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Politologe über „entartete Kunst“„Das Thema ist hochaktuell“

Vor 88 Jahren eröffnete die Nazi-Wanderausstellung „Entartete Kunst“. Heute gibt es ähnliche Impulse, sagt der Politikwissenschaftler Heiko Langanke.

NS-Propagandaminister Joseph Goebbels 1938 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in Berlin Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H02648/CC BY-SA 3.0 DE
Interview von Franziska Vetter

taz: Herr Langanke, was verstand das NS-Regime unter „entarteter“ Kunst?

Heiko Langanke: Eigentlich könnte man die Gegenfrage stellen, also: Was ist artige Kunst? Eine artige Kunst im Sinne des Nationalsozialismus hat sich am Germanentum orientiert. Das zieht sich durch die Kunst, findet sich aber genauso in der Musik und Literatur. Die Kunst war sehr darstellend, schlichtweg keine Interpretation, nichts was man deuten sollte oder musste. Adolf Hitler war ja ursprünglich selbst Maler. Einige Werke findet man hier und da im Internet. Sie sind schlicht darstellend – mit einem Hang für pompöse Bauten. Das war dann wohl prototypisch.

taz: Warum hat man die „entarteten“ Bilder ausgestellt und nicht einfach vernichtet?

Langanke: Parallel zu der Ausstellung gab es eine Ausstellung, die völkische Kunst, wie sich der Nationalsozialismus das vorgestellt hat, gezeigt hat. So wollte man Stimmung gegen „entartete“ Kunst machen. Es war also definitiv diffamierend, sollte ausschließen, die Kunst sollte krank wirken und wurde auch so bezeichnet. Durch die Gegenüberstellung sollte das eigentliche Bild der deutschen, klaren Kunst erhellt werden. Wahrscheinlich hätten sie auch das Problem gehabt, nicht wirklich erklären zu können, was artige Kunst ist.

Bild: privat
Im Interview: Heiko Langanke

Jahrgang 1968, ist Politologe und kulturpolitischer Sprecher der Linken im Kulturausschuss Harburg sowie Mitinitiator und Vorsitzender der Kunstleihe Harburg.

taz: Welche Künst­le­r*in­nen waren betroffen und welche Folgen hatte das für sie?

Langanke: „Entartete“ Kunst bezog sich auf Expressionismus, die neue Sachlichkeit, Kubismus, Dadaismus und Surrealismus. Da haben wir Ernst Ludwig Kirchner oder auch Emil Nolde, Otto Dix oder George Grosz, Kandinsky, Picasso, Dali, im Grunde viele, die wir heute kennen. Insgesamt waren es 125 Künstler und 20.000 beschlagnahmte Werke, die teilweise bei Goebbels oder Hilter im Privatarchiv gelandet sind. Den Künstlern und Künstlerinnen wurde die Existenzgrundlage entzogen worden, Kunstförderungen wurden gestrichen. Wer politisch aktiv war, wurde verhaftet. Viele sind ausgewandert.

taz: Welche Auswirkungen hatte das auf die Kunstwelt?

Langanke: Es hatte einen langen Nachhall. Also einmal, dass natürlich viele Werke zerstört wurden, die wir heute einfach so nicht mehr kennen. Aber es hallte auch lange nach, was anständige Kunst ist und was nicht. Also dieser Freigeist der 20er, 30er der hat einen regelrechten Schlag gekriegt. Es hat lange gebraucht, bis man wirklich wieder Künstler und Künstlerinnen gefunden hat, die sehr mutig in Deutschland auch abstrakte und freie Kunst gemacht haben.

taz: Der Zweck der Ausstellung, Kunst umzudeuten, hat sich also erfüllt?

Langanke: Das hat in der Zeit hervorragend funktioniert. Weil die Ausstellung jetzt 88 Jahre her ist, hatten wir die Idee, das mal zu thematisieren. Und selbst im Harburger Kulturausschuss sitzt eine AfD, die mittlerweile nichts unversucht lässt, um eine Deutungshoheit über Kunst und Kultur zu kriegen. Da wird versucht, ein Bild zu reproduzieren, was dem sehr nahe liegt. So nach dem Motto: Alles andere ist Quatsch, warum sollte man dafür öffentliche Gelder ausgeben. Eine Argumentation von damals, die wir heute wiederfinden. Unser neuer Bundeskulturbeauftragter Weimer steht auch nicht gerade für eine fortschrittliche Kunst- und Kulturauffassung.

Die Diskussion

„88 Jahre ‚„Entartete Kunst‘“: Sa, 19. 7., 19 Uhr, Internationale Buchhandlung Horizonte, Bremer Straße 6, Hamburg

taz: Inwiefern?

Langarke: Wenn da jetzt schon zusammengekürzt wird, zum Beispiel beim Kulturpass, dann steckt da schon auch ein Weltbild hinter, wo man aufpassen muss, ob wir diesen ganzen Rechtsruck, den wir ja eh gesellschaftlich haben, nicht auch wieder in diese Kunst- und Kulturgeschichten reinkriegen. Dass uns gesagt wird, wie Kunst und Kultur zu verstehen ist. Also insofern halten wir es für hochaktuell. Dürfte anderen Kol­le­g*in­nen nicht anders gehen.

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9 Kommentare

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  • Es gab auch "paradoxe" Fälle:



    Ernst Barlach unterschrieb 1934 mit anderen KünstlerInnen u. MusikerInnen eine Erklärung...



    "So erschien etwa 1934 im Völkischen Beobachter ein „Aufruf der Kulturschaffenden“,



    b. volltext.net



    "und Ernst Barlach, dem Führer ewige Treue"



    ...was ihn aber nicht davor bewahrte, auf die Liste zu kommen, u.a. sein legendäres Werk wurde aus dem Magdeburger Dom entfernt.



    Wer es sieht, weiss auch warum:



    gedenkjahr-magdebu...lach-ehrenmal-dom/



    "Doch die Nazis, die 1937 ein Ausstellungsverbot verhängten und seine Kunst als „entartet“ verfemten, schafften es nicht, Barlachs Werk zu vernichten. Das Original-Werkmodell seines „Schwebenden“ überstand versteckt die Wirren des Krieges. Seit 1952 hängt in der evangelischen Antoniter-Citykirche in Köln ein Zweitguss. Ein von diesem abgenommenen weiteren Guss wurde 1953 der Domgemeinde in Güstrow als Geschenk der Evangelischen Gemeinde Köln übergeben.



    „Der Schwebende“ trägt die Gesichtszüge von Barlachs Künstlerkollegin Käthe Kollwitz (1867-1945) und gilt als eines seiner Schlüsselwerke. Als Plädoyer gegen Krieg und Gewalt geschaffen, war diese Arbeit eine revolutionäre Neuerung."



    Quelle nordkirche.de

  • 1911 wurde das Pamphlet "Protest deutscher Künstler" veröffentlicht. Sie polemisierte gegen die Ankaufspolitik deutscher Museen, die Werke französischen Impressionisten bevorzugen würden. Man solle sich „auf die Eigenarten unseres Volkes besinnen“. Zu den 140 UnterstützerInnen gehörten u.a. Th. Th. Heine und Käthe Kollwitz.

    Merke: Die hehre Kunst war und ist auch den Kunstschaffenden vor allem Geld wert und in dem modernen „Kulturkampf“ geht es nicht nur um Freiheit der Kunst oder Leitkultur, es geht auch um wirtschaftliche Interessen. Interessanter wäre es zu erforschen, wie Gemeinwesen über die Verteilung öffentlicher Mittel demokratisch entscheiden könnten, statt das Votum elitären Kommissionen oder engagierten Fans zu überlassen? Vielleicht sollten Kunst- und Kulturschaffende neue Wege suchen und mehr für den kleinen Geldbeutel bieten?

  • Bisken unterkomplex dargestellt (wie man heute sagt). Es nervt mich, dass "die Linke" ihre Fehler so konsequent ausblendet. Die Kunst und das freie Denken ist natürlich auch von linker Bigotterie bedroht. Es gibt immer mehr Tabus und Bedingungen, die z.B. die Kulturförderung ideologisiert haben. Das ist nicht immer im Sinne der Menschenrechte und Demokratie, wie gern behauptet wird. Es werden oft "linke" Mythen institutionalisiert, um den eigenen – oft sehr oberflächlichen – Wertekanon zu zementieren. Der Kulturkampf wird seit langem auch gegen ein diffuses "Rechts" geführt, mit der fatalen Nebenwirkung, dass sich das freiheitliche "Links" immer mehr entzaubert hat.



