piwik no script img

Wohnungslose in DeutschlandHilfe auf Augenhöhe

Obdachlose in Deutschland erfrieren, während tausende Hotelbetten leer bleiben. Um den Menschen zu helfen, muss man sie mit einbeziehen.

Lebensgefährliche Kälte: Trotz der Gefahr meiden manche Obdachlose bereitstehende Notschlafplätze Foto: Stefan Zeitz/imago

Die Coronakrise verschärft bestehende Ungleichheiten weiter und macht sie dadurch auch sichtbarer. Das ist nach fast einem Jahr Pandemie traurige Gewissheit. Obdachlosigkeit bildet da keine Ausnahme.

Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind in diesem Winter schon 17 Menschen auf Deutschlands Straßen erfroren, die Dunkelziffer wird deutlich höher sein. Gleichzeitig stehen tausende Hotelbetten leer. Das verdeutlicht schmerzhaft den grundlegend problematischen Umgang mit obdachlosen Menschen in diesem Land.

Menschen, die auf der Straße leben, gehören zu den von der Co­ro­na­krise am stärksten betroffenen Gruppen. Die niedrigen Temperaturen dieser Tage machen aus der misslichen Lage eine lebensbedrohliche.

Einige Städte bieten obdachlosen Menschen mittlerweile an, über den Winter in Hotels unterzukommen. Am Wochenende öffnete in Berlin ein Hostel mit 200 Plätzen, Düsseldorf mietete schon im November in sechs Hotels Betten an. Frankfurt am Main plant Ähnliches, findet aber nicht ausreichend Hoteliers, die bereit sind, für die geringe Pauschale Obdachlose zu beherbergen. In München gibt es immerhin 160 Plätze, um Covid-19-Infizierte zu isolieren. Die Frage ist, warum erst jetzt und warum so zögerlich? Es wäre ein Leichtes, Hoteliers zu verpflichten, Obdachlose aufzunehmen, solange sie einen Großteil ihrer finanziellen Ausfälle vom Staat erstattet kriegen.

Für eine Antwort lohnt ein Blick nach Hamburg. Dort lehnte der rot-grüne Senat erst vor wenigen Tagen eine Unterbringung in Hotels ab. Die Begründung: Es seien genügend Plätze in den Notunterkünften vorhanden, außerdem gebe es dort ein umfangreiches Beratungsprogramm.

Doch die Notunterkünfte werden von vielen Obdachlosen gemieden. Schon vor der Pandemie galten sie als Infektionsquelle aller möglichen Krankheiten. Zwar wurden die Bettenzahlen verringert und die Hygienemaßnahmen verbessert, dennoch fürchten sich viele vor einer Ansteckung. Auch Sozialverbände sehen Notunterkünfte als ungeeignete Unterbringungsmöglichkeit für obdachlose Menschen an.

Das gut gemeinte Brötchen

Die Begründung des Hamburger Senats offenbart eine paternalistische Logik, mit der Menschen ohne Obdach tagtäglich konfrontiert sind. Bedürftige haben keine Ansprüche zu stellen. Sei es das gut gemeinte Brötchen in der U-Bahn oder die Unterkunft, in der man aufgrund der Schreie des psychisch kranken Bettnachbarn nur wenige Stunden Schlaf findet: Obdachlose sollen froh sein, wenn sie überleben.

Die Konsequenz dieser Sichtweise ist, dass Menschen ohne Obdach selten in die Entscheidungen, die sie betreffen, einbezogen werden. Hätte man die Menschen in Hamburg gefragt, wie man ihnen am besten helfen könnte, dann wüsste der Senat vielleicht, dass für viele von ihnen Notunterkünfte nicht infrage kommen, weil dort keine Haustiere erlaubt sind, oder weil sie dort nicht mit ihren Bezugsgruppen zusammen hingehen können, Alkohol verboten ist oder sie sich in der Regel tagsüber dort nicht aufhalten können.

Nicht wenige empfinden diese Behandlung als entwürdigend und ziehen es vor, trotz widrigster Umstände auf der Straße, in Parks oder provisorischen Behausungen zu schlafen. Diese Menschen lassen sich nur schwer mit den staatlichen Hilfsangeboten erreichen. Ein Anfang wäre es, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und nach ihren Bedürfnissen zu fragen: Möchtest du den Winter in einem Hotel verbringen? Wenn nicht, wie können wir deine Lage verbessern?

Stattdessen werden Menschen lieber mit ordnungspolitischen Maßnahmen hin- und hergeschoben. So wurde in Berlin am vergangenen Wochenende ein Camp mit über hundert Be­woh­ne­r*in­nen mitten in der Nacht und ohne Vorwarnung unter dem Vorwand des Kälteschutzes geräumt. Ihnen wurde angeboten, bis Ende April in ein Hostel zu ziehen. Nur die Hälfte der Be­woh­ne­r*in­nen nahm das Angebot an, der Rest schläft wieder ohne Habe auf der Straße.

Die traurige Realität ist, Obdachlosigkeit gehört im Kapitalismus zum Normalzustand. Verknappter Wohnraum, steigende Mietpreise und ein eher auf Disziplinierung statt auf Hilfe ausgelegtes Sozialsystem führen dazu, dass auch zunehmend der Mittelstand Gefahr läuft, in die Obdachlosigkeit zu rutschen. Die Pandemie wird die Situation noch mal verschärfen. Wir sollten also damit anfangen, Menschen ohne Obdach ernst zu nehmen, gleichberechtigt zu behandeln und ihnen ein würdevolles Leben auch auf der Straße zu ermöglichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Beim Lesen des Artikels ging mir ständig ein Gedanke durch den Kopf, der nur in einen Halbsatz im letzten Satz des Artikels Platz fand: "...ihnen ein würdevolles Leben auch auf der Straße zu ermöglichen." Es ist niederschmetternd, sich eingestehen zu müssen, dass unser grandioses, perfekt durchgeplantes Leben mit Würde offenbar nur für die möglich ist, die es sich finanziell leisten können. Wer dies nicht stemmt, hat offenbar kein Anrecht auf das, was unser Grundgesetz allen zugesteht, Würde.

    Sind wir in unserem Land eigentlich nur zur Erzeugung von Papiertigern in der Lage und schaffen es nicht einmal, Menschlichkeit und Würde allen Menschen als Selbstverständlichkeit zuzugestehen? Wann endlich werden wir den Sprung von unseren wunderbaren sozialen Träumen, von unseren weltweit gerühmten wunderschön formulierten Gedanken und Theorien über den Abgrund des Papiers und des frommen Fabulierens hinüber zur Umsetzung in die Realität unseres Zusammenlebens mit allen schaffen?

    • @noevil:

      Die Mehrheitsgesellschaft sieht obdachlose Menschen als Plage. Politisch links stehende Menschen sehen sie als Opfer. Beides hat mit einem würdevollen Umgang "auf Augenhöhe" nichts zu tun. Die "Würde" eines Menschen wurzelt in seiner/ihrer Selbstbestimmung. "Die Würde des Menschen ist unantastbar" bedeutet: Der Staat hat die Selbstbestimmung seiner Bürger*innen zu respektieren. Bestimmt sollten bestehende Hilfsangebote verbessert werden. Vermutlich ist auch das Angebot einer Hotelunterbringung bei diesen Temperaturen sinnvoll. Aber im Artikel steht es schwarz auf weiß, wie es läuft: Das Camp wurde aufgelöst. Eine Unterbringung im Hostel wurde angeboten. Die eine Hälfte nahm das Angeot an. Die andere nicht. Das ist Hilfe "auf Augenhöhe", die die Würde (Selbstbestimmung) des Menschen respektiert. Die Würde zu achten heißt nicht, jeden zu retten. Das kann letztlich jeder Mensch nur selbst tun.