„bone black“ von bell hooks: Das Problemkind
Zwischen Gewalt in der Familie und Liebe für Literatur – in „Bone Black“ erzählt die US-amerikanische Feministin bell hooks von ihrer Kindheit.
Wie wird aus einem kleinen Schwarzen Mädchen aus Kentucky eine der wichtigsten Feministinnen unserer Zeit? Knapp zwei Jahre ist es her, dass die Literaturwissenschaftlerin und Autorin bell hooks mit nur 69 Jahren verstorben ist. Sie hinterließ bahnbrechende Werke zu den Themen Race, Klasse, Geschlecht, Liebe und Gewalt, die erst seit 2020 nach und nach ins Deutsche übersetzt werden – so nun auch ihre Kindheitserinnerungen.
Das 1996 in den USA veröffentlichte Buch „Bone Black. Erinnerungen an eine Kindheit“ eignet sich gut, um in bell hooks Werk einzusteigen. Bone Black, das sei eine „dunkle, tiefschwarze innere Höhle“, in der hooks eine Welt für sich selbst erschafft, zu sich kommt. Diese Welt ist bei hooks geprägt von Büchern, die zum Teil aus der Mülltonne kommen. Denn bell hooks kommt aus einem Haushalt mit wenig Geld, in dem das Mädchen gewarnt wird, dass Bücher verrückt machen könnten.
Die kleine Gloria Jean Watkins, wie bell hooks gebürtig heißt, wird als Problemkind gesehen, die Eltern geben den Büchern die Schuld an dem widerständigen Geist ihrer Tochter: „Sie lassen mich nicht lesen, bevor ich nicht all meine Arbeit erledigt habe.“ Trotzdem findet Gloria immer wieder Zugänge zu Büchern. Sie sieht Bücher auch von Schwarzen Autor*innen im Regal stehen. Ihr Alltag lehrt sie, dass die Welt eher ein Zuhause für die Weißen ist, es aber auch arme Weiße gibt, deren Essen schlechter als ihr eigenes aussieht.
Verschiedene Identitäten
Die eigene Armut ist dem Kind zunächst nicht bewusst. Erst rückblickend versteht sie, dass das rote Auto, in dem sie und ihr Bruder sich gegenseitig kutschiert haben, eigentlich eine rote Schubkarre war. Genau diese Schubkarre, ein Spielzeug, habe ihrem Bruder und ihr verschiedene Identitäten aufgezwungen. Sie zog gerne ihren Bruder – aber die Erwachsenen fanden, der Junge müsse schieben. Dieser liebt es aber, seine Schwester für sich arbeiten zu lassen.
bell hooks: „Erinnerungen an eine Kindheit“. Aus dem Amerikanischen von Marion Kraft. Elisabeth Sandmann Verlag, Berlin 2024, 176 Seiten, 24 Euro
Insgesamt scheinen die Geschwister in dieser Familie für Gloria keine Stützen zu sein. Sie sind die „Normalen“, die sie immer wieder von ihrer Einkehr abhalten wollen, denen sie zuruft: „Lasst mich in Ruhe!“ Und die sie, als sie sich aus Verzweiflung ein heißes Bügeleisen auf den Arm drückt, sie nur als „verrückte Idiotin“ verschreien. Die kleine Gloria wächst in Opposition zu ihren fünf Geschwistern auf, in einem Haus voller Gewalt, in der der Vater alle Familienmitglieder schlägt, seine Frau besonders.
So schwer die Themen in „Bone Black“ auch sind, ist das Buch doch leicht zu lesen. Wie auch in ihren theoretischen Büchern schreibt hooks nahbar. Marion Kraft übersetzt den liebevollen hooks-Ton sehr gut, allerdings bleiben englische Formulierungen wie „speaking in tongues“ oder „strange enough“ in der Eins-zu-eins-Übersetzung als Stolpersteine im Lesefluss liegen.
Vorbilder für das Leben
Wie werden wir, wie wir sind? Die äußeren Umstände des Aufwachsens, das Umfeld, das einen prägt – all dies formt nicht alleine einen Menschen. Da gibt es natürlich die Vorbilder. Den Großvater, der ihr sagt, dass niemand sie zwingen könne, etwas gegen ihren Willen zu tun. Oder Miss Willie Gray, eine alte Lady, für die hooks arbeiten muss, die sie fasziniert, weil sie unabhängig und unverheiratet ist. Oder ihre Großmutter Saru, die hooks’ Träume deutet und vorausahnt, „dass ich eine Kriegerin sein werde.“ Aber diese Kontakte haben auch ihre Geschwister.
Warum entwickelt gerade bell hooks diese Liebe zu Büchern – und keines ihrer Geschwister? Wie ist aus Gloria Jean Watkins die Feministin geworden, die bereits mit 19 ihr zentrales Werk „Ain’t I a Woman: Black Women and Feminism“ geschrieben hat? Das kann das Buch nicht ganz beantworten. Womöglich spielte ihr starkes Asthma eine Rolle, das sie, so beschreibt es hooks in ihren Erinnerungen, zum Problemkind gemacht habe, „immer Sorgen, immer krank“.
Aber ihre immer präsente Opposition, ihr Widerstand, ihr Hinterfragen ist von klein auf schon da. Letztlich zeigt bell hooks mit ihren Erinnerungen, dass aus einem kleinen Schwarzen Mädchen aus einem armen Haushalt eine starke Frau in dieser Welt werden kann. Nicht im Sinne einer „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Mentalität, in der jede es schaffen kann, wenn sie sich nur anstrengt. Sondern als Erinnerung an die Erwachsenen, dass Können und Klugheit auch in denjenigen liegt, die keine Privilegien haben.
„Bone Black“ hat das Potenzial, auch zum Nachdenken über die eigenen Lebensparameter anzuregen. Welche Menschen waren für einen selbst Vorbilder? Welche Werte wurden einem mitgegeben? Welche Verletzungen sind entstanden? Wann spielte Behinderung eine Rolle? Wann Homosexualität oder Race? Wie in bell hooks weiteren Werken geht es ihr auch in ihren Kindheitserinnerungen nicht primär um sich, sondern um die Leser*innen, die sie als Akteur*innen für Veränderung sieht. Wie gut, dass immer mehr ihrer Bücher auf Deutsch zur Verfügung stehen.
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