Zuwendungen aus der Pharmaindustrie: Interessenkonflikte von Ärzten
Pharmaunternehmen unterstützen Mediziner*innen mit Millionensummen. Wer davon profitiert, ist oft nicht transparent.
Laut FSA flossen 408,2 Millionen Euro für klinische Studien und Anwendungsbeobachtungen zugelassener Medikamente; 55,8 Millionen Euro gingen an Personen für Fortbildungen und Vorträge, und 93,7 Millionen Euro gaben die Pharmafirmen aus, um Veranstaltungen und Kongresse sowie die Arbeit medizinischer Institutionen zu unterstützen.
Im Prinzip veröffentlichen die Unternehmen seit dem Jahr 2015 auch die Namen der von ihnen bezahlten Ärzt*innen – auf der Webseite www.fsa-pharma.de steht eine „Transparenzliste“ mit FSA-Mitgliedsfirmen; klickt man auf die Namen der Unternehmen, erreicht man direkt deren Seiten mit Offenlegungen finanzieller Zuwendungen.
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt der FSA aber nicht. Denn genannt werden nur Namen derjenigen Geldnehmer*innen, die einer Veröffentlichung freiwillig zugestimmt haben. Das passiert eher selten, 2020 erklärten sich laut FSA „rund 20 Prozent“ mit der „individualisierten Nennung von Leistungsbezügen“ einverstanden, 2019 waren es 19 Prozent.
Die mangelnde persönliche Transparenz ihrer ärztlichen Kooperationspartner*innen findet die Pharmaselbstkontrolle offenbar auch nicht gut. Jedenfalls versicherte der Verein im Juli 2021 einmal mehr: „Der FSA und seine Mitgliedsunternehmen werden sich weiterhin dafür einsetzen, Ärztinnen und Ärzte zu überzeugen, einer individualisierten Veröffentlichung zuzustimmen.“
Namensnennung nur mit Zustimmung
Das klingt redlich bemüht, blendet jedoch denkbare Alternativen aus: Jedem Arzneimittelhersteller steht es ja frei, Mediziner*innen und Professor*innen nur dann für Studien, Vorträge, Gutachten etc. zu bezahlen, wenn diese sich bereit erklären, dass ihr Name sowie Honorar und Angaben zu ihrer Dienstleistung später publiziert werden. So lange dies nicht regelmäßig geschieht, ist die Selbstverpflichtung der FSA-Firmen ein Muster, das in der Praxis ganz überwiegend ohne Transparenzwert ist.
Für mehr Verbindlichkeit und detaillierteren Durchblick könnte der Gesetzgeber selbst sorgen; eine Andeutung dazu gibt es tatsächlich im Koalitionsvertrag der politischen Ampel. Im Abschnitt zum Thema „Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen“ formulieren SPD, Grüne und FDP zunächst diese Ankündigung: „Wir ergreifen Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurück zu verlagern.“ Im selben Abschnitt steht am Ende aber auch dieser Satz: „Um Interessenkonflikte zu vermeiden, schaffen wir mehr Transparenz über finanzielle Zuwendungen an Leistungs- und Hilfsmittelerbringer.“
Was genau wann verbindlich passieren soll, ob und welche gesetzliche Regelungen geplant sind – das alles lässt der Koalitionsvertrag allerdings offen.
Interessenkonflikte können unter anderem entstehen, wenn Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen für Hersteller von Arzneien und Medizinprodukten bezahlte Leistungen erbringen, etwa im Rahmen klinischer Auftragsstudien, mit Gutachten oder Vorträgen bei Ärztefortbildungen. Oder wenn sie Unternehmen beraten, deren Produkte sie auch wissenschaftlich bewerten oder verschreiben. Oder falls sie selbst Patente auf pharmazeutische und medizintechnische Erfindungen halten, womöglich auch Aktien einschlägiger Firmen besitzen.
Orientieren könnten sich Bundesregierung und Bundestag zum Beispiel an den Vorschlägen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Die fordert seit Jahren eine „gesetzliche Verpflichtung“ mit dem Ziel, finanzielle Beziehungen von Ärzt*innen zu Pharma- und Medizinprodukteherstellern öffentlich nachvollziehbar zu machen. Die gezahlten Gelder müssten in einer Onlinedatenbank publiziert und „durch geeignete und unabhängige Hintergrundinformationen“ ergänzt werden – einsehbar für alle, die es interessiert.
Nachzulesen ist diese Idee auch in einer mit der Bundesärztekammer abgestimmten AkdÄ-Stellungnahme, veröffentlicht im Februar 2019 im Deutschen Ärzteblatt. Zum praktischen Nutzen schreibt die AkdÄ: „Insbesondere Patientinnen und Patienten würden durch die Einführung einer gesetzlichen Transparenzverpflichtung Gelegenheit bekommen, sich schnell und zuverlässig zu Interessenkonflikten ihrer behandelnden Ärzte zu informieren.“
Verzerrtes Urteilsvermögen
Interessenkonflikte sind nach Einschätzung der AkdÄ „nicht per se schlecht oder verwerflich“. Problematisch sei aber das „beeinflusste bzw. verzerrte Urteilsvermögen oder Handeln (‚bias‘) derjenigen, die Interessenkonflikte haben“. Ein Arzt, der nach Besuch einer gesponserten Fortbildung Produkte der einladenden Firma bevorzugt verschreibe, obwohl andere Präparate womöglich wirkungsvoller, sicherer oder preisgünstiger seien, „kann der einzelnen Patientin/dem einzelnen Patienten Schaden zufügen“, gibt die AkdÄ zu bedenken.
Sogar ganze Gruppen von Patient*innen könnten von Nebenwirkungen finanzieller Interessen einflussreicher Fachleute betroffen sein. Jedenfalls erklärt die AkdÄ auch: „Das Urteil eines Mitglieds einer Leitlinienkommission, das beispielsweise regelmäßig Vorträge auf Satellitensymposien eines Unternehmens hält und die Leitliniengestaltung zugunsten eines Produktes beeinflusst, kann im Prinzip sogar alle Patienten mit dem entsprechenden Krankheitsbild schädigen.“
Ideen für mehr verbindliche Transparenz fanden im Bundestag bisher kaum Rückhalt. Sie waren auch kein Thema im Wahlkampf 2021; nur im Programm der Linken standen dazu ein paar Sätze. Diese lesen sich durchaus konkreter als das Koalitionspapier der neuen Regierung. „Wir fordern eine transparente, gesetzliche Regelung über Zuwendungen der Pharmaindustrie an Mediziner*innen und Heilberufe“, schrieben die Linken und erklärten auch, was sie hier motiviert: „Wir wollen den Einfluss der Pharmakonzerne zurückdrängen.
Das betrifft Werbung und Beeinflussung von Ärzt*innen, Wissenschaft und Patientenorganisationen.“ Offengelegt werden müssten zudem „Sponsoring und sonstige Verträge, die öffentliche Bildungs- und Forschungseinrichtungen mit privaten Unternehmen oder Stiftungen abschließen“.
Die Sensibilität beim Blick auf Kooperationen, Sponsoring und potenzielle Interessenkonflikte scheint also gewachsen zu sein. Man wird sehen, wer sich traut, in dieser – wohl weiterhin von der Coronapandemie überschatteten – Legislaturperiode substanzielle Initiativen pro Transparenz in den Bundestag einzubringen. Außerparlamentarische Aufmerksamkeit, befördert auch von Patientenvertreter*innen, Verbraucherschützer*innen und Informationsfreiheitsbeauftragten, wäre für die Politik sicher hilfreich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren