Zivilgesellschaft unter Druck: Riskante Demokratiearbeit
Im Visier der AfD, unsichere Finanzierung, die Gemeinnützigkeit gefährdet: Initiativen gegen rechts sehen sich zunehmend in ihrer Arbeit bedroht.
Die Gruppe war für Nachfragen nicht erreichbar. Aber schon zuletzt hatte die Thüringer Opferberatungsstelle ezra gewarnt, dass sich Sonneberg seit der Wahl des AfD-Landrats zu einem „Hotspot“ rechter Gewalt entwickelt habe. 20 Angriffe zählte die Stelle im vergangenen Jahr. In Sonneberg werde „wie unter einem Brennglas sichtbar, wie rechte Gewalt dort zunimmt, wo Täter erkennen, dass ihre Taten eine breite Unterstützung der Bevölkerung haben“, warnte ezra-Projektleiter Franz Zobel.
Und auch Felix Steiner, Sprecher der Mobilen Beratung Thüringen, zeigt sich alarmiert: „Dass engagierte Menschen wie ‚Sonneberg gegen Nazis‘ sich nach mehr als 10 Jahren Positionierung gegen die extreme Rechte aus Sicherheitsgründen zurückziehen, ist mehr als ein Alarmsignal.“ Wenn Morddrohungen Menschen abhielten, sich für Demokratie einzusetzen, müsse Solidarität die Antwort sein, so Steiner. „Sonneberg ist dabei nur ein aktuelles Beispiel von Bedrohungen gegen Engagierte, das zeigt, welches Klima das neue Selbstbewusstsein extrem rechter Akteure, vor allem in ländlichen Räumen, erzeugt.“
Tatsächlich ist Sonneberg kein Einzelfall. Bundesweit beklagen derzeit Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, dass sie unter Druck stehen wie lange nicht mehr: Die AfD nehme sie zunehmend ins Visier, die Bundesregierung lasse sie allein.
„Unsere Existenz steht auf dem Spiel“
Gerade erst verschickten gut 100 Initiativen einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Forderung, endlich eine im Ampel-Koalitionsvertrag versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrecht umzusetzen – um ihre Existenz nicht zu gefährden, sobald sie sich gegen rechts engagieren. Darunter sind Sportvereine, AWO-Verbände, Naturschutzvereine, Kultur- oder Jugendprojekte. Finanzämter machten Druck, weil sie Demonstrationen organisiert hätten, heißt es in dem Schreiben. Der Landesrechnungshof drohe mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit, weil der Einsatz für Grundrechte „einseitig“ sei. Und von der AfD gebe es Anzeigen beim Finanzamt. „Das macht Angst, denn ohne den gemeinnützigen Status steht unsere Existenz auf dem Spiel.“
Man denke daher über jede Aktion zweimal nach, so das Schreiben weiter. Engagement für die Demokratie gehe so verloren. Und die Bundesregierung habe bisher versäumt, mit einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts diese Arbeit zu schützen. Das aktuelle Jahressteuergesetz 2024 sei dafür die letzte Chance vor der Bundestagswahl – aber dort stehe dazu „kein Wort“, so die Initiativen. „Wir sind bestürzt.“ Der Einsatz für demokratische Werte müsse gesetzlich „endlich eindeutig gemeinnützig“ sein.
Die rechtliche Unsicherheiten in diesem Feld und das Neutralitätsgebot für gemeinnützige Vereine hatte sich zuletzt die AfD zunutze gemacht. So wurde etwa der Verein „München ist bunt“ von der AfD beim Finanzamt angezeigt, nachdem sich dieser wiederholt gegen die Partei positioniert hatte. Er gehe davon aus, dass am Ende die Gemeinnützigkeit aberkannt werde, erklärte der frühere AfD-Abgeordnete Uli Henkel. „Was tut schon mehr weh als der Entzug von Spendengeldern?“
Laut dem Bündnis um den Scholz-Brief, „Zusammen gegen rechts“, gibt es „mehrere“ weitere Initiativen, die zuletzt von der AfD bei Finanzämtern angezeigt wurden. Im Fall einer Gewerkschaftsjugend in Thüringen soll ein Finanzamt auch von sich aus die Gemeinnützigkeit entzogen haben – wegen Unterstützung einer Demonstration zum 1. Mai oder einer gegen den FDP-Politiker Thomas Kemmerich.
Auch der Verein Miteinander in Magdeburg hat den Brief unterzeichnet und kennt das AfD-Vorgehen. Dort hatte sich die Partei in einer Enquete-Kommission im Landtag wiederholt über die Finanzen des Vereins erkundigt. „Natürlich zielte das auch auf den Entzug von Geldern und Gemeinnützigkeit“, sagte David Begrich von Miteinander der taz. „In unserem Fall war es nur eine Drohung. Aber für die AfD ist es Teil der politischen Agenda: Wenn sie die Machthebel dafür haben, werden sie diese nutzen, um politische Gegnern die Finanzen und Arbeitsgrundlagen zu entziehen.“
Unsicherheit besteht seit 10 Jahren
Die Unsicherheit um die Gemeinnützigkeit bei politischen Aktivitäten besteht schon seit 10 Jahren – seit diese damals Attac aberkannt wurde. Das zuständige Bundesfinanzministerium gab sich am Montag bedeckt zur versprochenen Reform des Gemeinnützigkeitsrecht. Ein Sprecher verwies auf laufende Gespräche in der Bundesregierung, „welche konkreten Regelungen“ hier notwendig seien. Schon jetzt sei es laut einer Verwaltungsanweisung für gemeinnützige Organisationen aber möglich, zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus aufzurufen, betonte ein Sprecher. Hier wolle man aber gesetzlich nachsteuern. „Eine gesetzliche Regelung ist gegenüber einer Verwaltungsanweisung sichtbarer und verbindlicher.“
SPD und Grüne aber machen nun Druck. „Der Hilferuf aus der Zivilgesellschaft muss ernst genommen werden“, erklärte die Grünen-Politikerin Sabine Grützmacher. „Es kann nicht sein, dass kleine Vereine, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, zum Verstummen gebracht werden.“ Wenn man von diesen ein Lautwerden gegen Rechtsextremismus einfordere, müsse man auch die versprochene Rechtssicherheit liefern. „Das Gemeinnützigkeitsrecht braucht ein Update.“
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.
Auch die SPD-Abgeordnete Nadine Heselhaus sagte der taz, sie hätte sich eine schnellere Umsetzung der Reform gewünscht. Der Brief zeige noch einmal die Dringlichkeit. „Vereine und Initiativen brauchen Rechtssicherheit, wenn sie zu Demonstrationen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufrufen.“
Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ setzt sich schon seit Jahren für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein, verschickte am Montag mit 53 Vereinen ebenso einen Brief an Scholz. Der AfD und allen, die ein autoritäres System wollten, seien zivilgesellschaftliche Gruppen ein Dorn im Auge, betonte Sprecher Stefan Diefenbach-Trommer. Oft erfolge das Vorgehen scheibchenweise. Erst werde nur Transparenz verlangt, später eine Prüfung beim Finanzamt, dann eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit. „Das bedeutet immer bürokratische Belastung, welche die Arbeit der Engagierten ausbremst“, so Diefenbach-Trommer. „Das Ziel ist, einen politischen Gegner über Formalien vom Spielbrett zu schieben. Das ist antidemokratisch.“ Ziel einer Gesetzesreform müsse deshalb sein, dass demokratisches Engagement immer als gemeinnützig anerkennt werde, so Diefenbach-Trommer. Und dies müsse sowohl für Vereine gelten, die sich nur gelegentlich politisch engagierten – aber auch für diejenigen, die das dauerhaft tun, wie etwa die Omas gegen rechts.
Bis heute kein Demokratiefördergesetz
Mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen beklagen aber auch, dass das von der Ampel ebenfalls versprochene Demokratiefördergesetz bis heute nicht da ist, das eine Finanzierung der Projekte langfristig absichern würde. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatten hier bereits Ende 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Seitdem blockiert es die FDP, die das Gesetz für zu weitgehend hält und auf die Wiedereinführung einer „Extremismusklausel“ pocht.
Und erst vor wenigen Tagen startete eine Petition, mit der Projekte verhindern wollen, dass ihnen im Zuge der Haushaltsdebatte die Förderung gestrichen wird, etwa im Bundesprogramm „Demokratie Leben“. Es drohten „massive Kürzungen oder gar das Aus“, heißt es dort. Ebenfalls an Scholz wird appelliert, in den Haushaltsverhandlungen hier die Finanzierung zu sichern. „Sparen Sie nicht am falschen Ende. Gerade jetzt brauchen wir diejenigen, die sich für unsere Gemeinschaft einsetzen.“ 73.500 Personen unterzeichneten die Petition bisher.
Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, warnt, dass sich die Situation für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus durch die Erfolge der AfD in Ostdeutschland immer weiter zuspitze. In vielen Städten und Gemeinden könne die Partei jetzt mit darüber bestimmen, welche Träger gefördert oder welches Engagement eingestellt werden soll. „Deswegen wäre eine Unterstützung vonseiten des Bundes jetzt ein wichtiges Signal“, so Reinfrank. „Der Bund muss endlich sicherstellen, dass das Engagement für die Ziele unseres Grundgesetzes mit dem Gemeinnützigkeitsrecht vereinbar ist.“
Und er dürfe auch keine Kürzungen bei der Demokratieförderung vornehmen. „Im Gegenteil“, so Reinfrank. „In die Demokratie muss investiert werden.“
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