Wolfsburg gewinnt DFB-Pokalfinale: Nicht verkloppt, nur verloren
Der BVB startet stark, schießt ein Tor und fängt sich dann drei Gegentreffer. Der VfL Wolfsburg hat alles richtig gemacht und ist völlig verdient Pokalsieger.
Die Startbedingungen: Ein Vitrinen-, Dankeschön- und Marktwertsteigerungsspiel, kein Platzierungsspiel. Der VfL Wolfsburg spielt in der nächsten Saison Champions League, der BVB in der Europa League – unabhängig davon, wer den DFB-Pokal gewinnt. BVB-Trainer Jürgen Klopp würde gern nochmal den Pokal am Dortmunder Borsigplatz hochhalten, bevor er den Verein verlässt. Wolfsburg hat seit 2009 keinen Titel mehr gewonnen, Trainer Dieter Hecking ist sogar titellos.
Beide Clubs haben viel Geld und gute Spieler. Wolfsburg hat die bessere Saison in der Bundesliga gespielt, Spielmacher Kevin De Bruyne ist in Weltklasse-Form. Beim BVB war nur die Rückrunde in der Bundesliga gut, fast alle Stars spielen knapp oder deutlich unter ihren Möglichkeiten.
Kampf und Leidenschaft haben den BVB ins Finale geführt. Wolfsburg passt gut zum Hauptsponsor VW – rational, technisch ansprechend, präzise. Doch Leidenschaft ist anderswo. BVB-Fans haben am Samstag die Berliner Stadtteile Charlottenburg, Schöneberg und Tempelhof feiernd übernommen. VfL-Fans hätten beinahe, wie man hört, die Stimmung in drei Hoteldoppelzimmern am südwestlichen Stadtrand geprägt. Eine Anordnung des Personals, doch bitte die Mittagsruhe zu beachten, kam ihnen aber dazwischen.
Das Spiel: Alles ist gelb eingefärbt. Nicht, weil der BVB drängt, sondern weil Fans Farbpyros gezündet haben. Der gelbe Nebel lichtet sich nach fünf Minuten und Aubameyang trifft nach einer hübschen Flanke von Kagawa zum 1:0 für den BVB. Im Gegenzug fast das 1:1 – Perisic zieht im Strafraum ab, Langerak wehrt gerade noch ab. Starker Anfang, viel Tempo im Spiel, Dortmund mit mehr Ballbesitz.
Die Anfangs- geht in eine Abseitsphase über. Viel Geplänkel auf höchstem Niveau. Dann ist Marco Reus plötzlich durch und schießt aus wenigen Metern weit übers Tor. 22. Minute: Freistoß Naldo, auf Twitter setzte man jetzt den Hashtag #NackteGewalt, Langerak lässt abprallen, Luiz Gustavo schießt ein zum 1:1. Sehr gutes Finale bis hierhin. Wolfsburg wird stärker. De Bruyne zieht in der 32. Minute aus 18 Metern ab – und trifft. 1:2.
Man merkt erst jetzt: Es sind VfL-Fans anwesend und die Natur hat sie mit Stimmbändern ausgestattet. Das ist gut, denn in der 37. Minute werden sie wieder gebraucht. Perisic flankt, Bas Dost köpft ein, 1:3. Wo andere eine Abwehr haben, hat Dortmund eingerollte Schlafsäcke mit Gesichtsmasken. Hummels köpft in der 42. Minute knapp nebens Tor, Aubameyang schießt eine Minute später vom Gegenspieler bedrängt knapp drüber. Das schwarz-gelbe Kind, mit dem ich das Spiel schaue, fordert wie Tausende im Stadion Elfmeter. Fordern kann man viel, gegeben wird: Halbzeit.
Wiederanpfiff: De Bruyne macht da weiter, wo er aufgehört hat. Nach seinem Traumpass rettet Langerak gegen Caligiuri. Dortmund kontert, im Gegenzug trifft Kagawa den Außenpfosten. Der BVB spielt gut – Reus zielt in der 56. Minute 30 Zentimeter zu hoch -, aber der VfL steht sicher und seine Konter sind gefährlich. Mkhitaryan foult und man wundert sich: Der spielt ja schon seit 60 Minuten mit, der hatte aber ein gutes Versteck! Nochmal Caligiuri, diesmal wehrt Durm ab.
Klopp bringt Piszczek und Blaszczykowski für Durm und Kehl. Zwei Polen gegen die Verzweiflung, gegen das nachlassende Tempo. Der VfL wechselt auch: Guilavogui für Perisic.
78 Minuten sind gespielt. Immobile kommt für Reus. Das war nicht sein Spiel. Kagawa versucht es in der 80. Minute nochmal, Benaglio hält. Schürrle für Arnold beim VfL, er foult gleich Schmelzer am eigenen Strafraum, kein Pfiff. Es wird ruppiger und es wird mehr gemault. Hecking wechselt: Träsch für Caligiuri. Freistoß, 87. Minute: Aubameyang scheitert an Benaglio. Das wird nichts mehr. Der VfL Wolfsburg ist Pokalsieger. Verdient – wegen starken 30 Offensivminuten und noch stärkeren 60 Defensivminuten.
Der entscheidende Moment: Irgendwo zwischen der 75. und der 80. Minute, als jeder beim BVB begreift, dass der Sieger heute aus Wolfsburg kommt. Der Moment, wo athletische Körperhaltungen ins Kartoffelsackige, ins Schlappe kippen.
Der Spieler des Spiels: Luiz Gustavo. Ein Tor geschossen. Viel verhindert.
Die Pfeifen des Spiels: BVB-Fans, die sich am Berliner Breitscheidplatz nachmittags mit Helene Fischers „Atemlos“ einpeitschen, dürfen sich nicht wundern, wenn ihnen abends die Luft ausgeht.
Die Schlussfolgerung: Titel wird Klopp nun woanders holen müssen. Trotzdem: Danke für eine gute Zeit und schönen Fußball.
Und sonst? Mein Anwalt, der mit uns das Spiel schaut, will, dass ich einmal Kevin De Brunze schreibe. Man weiß ja nie, wofür ich ihn noch brauche, also sei ihm dieser Gefallen hiermit gewährt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus