresse des Reflektierens. Aber wenn inmitten von Getöse und Geklirre ein kritischer Gedanke noch möglich ist: Was oder wer bedroht uns?

Ist doch klar, schreit es einem entgegen: Russland! Ohne die USA sind wir verloren! Nun denn, ein Vergleich der Stärken und Schwächen tut not. Die europäischen Nato-Staaten verfügen über eine erheblich größere Wirtschaftsleistung als Russland, dessen BIP niedriger ist als das Italiens. Die europäischen Nato-Mitglieder investieren etwa 420 Milliarden US-Dollar in ihre Verteidigung, während Russland nur rund 300 Milliarden US-Dollar ausgibt, etwa ein Drittel seines gesamten Staatshaushalts, was langfristig untragbar ist.

Ilija Trojanow

ist Schriftsteller und Autor mehrerer Bücher. 2023 ist sein aktueller Roman „Tausend und ein Morgen“ bei S. Fischer erschienen und druckfrisch im Handel: „Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt“ im Verlag Andere Bibliothek.

Nato hat auch ohne USA wenige Defizite

Zudem ist die Nato auch ohne die USA in fast allen militärischen Schlüsselparametern überlegen: Laut Statista hatte die Nato 2025 etwa 3,44 Millionen Soldaten. Zieht man die US-Truppen ab, bleiben 2,14 Millionen aktive Soldaten übrig, während Russlands 1,2 Millionen Soldaten mehrheitlich im Ukrainekrieg gebunden sind. Bei Kampfpanzern stehen mehr als 6.000 europäische Panzer ungefähr 2.000 russischen gegenüber. Die europäischen Nato-Partner verfügen über 2.073 Kampfflugzeuge, Russland hingegen nur über 1.026.

Bei Artilleriesystemen haben die europäischen Nato-Staaten 15.399 Systeme, während Russland 5.399 besitzt. Und bei Atomwaffen herrscht ein strategisches Gleichgewicht. Laut Experten gibt es überschaubare Defizite: supranationale Integration, Kommandozentren und Führungssysteme zur effektiven Koordination sowie mehr Aufklärung seien nötig. Mehr europäische Integration also, weniger nationale Alleingänge.

Selten vernimmt man eine nüchterne Einschätzung der Gefahr: „Das Risiko einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland bleibt gering, genauso das Risiko eines nuklearen Austausches.“ So die in Wien tätige Politologin Velina Tschakarova. Zudem liegt Russlands Stärke momentan vor allem bei wirtschaftlicher Erpressung hinsichtlich Rohstoffen sowie bei politischer Einmischung durch Desinformation.

Beides können wir abwehren, indem wir uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen und den Chaos Computer Club großzügig unterstützen. Hackers for freedom – klingt besser, kostet weniger. Doch alle nachdenklichen Töne werden überschallt von Fanfaren und Trompeten. Wie begreifen wir Sicherheit? Der jetzige Fokus ignoriert Bedrohungen, die nicht mit Grenzen und Drohnen eingedämmt werden können. An erster Stelle das Klima und die anderen ökologischen Krisen.

Einer spekulativen Bedrohung – Russlands potenzieller Angriff auf die Nato – wird mehr Bedeutung beigemessen als einer wissenschaftlich erwiesenen: der Klimakrise! Die Bundeswehr sei wehrunfähig und kriegsuntüchtig, die Soldaten hätten keine Helme, die Geschütze keine Munition. Wenn das stimmt, dann sollten wir uns fragen, wer dafür verantwortlich ist. Denn die Bundesrepublik steckt seit Jahren Unsummen in die Verteidigung und hat zusätzlich ein Sondervermögen von 100 Milliarden bereitgestellt.

Der weltweite Waffenhandel ist so korrupt wie profitabel

Wenn solche Summen keine Selbstverteidigung garantieren, sollten wir das Ministerium, die Bürokratie und die Militärindustrie überprüfen und statt Churchill Eisenhower zitieren, dessen Warnung vor dem militärisch-industriellen Komplex schmerzhaft aktuell ist. Mit Kriegsausgaben von über 2,2 Billionen Dollar im Jahr 2022 ist der weltweite Waffenhandel so rechtlos und korrupt wie profitabel. Wenn etwas alternativlos ist, muss alles diesem Ziel unterworfen werden.

Um die Demokratie zu schützen, opfern wir sie, wenn etwa die größte Partei eine Woche nach den Wahlen das eigene Programm über den Haufen wirft. Die CDU verklagte die Ampel wegen 60 Milliarden Euro neuer Schulden, jetzt will sie eine Billion anschreiben! Die Aufrüstung ist auch ein Skandal, weil andere Prioritäten, sei es die Energiewende oder die soziale Gerechtigkeit, zurückgestuft werden. Wie vernünftig ist massive Aufrüstung in Zeiten eines wachsenden Nationalismus?

Wie wahrscheinlich ist es, dass eine mächtige Armee wie ein Bodybuilder die gut eingeölten Muskeln nur spielen lässt, oder wird die Idee nationaler Größe nicht bald schon suggerieren, dass man an den heiligen Außengrenzen mal wieder schießen sollte, wenn sich perfide Flüchtlinge heranpirschen? Und wie lange dauert es, bis die Idee des Expansionismus wieder greift? Ein wenig Grönland, ein wenig Panama steht auf jedem nationalen Menü. Die Stalaktiten des wirtschaftlichen Interesses verzahnen sich mit den Stalagmiten der militärischen Stärke zu einem Raubtiergrinsen. Davor sollten wir uns wahrlich fürchten.

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10 Kommentare

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  • Danke …anschließe mich •

    Als einer*45 der mit “Alle Wege führen nach Moskau“ - “Wer war Herbert Frahm?“- “In 24 Stunden steht der Russe am Rhein!“



    & ganz real - mit 🪖 als Z2-🐷 66/68



    An ner Baugrube für Atomminen des frech geleugneten sog Trettnergürtels - stolz vorgeführt stand!



    www.ifz-muenchen.d...1_4_7_pommerin.pdf

    www.spiegel.de/pol...-0000-000046168971



    “Den Befehl zum Zünden gibt der Kommandeur der im Raum südlich Hamburg kämpfenden



    Bw -Division, als die Spitzen eines über die Zonengrenze vorgedrungenen russischen Panzerverbandes die Autobahn Hannover-Hamburg erreichen.



    Drei Stunden zuvor hat der amerikanische Präsident auf Anforderung des Nato-Oberbefehlshabers in Europa den Einsatz nuklearer Gefechtsfeldwaffen einschließlich Atom-Minen für den Fall freigegeben, daß die feindlichen Kräfte mit konventionellen Mitteln nicht aufgehalten werden können. Darauf haben amerikanische Soldaten die atomaren Sprengkörper mit Hubschraubern aus ihren Depots zu den vorher festgelegten Sprengstellen gebracht und gemeinsam mit deutschen Pionieren verlegt.“

    Das alles vor der Folie Wiederbewaffnung!



    Graust‘s •

  • "Und bei Atomwaffen herrscht ein strategisches Gleichgewicht."

    Wusste gar nicht, dass die EU-Nato 5.500 Atomwaffen hat, oder bezieht sich das darauf, dass man an dieser Stelle die USA, nachdem lang und breit die EU-Nato aufgezählt wurde, die USA wieder mitzählt? ->

    "Zudem ist die Nato auch ohne die USA in fast allen militärischen Schlüsselparametern überlegen"

    "Die Bundeswehr sei wehrunfähig und kriegsuntüchtig, die Soldaten hätten keine Helme, die Geschütze keine Munition. "

    Und das u.a. sind die Probleme warum man die Armee zu einem Zustand bringen sollte, das sie sich auch wehren kann. Man kann viele Zahlen aufzählen, welche Armee die "größte" ist, wenn man am Ende das Zeug nicht im Verteidigungsfall nutzen kann, hat man sich nur hinter einem Papiertiger versteckt.

    "Um die Demokratie zu schützen, opfern wir sie, wenn etwa die größte Partei eine Woche nach den Wahlen das eigene Programm über den Haufen wirft."

    Das ist das Problem in einer Koalition: Man muss Kompromisse mit seinen Partner finden, wer weiß wie viel aus eigenantrieb und wie viel von der SPD gewollt ist.



    Wenn jemand, keine Kompromisse bei Verhandlungen will, eher bei dem sehe ich die Demokratie in Gefahr.

  • Meine Güte, Herr Trojanow, wie kommen Sie denn darauf, das derzeitige Psycho-Klima durch das Aufzählen von Fakten zu stören?



    Wir haben hier eine Meinung, wer braucht denn da noch Fakten?



    (Ironie wieder aus)



    Danke für den Artikel.

  • Die Zahlen sprechen für sich. Keine Frage. Die Bereitschaft diese Überlegenheit aber auch schlagkräftig einzusetzen, sehe ich in der EU aber nicht. Was passiert, wenn dieses Russland an der Suwalki Lücke zündelt?

  • 1. "Ein wenig Grönland, ein wenig Panama steht auf jedem nationalen Menü." Ja eben weil sie klein und nicht wehrhaft sind.

    2. Europa ist ja eben nicht einig. Es stünden dann 2.000 russische Panzer gegen 300 deutsche (ohne Munition).

    3. 1940 hat die Wehrmacht ein auf dem Papier zahlenmäßig und waffentechnisch überlegenes Frankreich angegriffen. Dummerweise war dessen Armee organisatorisch und strategisch nicht auf der Höhe der Zeit. Gerade an solchen "Kleinigkeiten" wie "Integration, Kommandozentren und Führungssysteme zur effektiven Koordination sowie mehr Aufklärung" (Ihre Worte) sowie der Moral hatte es gehapert.

    Das gleiche sehen wir heute. Die Bundeswehr ist dysfunktional und die Deutschen würden auch gar nicht nicht kämpfen wollen. Die Bundeswehr hat verlernt eigenständig im großen Maßstab zu operieren. Kann sie überhaupt 50.000 Mann mobilisieren und von A nach B verlegen?

    Die russische Armee hat nun Erfahrung im Drohnenkrieg. Und bewaffnete Drohnen alleine könnten die Bundeswehr paralysieren. Wir haben weder eigene noch Mittel gegen sie.

    Der grds. Denkfehler ist aber dass sie annehmen, Russland müsste groß angelegt Krieg führen. Sie haben doch Stellvertreter hier.

  • Wer nur auf die Ausgaben Russlands schaut, vergisst, dass Russland schon jetzt ein viel gewaltigeres Arsenal hat als die NATO-Staaten in Europa, inklusive der Waffen, die die USA dort stationiert haben. Im Übrigen führt Russland bereits Krieg gegen uns, nur eben unterhalb der Schwelle dessen, was völkerrechtlich gesehen eindeutig Krieg ist:



    www.bundestag.de/r...gen-den-Westen.pdf

  • "Wie wahrscheinlich ist es, dass eine mächtige Armee wie ein Bodybuilder die gut eingeölten Muskeln nur spielen lässt..."

    Kann sein. Kann aber auch nicht sein.



    Niemand weiß es.

    Eine gewisse Sahra W. meinte noch kurz vor Russlands Invasion in die Ukraine, dass Putin ja wohl nicht ganz bescheuert sei. Augenscheinlich hat sie sich geirrt. D.h., ob eine Gefahr von Russland ausgeht oder nicht, weiß niemand. Spekulationen hierüber sind nichts anderes als eine Wette.

    Die vom Autor genannten Rüstungszahlen konzentrieren sich v.a. auf zwei Länder: Allen voran die Türkei und dann noch Griechenland. Da stellt sich die Frage, ob wir sicherheitspolitische Belange Europas vom Wohlwollen Erdogans abhängig machen wollen.

    Außerdem gibt es sehr wohl starke Defizite im Deutschen und auch Europäischen Militär: Luftabwehr und Drohnen.

    Klar ist es sehr schade und traurig, wenn wir Geld in Rüstung stecken, das eigentlich an anderer Stelle gebraucht wird: Bildung, Infrastruktur, Kultur, etc...

    Das Glück, dass wir in Europa seit dem zweiten Weltkrieg relativ friedlich leben, hängt - ob wir wollen oder nicht - auch mit der abschreckenden Wirkung von Waffen zusammen.

  • Mit kritischen Stimmen zum Thema "wie können wir die Boni und Dividenden der Rüstungsindustrie noch mehr steigern" ist dieser Artikel quasi ein unique selling point in den Medien. Danke dafür!

    Als Anschlussartikel könnte ich mir eine Recherche vorstellen, wie effizient die 12.000 MiatarbeiterInnen der Bundeswehrbeschaffungsbehörde arbeiten. Oder über Beraterverträge. Oder einfach gleich über die Gewinne der Rüstungskonzerne, die ja im Prinzip jeden Preis nennen können. Der Steuerzahler zahlt.



    Zahlenmäßig wäre zum Bsp. interessant, wie viele Leopard II bezahlen wir eigentlich wenn wir 10 kaufen? Mein Bauchgefühl sagt: ca. 12. Das wird allerdings schierig werden, denn die Rüstungsindustrie legt die Kosten nicht offen.



    Ach ja? Wie kann das sein bei kritischer Infrastruktur des Staates? Gäbe es da nicht wenigstens eine Pflicht zur Kostentransparenz?



    Wie kann es eigentlich sein, dass eine so wichtige Industrie in Privathand ist?



    Ihr seht: jede Menge Artikel, die man darüber schreiben kann.

  • "Die Stalaktiten des wirtschaftlichen Interesses verzahnen sich mit den Stalagmiten der militärischen Stärke zu einem Raubtiergrinsen."



    Des Gleichnis ist ne sehr gewagte Interpretation geologischer Phänomene, ansonsten geh ich mit@ Ilja Trojanow. Warum des alles so wahnsinnig teuer ist, liegt ned unbedingt an Rheinmetall oder Airbus sondern an den Anforderungen der Politik/Armee incl. der gewünschten Überlebenswahrscheinlichkeiten der Bediener*innen. Leopardpanzer oder auch die Marder usw. werden wie ein englischer Roadster inner Manufaktur zusammengebastelt, evtl. ist da Masse statt Klasse als Bedrohungspotential besser.



    Ich denke aber auch, daß es in der NATO minus Trump/Musk genug Leute und theoretisch auch Krempel gibt, mensch sollte des halt in der Kommunikation miteinander und ggü. dem Aggressor (Rußland) auch so rüberbringen.

  • Gültiger Punkt. Nicht so sehr viel Geld, sondern Umsetzung, Effizienz und europäische Kooperation sind wichtig. Der Rheinmetall-Kurs muss wieder sinken. Dass ein trainiertes Heer wie Russlands gerade vielleicht durchaus mal eben das Ex-Sowjet-Baltikum einnehmen könnte, will ich dabei nicht verkennen.



    Kein diffuser denkverkürzender "Der Russe"-Reflex dabei, sondern konkret dem Putin-Regime ein paar Schritte voraus sein. Und Klima, Innovation, etc. jetzt nicht wegdrücken, sondern mit gebotener Kraft angehen.