Zukunft des Nordatlantikpakts: Was mit der Nato noch geht
Wie sähe der Nordatlantikpakt ohne Beteiligung der USA aus? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Münchner Sicherheitskonferenz. Drei Szenarien.
Wenn in diesen Tagen das Who-is-Who der Außen- und Verteidigungspolitik zum großen Sicherheitsevent nach Bayern kommt – nämlich zur Münchner Sicherheitskonferenz – dann dominiert einer das Parkett im edlen Bayerischen Hof, der gar nicht anwesend ist: Donald Trump.
Der ehemalige republikanische US-Präsident, der sich selbst schon in der nächsten Amtszeit sieht, hat an der Bereitschaft der USA, im Ernstfall verbündete Nato-Staaten zu unterstützen, in den vergangenen Tagen große Zweifel gesät. Nur wer auch entsprechend in das Bündnis einzahlt, dem würde im Angriffsfall geholfen. Die Beistandsfrage ist alles andere als ausgemacht und dies in einer Zeit, in der spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 klar ist, dass eine kriegerische Bedrohung in Europa real ist.
Obwohl Trump noch lange nicht neuer Präsident ist und der amtierende Demokraten-Präsident Joe Biden sich um Schadensbegrenzung bemüht, ist das Vertrauen in die sicherheitspolitische Säule USA erschüttert. Die Debatte um Alternativen läuft. Einige Gedankenspiele dazu.
Eine Nato ohne die USA
Dieses Szenario könnte so manche Kriegsgegner:innen, die an diesem Wochenende in München auf die Straße gehen, um gegen die Nato, die USA in der Nato und überhaupt die ganze Waffen- und Kriegsfixierung zu demonstrieren, höchst erfreuen. Kommt der Exit der USA aus dem Militärbündnis, das in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert? Und das in einer Zeit, in der die beteiligten Staaten aus dem 2019 von Frankreichs Präsident Macron attestierten „Hirntod“ erweckt wurden und im Ukraine-Krieg Geschlossenheit beweisen wollen?
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So einfach wäre es für die USA als größter und stärkster Partner nicht, das Bündnis zu verlassen. Im National Defense Authorization Act wurde festgehalten, dass ein Ausscheiden ohne die Zusage des Senats oder des Kongresses nicht möglich ist. Störeffekte könnte Trump dennoch streuen. Indem er etwa keinen Nato-Botschafter ernennt, oder diese Position nicht mehr als eine starke Stimme im Auftrag des Präsidenten agiert. Sollte es zum Ernstfall Trump kommen, könnte dieser sich verstärkt auf bilaterale Abkommen konzentrieren. Etwa eine punktuelle Unterstützung einzelner Staaten, je nachdem, ob diese im Interesse der USA liegt.
Die Bedrohungslage für Polen oder die baltischen Staaten ist damit nicht gelöst, ein entsprechendes Schutzversprechen nicht gegeben. Ohnehin ist die Unterstützung der Nato-Staaten, wenn der Bündnisfall ausgerufen wird, also es zu einem Angriff auf eines der Bündnisländer kommt, nicht klar definiert. Vom Telegramm, das den Angriff verurteilt, über logistische und strategische Unterstützung bis zum Einsatz von Truppen ist alles möglich.
Fakt ist auch: Es ist nicht das erste Mal, dass aus den USA die scharfe Aufforderung an die Bündnisstaaten kommt, deutlich mehr Geld für Verteidigung bereitzustellen. Auch Ex-Präsident Barack Obama tat dies, ebenso wie der amtierende Präsident Joe Biden. So konnte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg diese Woche stolz verkünden, dass zwei Drittel der Nato-Staaten das gemeinsame Ziel erreicht haben, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungsetat bereitzustellen.
Der Druck wird also bestehen bleiben, unabhängig davon, wer die kommende Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt. Hinzu kommt, dass sich auch die USA neben dem schwelenden Konflikt im Indo-Pazifik und mit China keine offene Ostflanke in Europa leisten können. Die Karten mischen sich also nur bedingt, Europa wird stärkerer Akteur in der Nato werden – und muss die trumpschen Ungewissheiten und Zündeleien aushalten.
Die EU rüstet gemeinsam auf
Der bereits etwas abgenutzte Begriff der Zeitenwende ist weitreichender als jede Diskussion über Lieferungen schweren Kriegsgeräts der Verbündeten an die Ukraine. „Wir Europäer müssen in der Lage sein, uns selbst besser zu verteidigen“, fasste Bundesaußenministerin Annalena Baerbock dies zusammen. Die Grünen-Politikerin entwickelt dafür bereits Ideen.
Ihr schwebt eine Sicherheits- und Verteidigungsunion vor, die den Europa-Pfeiler in der Nato stärkt, also eine Art europäisches Bündnis im Bündnis. Ziel davon ist, sich aus der Abhängigkeit der USA zu befreien. Es geht um die gemeinsame Beschaffung von Kriegsgerät, um Industriekooperationen, um Investitionen in das „Generationenprojekt Verteidigung“.
Und es wird bereits konkret, an welcher Stelle sich Deutschland einbringen könnte: Bei der Luftverteidigung oder bei den Heereskräften. Wie schon andere Sicherheitspolitiker:innen in dieser Woche bringt auch die deutsche Außenministerin die Geldfrage ins Spiel. Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr wird vermutlich nicht das letzte gewesen sein; für den Aufbau einer Verteidigungs-Union dürfte die Zwei-Prozent-Abgabe deutlich steigen, möglicherweise auf bis zu fünf Prozent.
Neuer Anstrich fürs „Weimarer Dreieck“
Entscheidende Akteure bei diesem Zusammenschluss sind Frankreich und Polen. Gemeinsam mit Deutschland bilden sie das sogenannte „Weimarer Dreieck“, gegründet 1991, als neue politische Achse in Europa. Damals – wie es der dann amtierende Außenminister Hans-Dietrich Genscher nannte – standen „kulturelle und geistesgeschichtliche Gedanken der europäischen Einheit“ im Mittelpunkt.
2024 bekommt das Dreieck den Anstrich eines Verteidigungs- und Sicherheitsbündnisses. Es herrscht wieder Krieg in Europa. Polen und die baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland sehen sich einer verschärften Bedrohung durch den russischen Aggressor Putin ausgesetzt. Wirtschaftlich sind diese Staaten gut aufgestellt, und fordern Absprachen auf der viel gerühmten „Augenhöhe“ ein. Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik befindet sich auf dem Sprung zur nächsten Stufe.
Wie glaubwürdig ein solches Szenario dann tatsächlich ist, wird sich an der Geschlossenheit für die Ukraine in den kommenden Monaten ablesen lassen. Fallen die USA als größter Geldgeber, Waffenlieferant und Unterstützer doch aus, ist die Verteidigungsunion gefragt – finanziell, wie mit konkreter Ausrüstung. Beim letzten Treffen des Dreiecks ging es zunächst um eine gemeinsame Cyberabwehr und den Kampf gegen Desinformation.
Der Kriegsverein wird Friedensclub
Stellen Sie sich vor, das angekratzte Vertrauen in ein Bündnis, das in anderen Zeiten und zu anderen Gegebenheiten gegründet wurde, führt in eine Zeitenwende hin zu mehr Gerechtigkeit, einem Ausgleich zwischen armen und reichen Staaten, zu einem gemeinsamen Kampf gegen Klimakrise, Armut und Hunger auf der Welt.
Ein konkretes Beispiel dafür wäre das Einhalten der sogenannten ODA-Quote, die 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht, die in eben diesen Kampf gegen Ungleichheit und Entwicklungszusammenarbeit weltweit fließen. Was utopisch klingt, fordern Polit-Promis in diesen Tagen.
„Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik“, heißt es in einem Appell, den unter anderem der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler (CDU), Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) oder die beiden Ex-Bundesentwicklungsminister Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und Gerd Müller (CSU) unterzeichnet haben. Selbst der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Christoph Heusgen hat die Forderung unterzeichnet. Allerdings hat sich kein amtierender Staats- und Regierungschef angeschlossen.
Dabei wäre der Appell ein Auftrag, auch an SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz. Der könnte durchaus etwas anstoßen. Als es mit dem effektiven Einsatz gegen die Klimakrise 2023 kein internationales Einsehen geben wollte, rief der Kanzler den Klimaclub aus. Leicht verlacht, scharte Scholz in einer Koalition der Willigen unter den G7-Staaten Klimakämpfer um sich, die sich auf eine Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 einigten und die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollten.
Geld ist kein Tabu
Ehrlicherweise ist die Initiative leicht verpufft und die Kriegslagen haben die Klimakrise aus den Schlagzeilen verdrängt. Aber es war ein Vorstoß, Alternativen zu nicht mehr funktionierenden oder trägen Bündnissen anzubieten.
So könnte es auch in Sachen Frieden sein. Clubgründer Scholz könnte sich so an die Spitze einer neuen Bewegung stellen, die Sicherheit nicht nur in Panzern, Munition und Kampfjets misst, sondern einen vernetzten Sicherheitsbegriff ernst nimmt.
Derzeit fällt Weltgemeinschaft, EU und demokratischen Staaten allerdings kaum mehr ein, als auf Aggressoren wie den russischen Präsidenten mit militärischer Stärke zu reagieren. Über mehr Kriegsgerät zur Abschreckung, sogar über eine erweiterte nukleare Aufrüstung, also mehr Atombomben in Europa, wurde und wird diskutiert. Geld ist dabei kein Tabu.
Gleichermaßen wurden feste Zusagen und Versprechen, in Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit zur Friedenssicherung gleichermaßen zu investieren, in den Hintergrund gedrängt.
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