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Wohnungsnot vor allem in den StädtenLiebe Politik, ernsthaft?!

Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht. Nur interessiert das keinen.

Die Wohnungsnot treibt die Menschen dazu, sich als passable MieterIn anzupreisen Foto: Rainer Unkel/imago

K aum ein Thema lässt mich so verzweifeln wie die Wohnungsnot. Nicht meinetwegen. Ich selbst lebe in einer Wohnung, die groß genug für mich ist und die ich mir trotz Inflation noch leisten kann. Doch ein Teil meines privaten Umfelds hat dieses Glück – das ja eigentlich kein Glück, sondern ein Menschenrecht ist – nicht.

Meine Schwester zum Beispiel. Sie wohnt mit Partner und kleiner Tochter in einer Eineinhalbzimmerwohnung. Das Kind schläft öfter mal schwer ein. Ich vermute, weil es keinen richtigen Rückzugsraum hat.

Und dann ist da mein Freund. Er zog mit seinem dreieinhalbjährigen Sohn eine Zeit lang von Couch zu Couch. Aktuell leben sie in einer Einzimmerwohnung ohne Mietvertrag. Jetzt müssen sie raus.

Das Problem ist: Er weiß nicht, wohin. Die Wohnungssuche wird vor allem in größeren Städten immer katastrophaler. Oder wie es der Berliner Bausenator ausdrückt: „Es gibt keinen echten Mietmarkt mehr, weil das Angebot viel zu gering ist und die Nachfrage wächst.“ Und da geht längst auch die Mittelschicht leer aus. Denn während sehr arme Menschen zumindest einen Anspruch auf staatlich geförderten Wohnraum haben und sehr reiche sich sowieso alles leisten können, kriegen Normalverdienende wie mein Freund und meine Schwester samt ihrem Partner kaum noch eine Wohnung, die ihrer familiären Situation angemessen wäre.

Eine adäquate Wohnung ist aber kein Nice-to-have, sie ist ein Grundbedürfnis, so wie Atmen und Trinken und Essen. Doch für unzählige Menschen ist angemessener Wohnraum längst unerreichbar geworden, egal wie viel Energie sie aufwenden.

Manche sind so verzweifelt, dass sie riesige Finderlöhne versprechen oder sich halb nackt fotografieren

Da legen sie einen völlig überteuerten Bezahlaccount bei Immobilienscout an und verschicken Hunderte Bewerbungen, in denen sie so viel von sich preisgeben, dass der potenzielle Vermieter damit eine Biografie über sie schreiben könnte. Und bekommen keine einzige Rückmeldung.

Da denken sie ewig darüber nach, ob sie ihren Namen, der auf eine Migrationsgeschichte hinweist, in der E-Mail besser abkürzen sollten. Und ob sie unterschlagen sollten, dass sie ein Kind haben oder einen Hund oder eine Ameise.

Da sind sie ernsthaft versucht, 270 Euro zu bezahlen, die jemand für eine abgeranzte Wohnung am Rande der Stadt auf die eigentliche Miete draufschlagen will, weil dieser jemand fast der Einzige gewesen ist, der sie zur Besichtigung eingeladen hat.

Da wären sie fast in eine Wohnung gezogen, wo die Vermieterin einen „persönlich zwar mag“, wie sie behauptet, andere People of Color aber rassistisch beleidigt.

Kein Small Talk mehr, ohne über die Wohnungssuche zu reden, kein gemeinsames Abendessen, bei dem man sich nicht den Kopf darüber zerbricht. Dazu Schlangestehen vor dem Hauseingang und später die Versprechung machen, dass man alles streichen, ja wenn nötig, sogar die ganze Wohnung renovieren würde. Und diese Anrufe, diese ständigen Anrufe bei den landeseigenen Wohnungsgesellschaften und den ganzen Hausverwaltungen, die man sich im Internet zusammengesucht hat.

wochentaz

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Manche sind so verzweifelt, dass sie Zettel mit riesigen Finderlöhnen an Laternenmaste kleben oder Fotos von sich, halb nackt, bei Ebay Kleinanzeigen hochladen, weil sie hoffen: Sex sells. Neulich erst habe ich eine Anzeige gesehen, in der der Vormieter 15.000 Euro Abstand für seinen Ramsch wollte. Er hat bestimmt wen gefunden. Und während früher nur wenige Tauschwohnungen angeboten wurden, ist es jetzt gefühlt jede Zweite. Wobei am Ende, wie man so hört, nur selten ein Match wirklich zustande kommt, und dann muss der Vermieter ja auch noch zustimmen.

Es soll sogar Menschen geben, die bereits ihre Gehaltsnachweise gefälscht haben. Das würden meine Leute nie tun. Und so werden sie und all die anderen, die ansonsten gern als „Mitte der Gesellschaft“ bezeichnet werden, wohl noch sehr lange in ihren viel zu kleinen Butzen hausen. So sie denn eine haben. Liebe Politik, ernsthaft?!

Vor ein paar Tagen hat mein Freund die 115 gewählt, das Berliner Bürgertelefon. Da hat ihm der Mann am anderen Ende der Leitung bestätigt, dass er durch alle Raster fällt. Die einzige Option, die ihm jetzt noch für ihn einfiele, sei die Notunterkunft für Wohnungslose.

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Anna Fastabend
Redakteurin wochentaz
Hat mal Jura studiert und danach Kreatives Schreiben am Literaturinstitut in Hildesheim. Hat ein Volontariat bei der Märkischen Oderzeitung gemacht und Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Schreibt über feministische Themen, Alltagsphänomene, Theater und Popkultur.
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17 Kommentare

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  • Anscheinend sind Sie bei der TAZ die einzige, die die Probleme benennt.



    Ansonsten heisst es, die Ampel sei besser als ihr Ruf.



    Das läsdt einen zweifeln und verzweifeln!

    • @R.A.:

      Was hat denn ser Wohnraummangel in den Berliner Innenstadtbezirken (um diese geht es ja anscheinen im Artikel) mit der Ampel zu tun. Das könnten Sie bitte mal näher ausführen.

      • @Mmmmh:

        Die Ampel ist dafür verantwortlich, dass in DE gleichwertige Lebensverhältnisse anzutreffen sind ( de.wikipedia.org/w...Lebensverhältnisse )

        Wenn es die Regierungen (nicht nur der Bund) es nicht gebacken bekommen, Regionen (aus Berlin-Sicht insb. in Ostdeutschland) vor dem Ausbluten zu bewahren weil Infrastruktur, Arbeitsplätze und Kultur fehlen, dann führt dies zu einem Bevölkerungsdruck auf die wirtschaftlich florierenden Metropolen.

  • Ich gehe mal davon aus, dass sie in Berlin wohnen. Das tut mir leid, wenn eine Stadt darüber nachgedacht hat Hauseigentümer zu enteignen (die TAZ war da auch in der ersten Reihe) und eine Bundesregierung immer merkwürdiger Ideen zum Thema bauen und mieten hat. Dann wird Wohnraum knapp. Keiner will sich enteignen lassen oder bauen wenn er nicht weiß was Morgen ist. Und da auf den Wohnungsmarkz deutlich mehr Menschen unterwegs sind als noch vor 5-6 Jahren ist das keine Überraschung.

    Also geliefert wie bestellt.

    PS.: Bei einem tollen Home-Office Job ist der Wohnort in der Provinz ja auch gut. In meiner Gegend ca. 750€ für 150qm.



    Für die Einzelfälle tut es mir leid.

  • Danke, Frau Fastabend, und auch ein Dankeschön an das Literaturinstitut Hildesheim - *das* nenn ich mal "kreatives Schreiben"!



    Ein sehr unschönes Thema so lesenswert auf den Punkt zu bringen, ist eine Kunst, die nur wenige Menschen beherrschen. Ich könnte das nie, und verneige mich davor.

  • Vielleicht erst einmal AirBnB & Co. unterbinden. Da werden Wohnungen in schönen Innenstadtlagen frei. Und die, die sich über den Mangel an Wohnraum beklagen, sollten logischerweise auch nicht über AirBnB buchen.

  • Mitte der Gesellschaft? Das ist doch der Herr Merz. Der hat bestimmt 'ne Wohnung.

  • Dieses Grundbedürfnis ist halt nicht zwingend in einer bestimmten Stadt oder an einem bestimmten Ort zu erfüllen. Angesichts eines ständigen Zuzuges und einer steigenden Zahl an Singlehaushalten und Trennungsfällen steigt der Wohnungsdruck halt immer weiter.

    Dann lassen sie uns doch bitte endlich offen über die Möglichkeit der Begrenzung von Zuzug diskutieren.

    • @DiMa:

      "Dann lassen sie uns doch bitte endlich offen über die Möglichkeit der Begrenzung von Zuzug diskutieren."



      Was schlagen sie konkret vor? Die endgültige Abschaffung des Grund- und Menschenrechts auf Asyl? Oder die komplette Abschottung gegen jene Restmenge an Fachkräfte die sich derzeit noch gegen andere Angebote in Kanada oder den USA entscheiden? Und welche Perspektive haben sie für Wirtschaft und Rentensystem im Angebot? Die Probleme die man sich langfristig mit einer noch weitergehenden Abschottung einhandelt dürften weitaus größer sein als das lösbare Problem Wohnraum zu schaffen oder auch nur besser zu verteilen.

      • @Ingo Bernable:

        Der Zuzug aus dem Ausland ist nichts im Vergleich zu dem infolge der Binnenwanderungen und hat die gleichen Gründe: fehlende Optionen in vielen ländlichen Regionen. Vor allem in Ostdeutschland. Was es braucht sind keine Verbote sondern Angebote. Kurz eine Raumordnungspolitik die ihren Namen auch wert ist.

      • @Ingo Bernable:

        Es geht um den Zuzug in die Städte.

        Dies betrifft im Ergebnis dann auch die Unterbringung von Geflüchteten. Es macht keinen Sinn, diese dort unterzubringen, wo unter anderem bereits der Wohnraum knapp ist.

        • @DiMa:

          Nur findet diese Unterbringung eben längst idR in Containern, Zelten, Messehallen, stillgelegten Kasernen und anderen Leerständen statt die auch ohne Belegung durch Geflüchtete kaum als Wohnraum auf dem Immobilienmarkt verfügbar wären.

          • @Ingo Bernable:

            Nur verwurzeln sich die Menschen halt genau dort und die Kommunen sind mittelfristig zur Unterbringung in Wohungen verpflichtet.

            Wer einmal im Behördensystem von Berlin oder Hamburg ist wird auch dauerhaft hier oder dort bleiben. Das mag inzwischen fünf bis sechs Jahre dauern, bis eine Unterbringung im Wohnungsmarkt staatgefunden hat, ungeachtet dessen ist der Druck ab Tag eins da.

            Die Entwicklung ist ja von Anfang an absehbar.

            • @DiMa:

              Was ihr Lösungsvorschlag wäre haben sie noch immer nicht erklärt. Die Leute nach JWD fernab jeglicher Wirtschaft und Infrastruktur abzuschieben und auf Jahrzehnte mit Residenzpflicht belegen, damit sie gar nicht erst in die Lage kommen sich womöglich integrieren oder einem Job nachzugehen zu können?

              • @Ingo Bernable:

                Im Zweifel wäre das der richtige Ansatz, ja. Einfach nur weiter machen wie bisher ist nicht die Lösung. Eine Integration muss auch JWD gelingen, zumal etwaige Kapazitäten in den betroffenen Städten eh schon vollständig ausgeschöpft sind; nur sieht man es dort halt schlechter als auf dem platten Land.

      • @Ingo Bernable:

        Ich denke es ging um Berlin und nicht um Deutschland.



        In Deutschland gibt es genug Wohnungen - die meisten freien da wo keiner mehr wohnen will.

  • Die Lage ist nicht schön, aber auf der anderen Seite ist es ja nicht so dass es nirgendwo bezahlbare Wohnungen gäbe. Notfalls muss man halt ins Umland ziehen, und sich ggf. einen neuen Job suchen. Habe ich auch so gemacht. Obwohl ich München geliebt habe gab es dort keine (Wohn)Zukunft für mich. Also ging's ab in eine 100.000 Einwohnerstadt in Niedersachsen. Ziemlich langweilig hier im Vergleich zu München aber dafür zahle ich 700 Euro kalt für eine zentrale schöne 80qm Wohnung mit Balkon.