    Manche damals als "entartet" diffamierte Werke und Künstler werden heute als "politisch unkorrekt" diffamiert oder sogar zensiert. Das ist natürlich keine Analogie zum NS-Terror, aber ein Phänomen, das selbstkritisch reflektiert werden sollte.

    • @jan ü.:

      War das gerade eine verlorene Wette, nach der das Wort "links" möglichst häufig unterzubringen war? ; )



      Beim letzten Satz Vorsicht mit dem "aber", das wohl auch hier das Davorstehende stark entwertet. Mir fällt auch inhaltlich wenig hierzu ein. Meinen Sie Nolde?

    • @jan ü.:

      Nicht zuletzt lässt Langanke unerwähnt, dass die von ihm genannten Stilrichtungen ("Expressionismus, die neue Sachlichkeit, Kubismus, Dadaismus und Surrealismus") auch in der Sowjetunion Stalins und darüber hinaus schwer verpönt waren. Verordnet wurde dort der piefige Sozialistische Realismus. In ihrem spießig-kleinbürgerlichen Kunstgeschmack waren sich beide Diktaturen ja wieder sehr ähnlich.



      Intellektuell schlicht unredlich ist aber vor allem der Versuch, hier unmittelbare Gegenwartsbezüge herstellen. Ob bestimmte Kunstrichtung und Künstler verboten und staatlicherseits drangsaliert werden, ist nämlich etwas grundsätzlich anderes als die Frage, wer oder was subventioniert wird. Ersters ist eine Frage der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit, auf letzteres gibt es keinen Anspruch und zumal in einer Demokratie darf es darüber sehr wohl dissidente Auffassungen geben.

  • Dass die Kulturpolitik unter einer CDU/SPD-Regierung sich möglicherweise an der einen oder anderen Stelle wieder mehr an ihre konservativen Wurzeln erinnert und sich damit wieder eher in die Mitte rückt, war zu erwarten und ist kein Skandal.



    Dass Hr. Weimer die positive Wirkung bzw. den realen Nutzen des Kulturpasses prüfen lassen will, entspricht der Verantwortung seines Amtes, die auch die eventuelle Effizienz der in seinem Ressort entstehenden Ausgaben betrifft.



    Skandalös ist eher, dass im Interview eine direkte Linie von besagter Ausgabenprüfung zur NS-Thematik "Entartete Kunst" gezogen wird, so als wäre Hr. Weimer schon am Zusammennageln der Kisten für den Abtransport der von ihm persönlich inkriminierten Werke aus den Museen.

  • Nolde versuchte sich bei den Nazios anzubiedern und war beklennender Antisemit, so neue Forschungsergebnisse. Auch Gropius und Mies van der Rohe versuchten sich den Nazis anzudienen - erfolglos.



    Aktuell forderte die AFD im Landtag kürzlich den Abriss des Bauhaus-Komplexes in Dessau als "Irrweg der Moderne". Renaissance für die klotzig hässliche Speer-Architektur (Reichsparteitagsgelände) ?

  • In die "Entarteten"-Ausstellung gingen deutlich mehr als in die "Artgerechte". Wer es sehr lesbar haben will, hat mit der Graphic Novel von Luz zu Otto Muellers Zwei weiblichen Halbakten etwas.

    Bei Gemälden ist die deutsche Kunst auch nach dem Kriege lebendig gewesen. Zu ihrem Wesen gehört wohl, dass auch öffentlich über sie gesprochen, über ihre An-sicht gemeinsam diskutiert wird. Wann schafft es ein kluger Konservativismus dabei wieder, das zumeist dümmliche Rechtsextremgepöbele kleinzubekommen? Statt sich wie schon einmal davon treiben zu lassen.

  • "Unser neuer Bundeskulturbeauftragter Weimar" - freudscher Verschreiber?