Zwang zum Digitalen: Ich! Will! Analog! Sein!
Ob Bank, Arztpraxis oder Carsharing – alle setzen auf digitalen Zugang. Wer nicht digital ist, wird ausgeschlossen.
N eulich versuchte ich, einen Termin bei einem Orthopäden zu bekommen. Doch niemand ging ans Telefon. Auf der Webseite der Praxis nur der Hinweis „Terminvereinbarung bitte über Doctolib“. Wenige Wochen zuvor kam Post von der Bank: Ich möge mir doch die neue App zulegen, das alte Banking-Verfahren werde sicher bald eingestellt. Ähnliches beim Handy-Anbieter: Bitte die App nutzen, statt die Hotline des Kundenportals anzuwählen. Die ist ohnehin irgendwo tief im Impressum versteckt.
Und so geht es weiter. Für mich lohnt es sich nicht, ein eigenes Auto vor der Tür zu haben, also vergleiche ich Carsharing-Anbieter. Der vielversprechendste verlangt nicht nur das Installieren der App, sondern auch die Nutzung von Google-Diensten beziehungsweise die eines iPhones. Um es anders zu sagen: Der Digitalisierungsterror macht vor nichts und niemandem halt. Auch die letzten Menschen, die geglaubt hatten, dass sie ein Recht auf ein analoges Leben haben, spüren inzwischen, dass das ein Irrtum ist.
Was aber ist mit all jenen, die kein passendes Endgerät haben oder es nicht bedienen können? Sie werden de facto dazu genötigt, sich digital anzugleichen. Das jedoch fördert nicht nur die Finanzmacht in den Händen von Konzernen der Informationstechnologie. Die wissen darüber hinaus die Kundendaten für sich zu nutzen. Das ist gefährlich: Große Mengen an sensiblen Gesundheitsdaten sammeln sich auf Arztportalen, andere Websites horten private Daten und Nutzeranalysen.
So schrumpfen Privatsphäre, digitale Selbstbestimmung und die Möglichkeit paritätischer Teilhabe in allen Lebensbereichen auf ein Minimum zusammen. Während die kritische Medienkompetenz insbesondere bei den Jüngeren auf dem Rückzug ist.
Der Verein Digitalcourage, der jetzt mit einer Unterschriftenaktion ein „Recht auf Leben ohne Digitalzwang“ im Grundgesetz fordert, verlangt nur etwas, das selbstverständlich sein sollte. Mehr noch: Das sollte Teil der gelebten Demokratie sein. Digitales Zeitalter hin oder her.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland