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Zur Krankheit ME/CFSVersorgung statt Hoffnung

Kommentar von Shayna Bhalla

Sarah Buckel erkrankte an ME/CFS und entschied sich, das Leben zu nehmen. Mit der unheilbaren Krankheit lässt es sich bisher nur im Mangel leben.

In Deutschland wurden 2023 620.000 Behandlungsfälle von ME/CFS bei der Kassenärztlichen Vereinigung erfasst Foto: Lea Aring/Deutsche Gesellschaft für ME/CFS

S arah Buckel ist nicht verstummt. Nicht, als sie an der unheilbaren Erkrankung ME/CFS erkrankte, und auch nicht, nachdem sie sich entschieden hatte, zu sterben. Es bleibt ein Account von ihr auf der Social-Media-Plattform X, der den Finger in die Wunde derer legt, die lieber wegschauen wollen. Dass der ehemalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf ihren letzten X-Beitrag mit unkonkreten Hoffnungen auf Forschung und Vermittlungsangeboten an Ärzte reagiert, zeigt das ganze Elend.

Der Zynismus, der in dieser Situation steckt, gipfelt in den Kommentaren unter Lauterbachs Beitrag. Dort sammeln sich massenhaft verzweifelte Angehörige von ME/CFS-Kranken, die ihn anbetteln, doch bitte auch an sie medizinische Hilfe zu vermitteln.

Das zeigt: Wir brauchen Hilfe für Betroffene. Jetzt. Denn mit ME/CFS lässt es sich in Deutschland bisher nur im Mangel leben: Mangel an Lebensqualität, Mangel an gesundheitlicher Versorgung, Mangel an sozialer Unterstützung. Und so ist Sarah Buckels Tod keine Entscheidung gegen ein Leben gewesen, welches sie irgendwann in fernen Zukünften, wenn die Forschung vielleicht so weit ist, vielleicht wieder hätte führen können. Sondern eine Entscheidung gegen jede weitere schmerzhafte Sekunde in Einsamkeit, Leid und Qual.

Das alles hat strukturelle Gründe. ME/CFS ist gar nicht mal so selten, ist aber bisher kaum erforscht. Erst durch die Covid-Pandemie, durch die allein in Deutschland sich die Zahl der ME/CFS erkrankten vervielfacht hat, bekommt das Thema langsam mehr Auftrieb.

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Die Betonung liegt hier auf langsam. Wie lange will man Menschen zumuten, als passive Zeugen ihrem eigenen körperlichen Verfall zuzusehen, ohne dass diese Menschen flächendeckend versorgt werden können? Wir sprechen hier immerhin über eine Erkrankung, die einen zu krank für das Krankenhaus macht.

Strukturelles Totalversagen

Karl Lauterbach appelliert in seinem X-Beitrag an die Hoffnung – und an die KI. Ernsthaft? Das ist strukturelles Totalversagen mit Ansage. Hoffnung ist keine Medizin und Hoffnung ist auch keine auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtete Forschung. Denn Fakt ist: Aus der Politik fließt zwar Geld in die Erforschung von ME/CFS, doch bisher kommt bei den Pa­ti­en­t*in­nen davon nichts so wirklich an.

Wobei „nichts“ auch nicht ganz richtig ist. Was bei Pa­ti­en­t*in­nen ankommt, sind Aussagen wie etwa aus dem damals FDP-geführten Forschungsministerium, das einer Förderung für eine vielversprechende Medikamentenstudie eine Absage erteilte. Das berichtet die Berliner Zeitung wenige Tage nach dem Tod von Sarah Buckel. Die Begründung: die Zahl der durch Covid an ME/CFS Erkrankten würde weniger schnell steigen, als zu Beginn der Pandemie.

Aha. In Deutschland wurden 2023 620.000 Behandlungsfälle von ME/CFS bei der Kassenärztlichen Vereinigung erfasst. Vor 2020 waren laut Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS schon 250.000 Menschen erkrankt.

Zur Erinnerung: Für die Erkrankung gibt es bisher keine anerkannten, belastbaren Biomarker. Die Diagnose muss also durch sorgfältigen Ausschluss anderer Erkrankungen gestellt werden und ist damit sehr teuer und aufwendig. Zudem kommt ME/CFS im Medizinstudium in Deutschland nicht verpflichtend vor. Es handelt sich um eine Erkrankung, die im völligen Dunkel stattfindet und deswegen nicht heilbar und nur schwer symptomatisch therapierbar ist.

Betroffenen zuhören

Natürlich muss Forschung her, aber was es braucht, ist Hilfe. Jetzt. Betroffene und mit dem Thema befasste Wis­sen­schaft­le­r*in­nen fordern schon lange den flächendeckenden Aufbau von ME/CFS-Schwerpunktpraxen. Bei der Vielzahl von Erkrankten ist das eine Minimalforderung und fällt in den Bereich der basalen, medizinischen Infrastruktur.

Diese Praxen könnten einen großen Schwung an Daten liefern, die bisher aufgrund der lückenhaften Versorgung überhaupt nicht existieren. Es drängt sich die Frage auf, was die von Lauterbach beschworene KI aktuell überhaupt analysieren soll?

Die Forderungen der Betroffenen sind öffentlich und klar: Medizinisches Personal muss verpflichtend zu ME/CFS geschult werden. Medizinische Versorgung muss durch Schwerpunktpraxen flächendeckend gegeben sein. Menschen mit ME/CFS brauchen soziale Absicherung, damit sich ihr Zustand durch Überbelastung nicht verschlechtert und chronifiziert. Und ihnen muss geglaubt werden. Auch wenn das heißt, zu akzeptieren, dass man mit schwerstem ME/CFS in Deutschland aktuell nicht leben kann.

Sarah, wir trauern um dich. Und wir kämpfen für dich.

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1 Kommentar

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  • Richtig ist, dass es in der Tat wohl noch keine Behandlungsmöglichkeiten für ME / CFS gibt, die eine Heilung oder zumindest zuverlässige Verbesserung der Erkrankung ermöglichen.



    Dass dies daran liege, ME / CFS sei weitgehend unbekannt oder werde nicht medizinisch erforscht scheint aber nicht korrekt.



    Zur Bekanntheit sei nur auf die Vielzahl an Publikationen (gerade nach Covid) in verschiedenen Medien aber auch in Fachzeitschriften verwiesen. Auch gibt es in Europa eine Anzahl an Kliniken und Forschungseinrichtungen, die sich der Forschung dazu verschrieben haben.



    Beim jetzigen Stand der Medizin kann daher auch ein Gesundheitsminister Betroffenen keine konkreten Versprechungen geben. Es ist ja nicht so, dass es vielversprechende Behandlungen gäbe, die den Betroffenen nicht ausreichend zur Verfügung stehen.



    Auch hochgradig informierte Patienten, wie zB Marina Weissbrand, berichten dass ihnen schlussendlich nur eine individuelle und vorsichtige Steuerung der eigenen Aktivitäten ("Pacing") hilft, mit der Erkrankung umzugehen.