Zehn Jahre nach Fukushima: Japan gedenkt der Opfer
Der Tsunami von Fukushima am 11. März 2011 tötete Tausende Menschen. Bis heute leiden Überlebende unter den Folgen der Katastrophe.
Eine gigantische Flutwelle bäumte sich damals an der Pazifikküste auf und walzte alles nieder: Ganze Städte, Dörfer und riesige Anbauflächen versanken in den Wasser- und Schlammmassen. Rund 20.000 Menschen riss die Flut in den Tod. In Fukushima kam es in der Folge im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi zu einem GAU. Er wurde in aller Welt zum Sinnbild der „3/11“ genannten Dreifach-Katastrophe als Folge von Erdbeben, Tsunami und Atomunfall – auch wenn keiner der Todesfälle auf die radioaktive Strahlung zurückgeführt wird.
Seinen drei toten Kindern im Himmel sage er noch immer, wie leid es ihm tue, „dass ich euch nicht beschützen konnte“, sagte ein 52-jähriger Zimmermann im japanischen Fernsehen. Auf seinem Grundstück in der mit rund 3.000 Todesopfern am schwersten betroffenen Hafenstadt Ishinomaki baute er drei Jahre nach dem Tsunami ein hölzernes Klettergerüst für die Kinder im Ort. Er wünsche sich, dass ihr Lächeln den Himmel erreichen möge, erzählte er dem Sender NHK. Man wolle die Erinnerung aufrechterhalten, „damit ein solches Opfer nie wieder erbracht werden muss“, sagte Bürgermeister Hiroshi Kameyama am Donnerstag bei der feierlichen Enthüllung eines neuen Mahnmals.
Rund 2.500 der Opfer gelten offiziell weiter als vermisst. Polizisten, die Küstenwache und Freiwillige setzten die regelmäßige Suche nach ihren Überresten am zehnten Jahrestag der Katastrophe fort, denn für Japaner können die Seelen nicht eher ruhen.
Manche Gegenden sind noch immer Sperrzone
Auch ausländische Politiker und Prominente gedachten der Katastrophe in Japan. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würdigte „den Geist des Widerstands und der Standhaftigkeit“ des japanischen Volkes. Die Sängerin Lady Gaga sagte, die „Widerstandsfähigkeit“ der Japaner biete „Hoffnung im globalen Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie“.
Der Wiederaufbau trete jetzt in die letzte Phase, erklärte der japanische Ministerpräsident Yoshihide Suga während der Gedenkfeier im Nationaltheater von Tokio, die wegen der Coronapandemie kleiner ausfiel. Es war die letzte zentrale staatliche Gedenkfeier in dieser Form. Der Staat werde die Unterstützung für die Katastrophenregion fortsetzen und bemühe sich um schnelle Rückkehr der Bewohner in den vom GAU betroffenen Gebieten, sagte Suga. 32 Billionen Yen (248 Milliarden Euro) hat die Regierung in den Wiederaufbau gesteckt. So wurden entlang der Nordostküste des Landes auf über 430 Kilometer Länge monströse Betonmauern von bis zu 15 Metern Höhe hochgezogen.
Kritiker sprechen von einer gigantischen Festung, die die Sicht auf das Meer versperre und die Landschaft verschandelt habe. Die Mauern würden zudem das Risiko bergen, dass Wasser nicht zurückfließen könne, sollte ein erneuter Tsunami über sie hinwegschwappen.
Heute leben von den 470.000 Menschen, die zwischenzeitlich wegen der Dreifachkatastrophe fliehen mussten, noch immer rund 41.000 Menschen entwurzelt, die meisten davon aus Fukushima. Denn noch immer sind dort manche Gegenden um die Atomruine wegen der Strahlung eine Sperrzone.
Frühere Bewohner zögern, zurückzukehren
Zwar sind die meisten Anordnungen für eine Evakuierung inzwischen aufgehoben, doch viele frühere Bewohner zögern, angesichts mangelnder Arbeitsplätze und bestehender Sorgen über Strahlen zurückzukehren. Die Katastrophe hat die Abwanderung aus der Region, die schon vor der Katastrophe im Zuge von Überalterung einsetzte, noch beschleunigt.
Ungeachtet dessen soll in zwei Wochen in Fukushima der Fackellauf für die im Sommer geplanten Olympischen Spiele beginnen. Die Regierung will die Spiele nutzen, um der Welt den Wiederaufbau zu zeigen. Doch für viele Überlebende ist der noch lange nicht beendet. Rund 2.000 Betroffene sind weiterhin in Behelfsunterkünften untergebracht.
Kaiser Naruhito sagte bei der Gedenkveranstaltung in Tokio, dass sein Herz angesichts der Opfer schmerze. Er rief jeden Bürger dazu auf, den Überlebenden beizustehen, damit sie möglichst schnell wieder ein friedliches Alltagsleben führen können. Niemand dürfe „in dieser schwierigen Situation“ allein gelassen werden, mahnte der Monarch. Experten berichten von Depressionen und Selbstmorden in Fukushima und warnen vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und Diskriminierung.
Inzwischen berichtete der japanische Fernsehsender NHK von weiteren Problemen in der Atomruine Fukushima. Der Wasserpegel im Untergeschoss des zerstörten Reaktors 3 sei aus noch ungeklärter Ursache gestiegen.
Bergungsarbeiten werden noch 40 Jahre dauern
Dies deutet auf mögliche neue Schäden durch ein schweres Erdbeben hin, das erst kürzlich die Unglücksregion erschütterte. Rund 4000 Arbeiter sind weiterhin tagtäglich in der Atomruine mit Bergungsarbeiten beschäftigt. Bis zu 40 Jahre wird es nach amtlichen Angaben dauern, bis die Anlage stillgelegt ist, doch halten Kritiker diesen Zeitrahmen für viel zu optimistisch.
Noch immer weiß niemand, wo genau sich der geschmolzene Brennstoff befindet, geschweige denn, wie man ihn dort herausholen kann. Hinzu kommt die Frage, was mit den inzwischen über eine Million Tonnen gefiltertes Wassers aus den zerstörten Reaktoren geschehen soll, das in 1000 riesigen Tanks auf dem Gelände gelagert ist. Laut dem Betreiberkonzern Tepco werden die Tanks im Herbst 2022 voll sein.
Rund 14 Millionen Tonnen an radioaktivem Abraum wie Erdboden, Bäumen und Sträuchern, der bei der vom Staat großflächig in der Präfektur Fukushima angeordneten Dekontaminierung angefallen war, lagert in Bergen von Plastiksäcken in Sammelstellen. Sie werden nun in ein Zwischenlager transportiert, das in Ortschaften in unmittelbarer Nähe der Atomruine errichtet wurde. Die Regierung hat zugesagt, die Säcke in 30 Jahren aus der Präfektur herauszuschaffen. Doch wo der verstrahlte Abraum am Ende landen soll, steht noch nicht fest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren