Wohnen in der Zukunft: Kleinstadt als Chance
Die Verklärung der Millionenstädte als „the place to be“ ist veraltet. „Glokalisierung“ in kleineren Städten ist ein Zukunftstrend.
E berswalde zum Beispiel. Die 40.000-Einwohner-Stadt im Umland von Berlin bietet mehrtägiges „Probewohnen“ an, für InteressentInnen an einem Zuzug. Die Plätze werden verlost, die Zahl der BewerberInnen steigt.
Eberswalde gehört zu den sogenannten Mittelstädten mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern. Die Bedeutung dieser Städte nimmt zu, auch weil sie zur Entlastung der überhitzten Wohnungsmärkte vieler Großstädte beitragen. So steht es in einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).
Das Wachstum der kleinen Städte im Umland von Metropolen wirft eine soziokulturelle Frage auf: Lebt es sich nun besser oder schlechter in einer kleineren Stadt? Ist diese nur eine Art „zweite Wahl“, weil man sich das Wohnen in der Metropole nicht leisten kann?
Die Frage rührt an kulturelle Normen und ist ein Politikum, denn die Verklärung der Millionenstadt als „the place to be“, den Ort, an dem die Arbeits-, Aufstiegs- und sexuellen Möglichkeiten unbegrenzt sind, an dem die Kreativität überbordet, diese Verklärung schafft eine Hierarchie: Wer es sich leisten kann, in einer Metropole zu wohnen, dessen Leben gilt als voller, als aufregender, und dies hebt auch das Selbstwertgefühl.
Immobilien als Statussymbol
Die Vermögenden können sich ein gehobenes Lebensgefühl dann durch den Erwerb einer Immobilie in einer Millionenstadt kaufen, was mit ein Grund ist, warum es zum Statussymbol der Superreichen gehört, eine Wohnung in Berlin oder in London zu besitzen, auch wenn sie die meiste Zeit leer steht. Wer hingegen in eine kleine Stadt zieht, auch weil die Familie das Leben in der Metropole nicht bezahlen kann, dessen Horizont verengt sich, das Leben wird langweiliger, irgendwie verpasst man was. So weit das Klischee.
Dabei gleicht das Internet viele regionale Unterschiede im Informationsangebot inzwischen aus. Ob man nun in der Berliner U-Bahn auf sein Smartphone starrt oder im Bus im brandenburgischen Ketzin, ob man in Hamburg oder in Neustrelitz am Abend Netflix-Serien schaut, ist eigentlich egal, der Bildschirm ist der Gleiche. Es gebe einen Trend zur „Mischung“ „realer und virtueller Räume“, schreibt der Kanadier Colin Ellard in seinem Buch „Psychogeografie“.
Wenn Telearbeit erleichtert wird, wenn das Einkaufen, die Partnersuche per Internet läuft, dann müsste es eigentlich nicht mehr so entscheidend sein, ob man für teures Geld in einer Metropole wohnt oder billiger in einer Klein- oder Mittelstadt. Jedenfalls dann, wenn sich die Pendelzeiten zur Arbeit in Grenzen halten.
Aber es geht um das Gefühl, dort zu sein, wo das Leben tobt, die „Vitalillusion“ der Millionenstadt. In „Triumph of the City“ beschwört der US-amerikanische Ökonom Edward Glaeser die Megastadt. Die Stadt ermögliche die Kooperation, in der die Menschheit „am hellsten leuchtet“, schreibt er. „Weil die Menschen so viel voneinander lernen, lernen wir mehr, wenn mehr Leute um uns herum sind.“
Wo das Leben tobt
So einfach ist es nicht. Mit Tausenden von Fremden in nächster Nähe zusammenzuleben, sei evolutionsbiologisch betrachtet „völlig unnatürlich“, schreibt Ellard. Die Metropole ist auch ein Ort der inneren Abschottung, die man erlebt, wenn man in Berlin oder London um sechs Uhr abends U-Bahn fährt. Unter den BewohnerInnen der Millionenstädte herrscht eine Sehnsucht nach Grenzen, nach einer überschaubaren Nachbarschaft, wie jeder Stadtplaner erfährt, der Neubauten in einen solchen Kiez pflanzen will.
Die Menschen in Millionen- und Kleinstädten sind also nicht so unterschiedlich. Trotzdem wird die Klein- und Mittelstadt oft als deprimierend empfunden.
Görlitz zum Beispiel liegt in Sachsen an der polnischen Grenze. Die 56.000-Einwohner-Stadt mit schöner Altstadtarchitektur bietet einen ganzen Monat mietfreies „Probewohnen“ an. 54 Haushalte mit Zugereisten nahmen bisher daran teil, darunter KünstlerInnen, AutorInnen, IT-Entwickler. Nur fünf Haushalte blieben.
Die AfD ist hier sehr stark. In einer Kleinstadt zu leben, in der ein Klima der Enge, der Rückständigkeit herrscht, macht einen Ort unattraktiv. Dabei wäre eine kleinere Stadt eigentlich der richtige Ort für die Individualisierung: Man wird mehr gesehen, mehr wahrgenommen, „man kann viel selbst gestalten“, sagt Stadtforscher Robert Knippschild aus Görlitz, der sich mit der Entwicklung von Mittelstädten in peripheren Lagen beschäftigt.
Örtliche Reizarmut ausgleichen
Gerade den BewohnerInnen von kleinen Städten täte es gut, sich innerlich zu öffnen, um gewissermaßen die örtliche Reizarmut auszugleichen. Handwerksbetriebe in kleineren Städten haben mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen und profitieren, wenn sie beispielsweise MigrantInnen als Auszubildende gewinnen können.
Aber es erfordert Persönlichkeit, Mut und eine gewisse Anpassungsfähigkeit, sich in einem engen Milieu niederzulassen. Man braucht als Zuzügler möglichst schon etwas soziale Andockung vor Ort. Sind offene Leute da, vielleicht eine Hofgemeinschaft, ein Kulturzentrum, vielleicht ein soziales Projekt, dann wirkt die kleine Stadt für Zuzügler sofort attraktiver. „Wichtig ist, dass eine Stadt weltoffen ist, auch Neues willkommen heißt“, sagt Knippschild. Das Ideal ist die Kleinstadt, in der Einwohnerinitiativen zum Beispiel Geflüchtete vor Ort unterstützen und damit gewissermaßen „Weltstadt“ spielen. Während die Bewohner in Millionenstädten ihren dorfähnlichen „Kiez“ oft eifersüchtig hüten.
Vom Zukunftstrend „Glokalisierung“ spricht der Politikforscher Daniel Dettling im Newsletter Kommunal.de, was so viel heißt wie: Man kann sich sowohl als Mitglied einer lokalen Gemeinschaft fühlen als auch als Mitglied der Weltgesellschaft, und zwar beides gleichzeitig. Die soziokulturelle Hierarchie zwischen Metropole und Kleinstadt ist obsolet. Wir alle sind Weltbürger. Das ist eine Tatsache.
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