Zum ersten Magnus-Hirschfeld-Gedenktag: „Eine Ikone der queeren Geschichte“
Erstmals erinnert am 14. Mai ein Gedenktag an den Berliner Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. Alfonso Pantisano über das Ziel des Erinnerns.
taz: Herr Pantisano, Berlin hat als erstes Bundesland den 14. Mai zum Gedenktag für Magnus Hirschfeld gemacht. Warum braucht es einen solchen Tag für diesen Arzt und Sexualwissenschaftler, der Jude und Homosexueller war?
Alfonso Pantisano: Magnus Hirschfeld erinnert uns alle daran, dass wir der Wissenschaft vertrauen sollten, denn nur so kommen wir zu wirklicher Gerechtigkeit. Queeres Leben war schon immer zu Hause in unserer Stadt und ist nie ein Trend gewesen, sondern eine Realität. Das zu akzeptieren ist unsere Aufgabe, denn nur so können wir garantieren, dass alle Menschen in der Regenbogen-Hauptstadt ein würdiges und sicheres Leben in Freiheit leben können. Das ist die Mahnung von Magnus Hirschfeld.
49, wurde im Juli 2023 erster Beauftragter für die Rechte queerer Menschen, zuvor Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, Referent von Innensenatorin Iris Spranger sowie persönlicher Referent der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken.
Zur langen Geschichte von queerem Leben in Berlin fällt mir das „Eldorado“ ein. Auch im Programm des Magnus-Hirschfeld-Tages taucht der Name des Lokals auf. Was hat es damit auf sich?
Im historischen Regenbogen-Kiez rund um den Nollendorfplatz blühte ja schon vor über 100 Jahren das queere Leben – so lange, bis die Nazis kamen und alles zugrunde gerichtet haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es die Community durch viel Leid und viel Stärke geschafft, aus den dunklen Zeiten hervorzutreten und wieder ins Licht hineinzukommen. Diese Position der Stärke, des Selbstbewusstseins und des Stolzes gilt es jetzt zu verteidigen. Das Eldorado, ein Travestielokal, war einer der vielen Orte für Homosexuelle und Transpersonen in den 1920er Jahren. Das Eldorado stand für Freiheit – wurde von den Nazis geschlossen und ist später nie wieder zurückgekehrt. Wir bringen das Eldorado jetzt für eine Nacht zurück.
Ins „Metropol“ am Nollendorfplatz – dort war aber das originale Eldorado nicht, oder?
Das Eldorado gab es in Berlin an drei verschiedenen Locations: zuerst an der Kantstraße, dann auf der heutigen Martin-Luther-Straße und später auf der Motzstraße – in den Räumlichkeiten befindet sich heute ein Biomarkt.
Wer hatte die Idee zu diesem Gedenktag am 14. Mai?
Die Idee kommt aus der Community. Wir haben es geschafft, diese in den Koalitionsvertrag zu schreiben und in den Richtlinien der Regierungspolitik zu verankern. Damit ist es jetzt ein Projekt des gesamten Berliner Senats und der Stadt Berlin.
Mit dem Magnus-Hirschfeld-Tag will Berlin an einen der ersten Aktivisten erinnern, der sich für das Verständnis von Homosexualität einsetzte. Er wird am 14. Mai begangen – dem Geburts- und Sterbetag von Hirschfeld (s. Kasten unten). Unter anderem soll es an der Gedenkstele für Hirschfeld in der Otto-Suhr-Allee eine Kranzniederlegung geben. Am Montagabend ist eine Festveranstaltung unter dem Titel „Magnus Hirschfeld – Seele der queeren Community" geplant. Zahlreiche Veranstaltungen stehen auf dem Programm. Auf magnus-hirschfeld-tag.de gibt es alle Infos. (taz)
Berlin ist damit Vorreiter, denn der erste landesweite Magnus-Hirschfeld-Tag ist deutschlandweit einmalig.
Es hat schon den einen oder anderen Magnus-Hirschfeld-Tag gegeben, der von Organisationen wie der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft organisiert wurde, aber wir sind das erste Bundesland, das einen landesweiten Magnus-Hirschfeld-Tag begeht.
Es ist leider ein Gedenktag und kein gesetzlicher Feiertag. Das würde ja bedeuten, man hätte einen freien Tag an so einem queeren Feiertag. Das wäre ja eigentlich erstrebenswert!
Das wäre natürlich schön. Ich finde, Berlin hat sowieso noch ein, zwei, drei Feiertage zu wenig. (lacht) Aber Spaß beiseite, ich bin sehr glücklich darüber, dass wir die Gelegenheit nutzen, diesen einen Tag jetzt offiziell begehen zu können und dafür sorgen können, dass das Leben und Wirken von Magnus Hirschfeld in der Stadtgesellschaft näher gebracht werden kann. Denn wir müssen ganz ehrlich sein: Obwohl er eine Ikone der queeren Emanzipationsgeschichte und der Sexualgeschichte gewesen ist, kennen ihn hier bei uns nur wenige. Denn der Nationalsozialismus hat versucht, sein Wirken und Andenken systematisch zu zerstören. Im Ausland ist das anders, dort wird er sehr viel breiter geschätzt und geehrt.
Magnus Hirschfeld, am 14. Mai 1868 in Kolberg (Preußen, heute Polen) geboren, stammte aus einer jüdischen Familie, war Arzt und Sexualwissenschaftler. 1897 gründete er in Berlin das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), die weltweit erste Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hatte, sexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren. Von 1899 bis 1923 gab Hirschfeld 23 Jahrgänge der Zeitschrift Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen heraus. 1918 richtete er die Dr.-Magnus-Hirschfeld-Stiftung ein und gründete das von ihm geleitete Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, die weltweit erste Einrichtung für Sexualforschung. Im selben Jahr war Hirschfeld Berater und Mitwirkender im ersten Schwulenfilm der Filmgeschichte „Anders als die Andern“ von Richard Oswald. Hirschfeld spielte quasi sich selbst als einen Arzt, der vermittelt, dass Homosexualität keine Krankheit ist. 1933 wurde die Schließung des Instituts für Sexualwissenschaft durch die Nationalsozialisten angeordnet. Hirschfeld starb am 14. Mai 1935, seinem 67. Geburtstag, im Exil im französischen Nizza. (taz)
Dann kann dieser Tag sicher einen Beitrag dazu leisten, Hirschfeld und sein Wirken den jüngeren Generationen bekannter zu machen.
Nicht nur bei der jungen, auch bei der älteren Generation. Viele glauben immer, dass die queere Emanzipationsgeschichte bei den Aufständen in Stonewall in den 1960er Jahren ihren Anfang nahm. Das ist mitnichten so. Berlin ist eine der Geburtsstätten der queeren Emanzipationsbewegungen. Hirschfeld hat hier den ersten queeren Verein gegründet – 1897. Er hat im selben Jahr dann die erste Petition zur Abschaffung des Paragrafen 175 mit 6.000 Unterschriften eingebracht und sich somit damals schon dafür eingesetzt, dass dieser Unrechtsparagraf, der Homosexualität unter Straße stellte, abgeschafft wird. Das ist ihm nicht gelungen, und später haben die Nazis den Paragrafen noch drastischer verschärft. Und auch das ist eine Mahnung von Magnus Hirschfeld: genau aufzupassen, was wir als Demokraten zulassen und was nicht. Denn wir laufen derzeit Gefahr, dass die Errungenschaften queerer Menschen, die in der Vergangenheit für Gerechtigkeit gekämpft haben, wieder auf dem Spiel stehen.
Wie wollen Sie das Interessen an Hirschfelds Leben und Wirken wecken?
Wenn Menschen sich fragen „Magnus – wer?“ haben wir schon etwas erreicht. Denn wenn das Interesse geweckt ist, lassen sich heute schnell dank digitaler Medien Informationen besorgen. So kann man auch Dinge über Magnus Hirschfeld hinterfragen, denn wir wollen auch, dass sich alle kritisch mit ihm auseinandersetzen, so wir es auch tun. Wir haben parallel dazu eine sehr breite Informationskampagne gestartet, die in der Stadt sichtbar sein wird. Wir haben unterschiedliche Clips produziert, damit Menschen auf diesem Wege Informationen darüber bekommen, wer Hirschfeld gewesen ist. Wir weisen unter anderem auch darauf hin, dass sein Institut für Sexualwissenschaften weltweit das erste seiner Art war. Auch da war er ein Pionier. Und wir zeigen, dass sein Institut auf dem heutigen Gelände des Haus der Kulturen der Welt gestanden hat.
Das wusste ich noch nicht.
Das ist ja der Grund dafür, dass das Haus der Kulturen der Welt heute eine Magnus-Hirschfeld-Bar und einen Lili-Elbe-Garten hat.
Warum Lili Elbe?
Weil Magnus Hirschfeld die vermutlich erste geschlechtsangleichende Operation an Lili Elbe durchgeführt hat. Lili Elbe war eine dänische Malerin. Haben Sie zufällig „The Danish Girl“ gesehen? Der Film erzählt die Geschichte von Lili Elbe. Und im Film sagt sie, dass sie nach Deutschland geht, um sich in einer Klinik von Magnus Hirschfeld der Operation zu unterziehen.
Neben der breiten Kampagne, um Hirschfeld wieder bekannter zu machen, wird es Veranstaltungen geben …
… Lesungen, Talks in Volkshochschulen, Stadttouren, es gibt Vereine und Träger, die ihre eigenen Programme anbieten. Und wir haben einige Unternehmen, die sich engagieren, indem sie ihre Kundschaft und Mitarbeiterschaft über den Gedenktag informieren, über die internen und auch externen Kommunikationswege.
Das ist eine interessante Herangehensweise.
Unser Ziel war es ja, möglichst viele Menschen zu erreichen und ihnen zu erklären, warum es diesen Tag gibt. Die Berliner Sparkasse zum Beispiel bietet ihren Mitarbeitenden eine Führung durch den Regenbogen-Kiez an. Die Rewe-Gruppe weist in allen internen Medien und in der App auf den Tag hin – das alles ist eingebettet im Kontext von Vielfalt am Arbeitsplatz. Die Clubcommission macht mit, und somit erreichen wir auch viele junge Menschen. Die Komische Oper beteiligt sich im Aktionsmonat: Alle Aufführungen von „La Cage aux Folles“ stehen in Zusammenhang mit dem Gedenktag. Am Tag selbst, also dem 14. Mai, wird das Stück gezeigt, davor gibt es eine Einführung ins Stück, die Bezug auf Magnus Hirschfeld nimmt, und später ein feierliches Zusammensein. Gleichzeitig hat die Komische Oper in ihren digitalen Formaten und ihrem Magazin über Hirschfeld informiert.
Weitere Unternehmen?
Siemens und auch Vattenfall beteiligen sich, die Deutsche Rentenversicherung ist mit dabei.
Das ist breit gestreut.
Ja, unser Ziel war es wirklich, in die Stadtgesellschaft hineinzugehen und breit zu informieren. Wir haben alle Werbematerialien zur Verfügung gestellt, in allen möglichen Variationen auch Biografien erstellt, von kurz bis ausführlich … Wir haben versucht, es so niederschwellig wie möglich zu machen. Es ist zudem eine gute Gelegenheit, mal jenseits der Pride-Saison auf die Vielfalt und der Forderung nach Respekt und Akzeptanz aufmerksam zu machen.
Und am Gedenktag selbst?
Am 14. Mai, einem Dienstag, gibt es eine Kranzniederlegung an der Gedenkstelle gegenüber des Rathauses Charlottenburg, wo Hirschfeld gelebt hat. Und am Vorabend, dem 13. Mai, findet die große Festveranstaltung mit einem tollen Programm statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit