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Mainstream-Film „The Danish Girl“Bloß kein Unwohlsein erzeugen

Tom Hooper widmet sich in „The Danish Girl“ dem Transgender-Thema. Doch Populismus ist keine Lösung, um sich komplexen Diskursen zu nähern.

Eddi Redmayne (l.) als Einar Wegener bzw. als Lili Elbe. Foto: dpa

Manche halten es schlicht für die richtige politische Strategie: Tabu- und Außenseiterthemen in möglichst mainstreamiger Weise zu präsentieren, auf dass auch die einfach gestrickten Massen endlich kapieren, um was es geht.

Nach dem Motto: „Holocaust“ als TV-Vierteiler hat mehr bewirkt als Paul Celans Gedichte. Und könnte man Weimar zum Aufbau eines „Schiller-Lands“ mit den „Räubern“ als Vergnügungsparkeinheit überreden, würde sich sicher bald schon das Pisa-Ranking verbessern. In ganz ähnlicher Weise hat sich der britische Regisseur Tom Hooper (oscarprämiert für „The King’s Speech“) mit seinem neuen Film des Transgender-Themas angenommen.

In „The Danish Girl“ erzählt er in notwendig fiktionalisierter Form die Lebensgeschichte des dänischen Malers Einar Wegener, besser gesagt der dänischen Malerin Lili Elbe, einer der ersten Transgender-Frauen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen.

Das Thema Transgender ist heute so aktuell, dass man fast im Vorhinein Sorge hat: Was, wenn man den Film nicht mag? Dabei unternimmt Populist Hooper natürlich alles, um bei seinem geschätzten Publikum ja keine unwohlen Gefühle aufkommen zu lassen.

In lichtdurchfluchteten Dachwohnungen

Das Dänemark der 1910er und 1920er Jahre, das er zeigt, ist ein von dräuenden Weltereignissen ganz abgeschnittener Ort, an dem Künstler wie Einar (Eddie Redmayne) und seine Frau Gerda (Alicia Vikander) in lichtdurchfluteten Dachwohnungen ein bohemehaftes Leben vor „Prestige-Kostüm-Drama“-Kulisse führen, geschmackvoll gekleidet und ausgeleuchtet.

Sicher, es gibt kleinere Schwierigkeiten – etwa, dass Gerda als Malerin gegen patriarchale Vorurteile bei Kunstsammlern kämpfen muss, während Einar mit seinen Landschaftsbildern wesentlich leichter Erfolge feiert.

Außer dem Gefühl, nun Rührung empfinden zu müssen, ist da nicht viel

Aber erstens sind beide ganz fantastisch aussehende Menschen und zweitens sind sie glücklich miteinander verheiratet, was gelegentliche, natürlich ebenfalls geschmackvoll inszenierte, Sexszenen belegen.

Und dann springt Einar eines Tages ein, als seine Frau ein Model für das Porträt einer Tänzerin braucht, und siehe da, der intime Kontakt mit Seidenstrümpfen und weiblicher Wäsche löst bei ihm zuerst Verkleidungswünsche und dann Identitätskonflikte aus.

Ohne politisch-historischen Bezug

So nimmt die Geschichte ihren melodramatischen Lauf. Zunächst noch mit aktiver, spielerischer Mithilfe von Gerda probiert Einar sich als Lili aus, erlebt den ersten Flirt (mit Ben Whishaw) und erste grobe Rückschläge bei zu Rate gezogenen Medizinern.

Der Film

„The Danish Girl“. Regie: Tom Hooper. Mit Eddie Redmayne, Alicia Vikander u. a. Deutschland u. a. 2015, 120 Min.

Nach und nach wird die Sache ernster, Gerda und Lili entfremden sich, Matthias Schoenaerts tritt als Jugendfreund Hans auf den Plan und irgendwann kommt Sebastian Koch als operationswilliger deutscher Arzt ins Spiel.

Weiter ohne jeden Bezug auf politisch-historisches Zeitgeschehen außerhalb von modischen Accessoires, verdichten sich die tragischen Umstände für Einar/Lili, der längst schon bloße Verkleidung nicht mehr genügt, sondern die endlich den Körper will, der zu ihrer Identität passt.

Es liegt nicht an den Schauspielern, dass „The Danish Girl“ letztlich außer dem Gefühl der großen Rührung (beziehungsweise dem Gefühl des Zwangs, nun Rührung empfinden zu müssen) kaum Verständnis oder gar Erkenntnisse zu seinem Thema hervorbringt.

Oberflächliche Definition von Weiblichkeit

Alicia Vikander verleiht ihrer Gerda über das geforderte Ehefrauenmitleiden hinaus viel emanzipierte Forschheit und Eigenständigkeit, nur um vom Drehbuch irgendwann einfach fallen gelassen zu werden. Eddie Redmayne hingegen erfüllt die Vorgaben: Er modelliert seine zarte Jungengestalt mit großer Perfektion ins Weibliche um, ganz so, als wäre mit diesem äußerlichen Verwandlungskunststück irgendetwas bewiesen.

Dabei ist es gerade die vollkommen äußerliche und damit oberflächliche Definition von Weiblichkeit, die „The Danish Girl“ letztlich so uninteressant macht. Tom Hoopers Regie hakt all die scheinbar fürs Genre notwendigen Erzählstationen ab, aber die wirklich heiklen Fragen lässt er außen vor.

Eben noch zeigt er sein Paar beim glücklichen heterosexuellen Beischlaf, später aber scheint Sex als Verlangen keine Rolle mehr zu spielen – womit das Drehbuch auch die realen Vorbilder mehr vereinfacht, als eigentlich nötig gewesen wäre.

Und auch aus dem vielversprechenden Widerspruch, dass Vikander ihre Gerda als eine Frau anlegt, die aus dem üblichen weiblichen Rollenverständnis ihrer Zeit ausbricht, während ihr geliebter Mann auf der Suche nach seiner weiblichen Identität den „schlimmsten“ Rollenklischees nacheifert, macht der Film: nichts. Man darf sich von populistischer Vereinfachung nicht täuschen lassen; es wird immer etwas vorenthalten.

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3 Kommentare

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  • Es ist meiner Erfahrung nach übrigens nicht selten, dass eine gerade geoutete trans Person die ihrem Geschlecht sozial zugewiesenen Erwartungen bis ins Übertriebene erfüllt, wie es im Film Lili tut (und wie in dieser Rezension kritisiert wird) - weil sie in ihrem bisherigen Leben als vermeintlicher Mann alles "weibliche" Verhalten unterdrücken musste, weil sie sich in einer Gruppe von Frauen danach sehnt, dazuzugehören, und weil sie den Menschen, denen sie nahesteht, beweisen möchte, dass sie sich auf dem richtigen Weg befindet.

     

    Darüber hinaus erstaunt mich, dass an jeden neuen Film mit lgbt Thema jeglicher Art Ansprüche gestellt werden, die kein anderer Film erfüllen muss. Ein Film, in dem es um heterosexuelle cis Menschen geht, bekommt mit höchst geringer Wahrscheinlichkeit eine negative Kritik, weil er keine vollständig neue, nie zuvor gesehene Geschichte erzählt, weil er ästhetisch zu stark gefällt, während die Politik zu kurz kommt, weil er zu geschmackvoll inszeniert ist. Warum muss es Filmen wie diesem passieren?

  • Ich bin, wie ich zugeben muss, enttäuscht von den vielen Kritiken, die diesen Film und seine Thematik als "für die Massen weichgespült" abtun.

     

    Die Erfahrungen und diesen Erfahrungen entgegengebrachten Gefühle jeder trans Person sind unterschiedlich, und während die Geschichte, die Tom Hooper erzählt, eine Narrative wiedergibt, die in der Repräsentation einer underrepräsentierten Minderheit noch vergleichsweise häufig vorkommt, so ist es doch eine Erzählperspektive, die viele trans Menschen nachvollziehen können. Es mag nicht die progressivste sein, aber mir ist bisher keine so sensible und ausführliche Darstellung dieses inneren Konflikts begegnet (den ich selbst gut kenne), in einem Film, den ich nicht als oberflächlich wahrgenommen habe, sondern als sehr sorgfältig und liebevoll gearbeitet.

    Als jemand, in dessen Leben das trans Thema eine Rolle spielt, habe ich viele Dinge wiedererkannt und mir sind immer wieder Einzelheiten aufgefallen, die ich aus meinem Leben und der Reaktion meines Umfelds kenne, Dinge, die einem womöglich entgehen, wenn man nicht nach ihnen sucht.

  • Auch wenn sich jeder die Ohren zuhält: Lili Elbe war intersexuell.