Zeichnerin Beaton über Comic „Ducks“: „Ich habe alles genau so erlebt“
Die Zeichnerin Kate Beaton schildert in „Ducks“ ihre Arbeit in Kanadas Ölsanden. Sie spricht über Folgen für die Umwelt und sexuelle Übergriffe.
wochentaz: Frau Beaton, bei uns weiß man wenig über die kanadische Ölförderung. Was hat es mit ihr auf sich?
Kate Beaton: Die oil sands im Norden Kanadas sind das weltweit drittgrößte Ölvorkommen. Aber sie sind kaum bekannt, weil es sich bei ihnen nicht um Quellen, sondern um Sedimente handelt. Das Öl ist mit Sand und Erde vermischt, und um es zu fördern, wie in einer Mine, muss man eine Menge Energie verbrauchen – die wiederum von Öl erzeugt wird!
Das klingt nicht nach einer umweltverträglichen Förderung.
Man benötigt sehr viel Wasser, um Öl und Sand zu trennen. Das Abwasser wird in Becken voller Giftmüll geleitet. Die Gesamtheit dieser Becken, die um einen der oil sands liegen, entspricht der Oberfläche der Stadt Vancouver. Aus ihnen sickert Gift in den Boden, das die Krebsrate der indigenen Bevölkerung ansteigen lässt. Aber die Industrie und die Regierung weigern sich, diesen Zusammenhang anzuerkennen; sonst müssten sie hohe Entschädigungen zahlen oder sogar die Ölförderung einstellen.
Im Nachwort Ihrer Graphic Novel weisen sie darauf hin, dass das Gebiet der oil sands den Indigenen gestohlen wurde.
In den 1960ern, als die Ölförderung begann, lud man die lokalen Indigenen zu Gesprächen ein. Aber zu behaupten, es hätte einen echten Dialog gegeben, wäre eine Farce. Sie hatten keine andere Wahl, als zuzustimmen. Der Abbau hätte ohnehin begonnen, und über dessen langfristige Folgen hat man die Indigenen nicht informiert.
Sie haben nicht freiwillig in den oil sands gearbeitet, sondern weil Sie Ihr Studiendarlehen abarbeiten mussten.
Ich komme aus einer ländlichen Gegend im Osten Kanadas, die aufgrund ökonomischer Veränderungen ab den 1980ern zunehmend verarmte. Auf der High School wurde uns der Besuch der Universität als Chance angepriesen. Aber mit meinem Bachelor of Arts fand ich dann keinen Job. Außerdem wollte ich möglichst schnell dieses Darlehen abzahlen. Also ging ich zu den oil sands, wie so viele zuvor.
Die Arbeit dort war ein Kulturschock für Sie, nicht zuletzt wegen der permanenten sexuellen Belästigung.
Sexuelle Belästigung erfährt jede Frau, nur nicht in diesem Maße. Man muss jedoch die Umstände berücksichtigen. Da gab es Männer, die aus meiner Heimat kamen, aber sie hatten sich stark verändert. Das lag an diesen Arbeitsorten, an der sozialen Isolation, der Einsamkeit, an Alkohol, Drogen und dem Druck, der auf allen lastete. Die Männer drehten durch. Sie taten Dinge, die sie zu Hause nie getan hätten. Das macht mich eher traurig als wütend.
Kate Beaton: „Ducks. Zwei Jahre in den Ölsanden“. Aus dem Englischen von Jan Dinter. Reprodukt, Berlin 2023, 448 Seiten, 39 Euro
Einige der älteren Frauen wollten Sie nicht verstehen. Nach ihrer Ansicht waren, was die Männer Ihnen sagten, doch nur Komplimente.
Solche Frauen denken so etwas wie: „Ach, wäre ich noch einmal jung!“ Die Vorstellung, dass Frauen untereinander zwangsläufig solidarisch sind, trifft leider nicht zu. Es gibt ja auch genug, die Trump toll finden.
Sie wurden zweimal vergewaltigt, aber die Männer, die Ihnen das antaten, nahmen es wohl gar nicht als Vergewaltigung war.
Bei einem der Männer ergab es sich für ihn einfach aus dem Verlauf des freien Abends, den wir hatten. Danach ist er gleich los, um sich mit seinen Freunden zu treffen; das war ihm letztlich wichtiger als der erzwungene Sex mit mir.
Kate Beaton, geboren 1983, wurde mit dem Comic-Strip „Hark! A Vagrant“ (deutsch als „Obacht! Lumpenpack“) bekannt, in dem sie auf satirisch-humoristische Weise bekannte Gestalten vor allem der Welt- und Literaturgeschichte porträtiert. In „Ducks“ teilt sie ihre Erlebnisse auf den kanadischen Ölfeldern mit, wo sie von 2005 bis 2008 als Werkzeugverwalterin und Bürokraft arbeitete.
Sie zeigen die Vergewaltigungen nur indirekt, im ersten Fall als eine Folge schwarzer Panels, im zweiten als eine Out-of-Body-Experience Katies.
Auf diese Weise war es möglich, der jüngeren Version meiner selbst nicht ihre Würde zu rauben. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich das am besten zeichne.
„Ducks“ unterscheidet sich inhaltlich von den Comics, die Sie bislang gemacht haben. Doch Sie erzählen nach wie vor keine zusammenhängende Geschichte. Sie schildern Szenen, die nur locker miteinander verbunden sind.
Ja, ich habe mich nicht grundlegend verändert. Mich interessieren bestimmte Momente, in denen deutlich wird, was Menschen ausmacht und wie sie interagieren. In „Ducks“ wollte ich nicht im klassischen Sinne etwas erzählen, sondern das Lesepublikum an Situationen teilhaben lassen. Ich habe das alles genau so erlebt; nichts ist erfunden.
Zeichnerisch fokussieren Sie sich stark auf die Mimik und Gestik Ihrer Figuren. Hintergründe spielen kaum eine Rolle.
Manchmal habe ich in der Tat überlegt, mehr Hintergründe zu zeichnen, damit nicht Leute zu mir kommen und sagen: „Hey, ich hab dein Buch an nur einem Nachmittag durchgelesen!“
In einzelnen großen Panels zeigen Sie aber, detailliert gezeichnet, verschiedene Wildtiere, die majestätische Natur in der Umgebung der Camps und die Maschinen, mit denen dort gearbeitet wird.
Selbst auf Fotos kann man sich nicht vorstellen, wie groß diese Maschinen sind. Man muss die Trucks und die Kräne selbst gesehen haben. Einmal wurde, in Einzelteile zerlegt, der höchste Kran der Welt geliefert, und als man ihn aufgebaut hatte, war er einfach nur eine weitere riesige Maschine.
Warum haben Sie sich eigentlich entschieden, den Comic „Ducks“ zu nennen?
In den giftigen Abwasserbecken sind mehrfach Enten gestorben. Ihnen erging es ähnlich wie den Arbeitern. Sie zogen umher, glaubten, an einen für sie guten Ort gekommen zu sein – und der wurde ihr Verhängnis. Außerdem hat das Schicksal der Enten erstmals weltweit auf die kanadische Ölförderung aufmerksam gemacht. Vorher hat sich niemand dafür interessiert. Angesichts der sonstigen ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Schäden, die aufs Konto der Ölförderung gehen, war die Aufregung über die Enten allerdings unangemessen und heuchlerisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern