Zum Tod von Wiglaf Droste: Der Tucholsky unserer Tage
Großer Satiriker, Schriftsteller und Dortmund-Fan: In der Nacht zu Donnerstag ist Wiglaf Droste gestorben – ein Nachruf.
Droste saß länger im Knast als Johnny Cash. 11 Tage in Moabit, nachdem er zum 1. Mai ’88 als Reporter von engagierten Berliner Polizisten knüppelharte Statements eingeholt hatte. 2100 Mark Geldstrafe wurden gegen ihn verhängt, als er zehn Jahre später selbst über die Wunder der Menschwerdung räsonierte: wie könne es kommen, „dass einer, der wahrscheinlich als Mensch geboren wurde, das werden konnte – ein Feldjäger“.
Droste kam, dafür gibt es Augenzeugen, nachweislich als Mensch zur Welt. Und stellte sich fortan der ungleich schwierigeren Aufgabe, das auch zu bleiben. Diese wenigen Pinselstriche genügen bereits, zu zeigen, wir hart es sein kann, einen ausgewachsenen Droste als Mensch durch die Zeit zu bringen.
Wie der Name schon sagt: Wiglaf. Das Lied vom „Boy named Sue“ des für Droste sehr respektablen Johnny Cash erzählt die Geschichte eines vaterlos aufwachsenden Jungen. Ihm wurde der Mädchenname „Sue“ übergeholfen, damit er trotzdem ein harter Killer würde.
Kurzer Aufenthalt an der Universität
A boy named Wiglaf folgte diesem Gesetz gleich mit seiner ersten Singleveröffentlichung, dem legendären „Grönemeyer kann nicht tanzen“: Der Mann heißt mit vollem Namen Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer, tatsächlich auch: Wiglev, und das klingt schon stark nach „this town ain’t big enough for the both of us“. Jedenfalls war damit auch der Musiker, Sänger, Rezitator Droste auf der Welt, der später mit dem Spardosen-Terzett, Danny Dziuk, Funny van Dannen musizierte.
Wiglaf durchfurchte schadlos die Schulhofrufe nach westfälisch „Wiechlaff“ oder kurz „Wiggi“. Bei Harry Potter taucht noch ein Wiglaf auf, und in der altsächsischen Beowulf-Sage. Dort ist es der junge schwedische Recke, der dem Titelhelden beim Angriff auf den Drachen als einziger zur Seite steht. Wäre dies die wahre Wurzel der Benamung, hätte die Familie Droste einen anderen Sohn auch gleich Beowulf nennen können. Was sie taten.
An der Berliner Universität hielt sich Droste knapp länger auf als im Moabiter Knast. Nach fünf Wochen „Publizistik und Kommunikationswissenschaften“ entließ er die Uni in eine ungewisse Zukunft. Im März ’88 beging der taz-Lokalteil den Internationalen Frauentag mit der Abbildung einer Banane in einer Vagina. Was wiederum die weibliche Belegschaft der taz mit einem „Frauenstreik“ beging. Worauf wiederum der just erst angedockte Droste seiner Aufgaben ledig war und sich der Erfindung des Poetry Slams widmen konnte.
Lesungen mit Saalschutz
Nachdem ein Autor im Blatt eine überfüllte Disco als „gaskammervoll“ beschrieben hatte, wofür es damals überraschend keinen Echo-Musikpreis gab, versuchte Droste dem Kollegen beizustehen und kommentierte den Streit als „Endlösung der Dudenfrage“. Im „Cafe Central“ am Nollendorfplatz begründeten die taz-Dissidenten daraufhin die „Höhnende Wochenschau“, eine papierlose Zeitung, von Autoren tagesaktuell ins Publikum gelesen; Jahrzehnte bevor der moderne „Dichterwettstreit“ der Textindustrie jäh die Milch einschießen ließ.
„Kommunikaze“ betitelte er sein erstes Buch um diese Zeit herum; da es inzwischen über dreißig sind, könnte man ihm auch einen Literaturpreis nur für die besten Buchtitel verpassen: „Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses“, „Die schweren Jahre ab 33“, „Auf sie mit Idyll“ oder „Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv“. Das riecht nach Erfolg, die Zeit adeltadelte Droste als „linksradikale Skandalnudel“ und „Heimatdichter der linken Szene“. – Sowas konnte nicht ungesühnt bleiben.
In die Titanic drosch Droste seinen Text vom „Schokoladenonkel“, plädierte wuchtig, nicht jeden Mann mit Schokolade am Kinderspielplatz zum Sexverbrecher hochzufiebern. Und reichte damit recht eigentlich den mäßigenden Stimmen in der Mißbrauchsdebatte ritterlich den Arm. Buttersäureanschläge, Mahnwachen, Schlägereien bei Lesungen, Steckbriefe, drei Veranstaltungen gesprengt, zwei Veranstalter kniffen. Wiglaf musste hinnehmen, dass er, der erfahrene Beamten- und Bundeswehrbeleidiger, unter Saalschutz las.
Morgens um sechs ist die Welt auch noch in Dortmund
Er ficht mit dem Säbel, sticht mit dem Florett, schrieben Rezensenten, und zugleich bestaunte man die jähe Wut, die aus Droste hervorbrach, wenn der Rest der Welt gesinnungsgemütlich im Eigenmief dämmerte. Er war eben kein Kirmesschläger, der sich vom Gaudium des Publikums zum Schlachtfest anstacheln ließe. Wo andere zaghaft ein Fenster spaltbreit öffnen, sprang er hindurch, und was dann hinterher blutet, ist nicht selten er selbst.
Warum er das tut – Gewalt wittert, wo andere noch schunkeln; gewaltig austeilt, wo der sanfte Ordnungsruf als Hochliteratur gilt – das wurzelt in Wiglafs Wissen um Verletzung.
Droste mochte, wie die Süddeutsche schrieb, „der Tucholsky unserer Tage“ sein – ganz sicher beherrscht er die Zärtlichkeit des Holzhammers, ist ein Hooligan der Inbrunst, und manchmal leider untröstlich und selbstzerstörerisch im falschen Trost. Sehen Sie Wiglaf Droste in seiner Lebensrolle als: „Der Unumarmbare“.
Doch morgens um sechs ist die Welt noch in Dortmund. Womit die abseitigen Neigungen des Preisträgers in einer Nussschale summiert sind: Borussia Dortmund, Wortspiele, und früh aufstehen. Ein Mann, der unverdrossen einen BVB-Anstecker an allen Konfektionsgrößen seines diesbezüglich abwechslungsreichen Lebens getragen hat, erlebt den Ballspielverein als eine Welt des guten Glaubens und der Hoffnung auf auch in dieser Höhe verdiente Auswärtssiege – leider in den Händen der falschen Geschäftsführung.
Von der Köstlichkeit der Worte
Das ähnelt Wiglafs Blick auf den Rest des Universums. Mitunter noch vor sechs Uhr gibt er sich die Ehre, den ersten Sonnenstrahl eines liebevollen Gedankens ungehemmt durch sich hindurch auf’s Papier fluten zu lassen: Über gutes Essen, über wundervolle Frauen. Oder er räumt umsichtig einen aktuellen Sprachunfall von der Straße, noch bevor wir daran verunglücken können. Oder er liebt einfach: Peter Hacks, Dashiell Hammett, Vincent Klink oder den großen Mitelch Harry Rowohlt.
Dessen ehernes Gesetz, wonach man sich dereinst für jeden ausgelassenen Kalauer vor Gott zu verantworten habe, reicht Wiglaf großzügig an Freunde aus, ein Rettungsring für strauchelnde Dichter. Droste selbst, das sei bitte durch die heutige Würdigung mitbeschieden, macht keine Kalauer; vielmehr werden durch ihn Formulierungen zu Drostizismen.
Klassiker wie die von den „leider nicht mehr sterblichen Gefährten“ wie eben Rowohlt, Meisterschmähungen gegen eine Welt voller „Friseure, die sich für Gehirnchirurgen“ ausgeben. Und köstlich, wenn das von Wiglaf Gemeinte sich Bahn bricht aufs Papier ohne Rücksicht auf den dann lächerlichen Umstand, dass es diese Worte vorher noch gar nicht gegeben hat: „gneisen“, oder „jabbeln“ schrieb er – nein, er „schrub“, oder wie Sigmar Gabriel „vor sich hin leberwurstet“, oder eben Feldjäger mit „Waschbrettköpfen“.
Ein „Häuptling Eigener Herd“
In seiner dann plötzlich letzten Kolumne in der taz beschrieb er diesen göttlichen Moment der Wortwerdung: „Es kam aus dem Leben selbst zu mir, legte sich auf meine Zunge und verlangte, als Wort geboren zu werden. Ich erfüllte dem Wort seinen Wunsch, sprach es aus und entließ es in die Welt: Trittbrettficker“. Die Kolumne erschien dann bereits in der Jungen Welt, für deren Feuilleton er seither fest frei schrieb.
Die Wuchtschmähung „Trittbrettficker“ münzte er auf die „Gesellschaft für deutsche Sprache“, der als „Wort des Jahres 2006“ nur „Fanmeile“ eingefallen war. Wiglaf hingegen war der Solitär für deutsche Sprache, ein „Häuptling Eigener Herd“ im Sprechen und Schreiben wie im Speisen.
Mit Vincent Klink versah er diese Papier gewordene Appetitlichkeit viele Jahre, dichtete über Wurst, Wein, Weihnachten. Die „kulinarische Kampfschrift“ erschien so „vierteljährlich wie möglich“, denn man kann nichts schreiben, was man nicht gegessen hat. Da schwärmte der drastische Droste, dichtete Hymnen, ließ einem Wasser in Mund und Augen treten.
Hier also umarmte Wiglaf Droste – in der Kunst, in der Literatur, der Musik, in der Küche und im Lieben und im Leben. An diesen Mut zum Guten, den Wiglaf vorlebte, werden wir uns unerschrocken halten. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ist Wiglaf Droste gestorben.
Dieser Text basiert auf einer Laudatio zur Verleihung des „Göttinger Elches“ im Jahr 2018.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge