Zukunft der USA: Politische Gewalt
Was bedeuten die Ereignisse von Washington eigentlich für Joe Biden? Seinen Kurs der nationalen Versöhnung kann er wohl nicht weiterfahren.
D iskutiert wird derzeit – wieder einmal – über den noch immer amtierenden US-Präsidenten Donald Trump, dieses Mal über den Anteil an Schuld, den er an dem Angriff eines Mobs auf das Kapitol in Washington trägt. Ich finde, salopp gesagt, er gehört hinter Gitter, aber mehr will ich darüber jetzt nicht schreiben. Genug ist genug. Ein anderes Thema halte ich inzwischen nämlich für sehr viel wichtiger: was die Ereignisse für Joe Biden bedeuten. Sie drohen seine Präsidentschaft scheitern zu lassen. Gleich zu Beginn und ohne dass er einen großen Handlungsspielraum hätte. Donald Trump darf sich gratulieren.
Politische Gewalt hört nicht einfach auf, wenn sie einmal angefangen hat und von einem nennenswerten Teil der Bevölkerung für richtig gehalten wird. Sie endet meist erst dann, wenn die Ziele wenigstens teilweise erreicht sind oder der öffentliche Beifall erstirbt. Das kann lange dauern.
Joe Biden hat seinen Wahlkampf unter die Überschrift der nationalen Versöhnung und der Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg gestellt. Je nach Standpunkt konnte man das naiv oder ehrenwert oder beides finden. Fest steht: Die Ereignisse sind über seinen Kurs hinweggerollt und haben ihn plattgemacht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Wortführer des Mobs, der das Kapitol stürmte, sind – soweit sie bisher bekannt sind – allesamt Rechtsextremisten. Ohne gemeinsame Organisationsstruktur, aber mit ähnlichen Überzeugungen: dass die Vorherrschaft der Weißen gottgewollt ist, das Recht auf Waffenbesitz unveräußerlich und dass liberale politische Ansichten das Ende der Zivilisation bedeuten. Geltendes Recht und die Verfassung sind diesen Leuten egal, wenn sie ihre Positionen durchsetzen wollen.
Und es geht bei dem ganzen Gerede über „legal“ und „illegal“ abgegebene Stimmen vor allem um eines: dem afroamerikanischen Teil der Bevölkerung und anderen Minderheiten ihr Wahlrecht abzusprechen. Um Rassismus eben. Selbst wenn – und ich will Joe Biden da nichts unterstellen – ein liberaler Demokrat es für geboten hielte, hier eine Hand zur Versöhnung auszustrecken: Sie würde hohnlachend weggeschlagen. Kompromissbereitschaft entzieht Rechtsextremisten die Grundlage für ihr Handeln. Immer und überall.
Noch jemand Fragen?
Solange zumindest ein Teil der republikanischen Partei so tut, als sei die Frage nach dem Wahlausgang sachlich und legitim, so lange kann Joe Biden fast nichts für die nationale Versöhnung tun. Anders ausgedrückt: Obwohl die Republikaner inzwischen sogar die Mehrheit im Senat verloren haben, sind noch immer sie es, die an den Fäden ziehen können. Hat noch jemand Fragen, warum manche in ihren Reihen nach wie vor das Wahlergebnis in Zweifel ziehen?
Wäre ich verantwortlich für die Sicherheit während der Feier zur Amtseinführung von Joe Biden – zum ersten Mal wäre ich vermutlich dankbar für Corona. Auf die Seuche lässt sich schieben, was im Licht der Ereignisse ohnehin unvermeidlich ist: kein Bad in der Menge, kein Auftritt vor jubelndem Publikum. Viel zu riskant. Was für eine Niederlage für die demokratische Öffentlichkeit.
Und, dramatischer und folgenreicher: Es ist nicht auszuschließen, es ist sogar wahrscheinlich, dass Joe Biden am Tag seiner Amtseinführung den Einsatz von Sicherheitskräften gegen Demonstranten anordnen muss. Wenn die radikale Rechte in den USA nicht vollständig planlos ist, dann bereitet sie Aktionen vor, die genau zu diesem Termin genau das erzwingen. Bisher spricht nichts dafür, dass sie planlos ist. Ein schauerliches Symbol für den Beginn einer neuen Präsidentschaft wird zu besichtigen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut