Kampf gegen Klimawandel: Ohne China geht es nicht
China ist der weltweit größte Treibhausgas-Emittent – und Vorreiter in Sachen grüne Technologie. Es braucht ein euro-chinesisches Klimaabkommen.

Ü ber Chinas Rolle im Klimawandel kursieren zwei gegensätzliche Erzählungen. Die eine besagt, dass China als größter Emittent von Treibhausgasen immer mehr Kohlekraftwerke baut. Die andere hebt hervor, dass das Land führend in der Entwicklung grüner Technologien ist, die es der Welt ermöglichen, ihre Volkswirtschaften deutlich günstiger zu dekarbonisieren als noch vor wenigen Jahren.
Beides ist richtig – und die Politik in China wie auch weltweit muss dieser doppelten Realität Rechnung tragen. 2022 lagen Chinas Emissionen bei 15,7 Gigatonnen, weit über den sechs Gigatonnen der USA und den 3,6 Gigatonnen der EU. Auch wenn diese Zahlen Chinas größere Bevölkerung widerspiegeln, liegen die Emissionen pro Kopf mit elf Tonnen deutlich über jenen der EU (8,1 Tonnen) und des Vereinigten Königreichs (6,3 Tonnen). Beide Letzteren sind zudem auf gutem Weg, ihre Emissionen bis 2040 auf unter zwei Tonnen pro Kopf zu senken.
China hat zugesagt, seine Emissionen spätestens 2030 zu senken und bis 2060 klimaneutral zu werden. Dennoch könnten sich seine kumulierten CO₂-Emissionen bis dahin auf rund 250 Gigatonnen summieren – gegenüber 4,5 Gigatonnen im Vereinigten Königreich und 45 Gigatonnen in der EU. Diese 250 Gigatonnen würden einen Großteil des verbleibenden globalen „Kohlenstoffbudgets“ aufbrauchen, das notwendig ist, um die Erderwärmung – wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart – auf „deutlich unter 2 °C“ zu begrenzen. Damit hängt die globale Temperaturentwicklung bis 2100 in hohem Maße von Chinas Kurs ab – und weit weniger von der EU oder Großbritannien.
Etwa 5,9 Gigatonnen der jährlichen chinesischen Emissionen stammen aus einem noch immer stark kohleabhängigen Energiesystem. China plant, bis 2029 weitere 280 Gigawatt Kohlekraftwerkskapazität zu installieren. Hinzu kommen hohe Emissionen aus der Stahl- und Zementindustrie, die über 50 Prozent des weltweiten Ausstoßes in diesen Sektoren verursachen – auch wenn sie mit dem Rückgang der Bautätigkeit leicht sinken.
China könnte ein Segen für die Menschheit sein
Gleichzeitig ist China weltweit führend bei fünf Schlüsseltechnologien der Energiewende: Photovoltaik, Windkraft, Batterien, Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen. Ihr Einsatz kann drei Viertel des globalen Verbrauchs fossiler Brennstoffe ersetzen. Elektroautos machen in China inzwischen fast die Hälfte aller Pkw-Verkäufe aus – in der EU sind es 23 Prozent.
2024 installierte China rund 400 Gigawatt an Solar- und Windkraft – mehr als die Hälfte der weltweiten Gesamtleistung. Zwar wächst die Kohlekapazität weiter, doch dienen viele Anlagen zunehmend als flexibles Backup für erneuerbare Energien. In der Folge sanken die Emissionen des chinesischen Stromsektors in der ersten Jahreshälfte um 3 Prozent.
Der massive Ausbau grüner Technologien hat enorme Kostensenkungen und Effizienzgewinne bewirkt. Die Preise für Photovoltaik sind in 15 Jahren um 90 Prozent gefallen, während die Leistung gestiegen ist. Auch Batterien sind deutlich günstiger geworden, zugleich verbessern sich Energiedichte und Ladegeschwindigkeit stetig. Diese Entwicklungen ermöglichen weltweit eine schnellere Emissionsminderung – nicht nur in China.
In einer Welt ohne geopolitische Spannungen wäre Chinas technologische Führungsrolle ein Segen für die Menschheit. Doch unter den aktuellen politischen Bedingungen weckt sie Sorgen um Arbeitsplätze und Sicherheit. Schlimmer noch: Zölle und Handelsbeschränkungen als Reaktion auf Chinas Dominanz könnten die Kosten erhöhen und die weltweite Energiewende bremsen.
Drei Prioritäten für das 2-Grad-Ziel
Ein weiterer Streitpunkt sind Chinas Überkapazitäten bei Eisen und Stahl. Da diese Grundstoffe weiterhin kohlenstoffintensiv produziert werden, gefährden sie Europas Pläne zur Dekarbonisierung der Schwerindustrie. Der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus der EU ist zwar eine legitime Antwort auf dieses Problem, wurde von China jedoch als protektionistisch empfunden.
Um die Erderwärmung „deutlich unter 2 °C“ zu halten, sind koordinierte Maßnahmen aller Teilnehmer der UN-Klimakonferenz COP30 im November in Brasilien nötig. Da die USA ihre Führungsrolle – besonders in der Klimapolitik – weitgehend aufgegeben haben, kommt der Zusammenarbeit zwischen China und Europa zentrale Bedeutung zu.
Vor diesem Hintergrund sollten beide Seiten drei Prioritäten verfolgen. Erstens: China muss ehrgeizigere Ziele zur Emissionsminderung festlegen. Unterbleibt dies, könnten europäische Rechtspopulisten, die Klimaschutz als kostspielig und sinnlos darstellen, zusätzlichen Auftrieb erhalten. Verschärft China jedoch seine Ziele, sollte Europa seine eigenen Maßnahmen ausweiten, um seinen langfristigen Verpflichtungen auch gerecht zu werden.

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Zweitens: China sollte die Dekarbonisierung der Schwerindustrie vorantreiben, insbesondere in der Stahl-, Zement- und Chemieproduktion. Das setzt höhere CO₂-Preise in allen Industriesektoren voraus – idealerweise auf einem Niveau, das sich dem europäischen annähert.
Drittens: Europa sollte Chinas Führungsrolle bei sauberen Technologien anerkennen und in Fragen von Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit sachlich bleiben. Nach den Empfehlungen der Energy Transitions Commission hieße das, Importe von Produkten mit geringem Risiko für europäische Arbeitsplätze – etwa Solarpaneele – zuzulassen und chinesische Investitionen in Zukunftsbranchen wie Batterien und Elektrofahrzeuge zu fördern.
Chinas Vorreiterrolle in der grünen Technologie bietet der Welt eine historische Chance. Eine Chance eine, die sie auf keinen Fall ungenutzt lassen darf. Europa muss mit China zusammenarbeiten, um dieses Potenzial zu verwirklichen.
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