piwik no script img

Wirtschaftsweise Truger über Konjunktur„Die Ampel darf nicht mehr kürzen“

Notfalls muss die Ampel bei ihrer Wachstumsinitiative draufsatteln, rät Wirtschaftsweise Achim Truger. Denn die Lage hat sich deutlich verschlechtert.

Von wegen „in die Hände gespuckt“: Deutschlands Wirtschaftswachstum macht derzeit eine Pause Foto: Thomas Koehler/ photothek.net/ imago
Simon Poelchau
Interview von Simon Poelchau

taz: Herr Truger, zuletzt ist die Wirtschaftsleistung in Deutschland leicht um 0,1 Prozent zurückgegangen. Es mehren sich die Stimmen, die vor einer neuen Konjunkturflaute warnen. Wie schlecht ist die Lage wirklich?

Achim Truger: Bereits in unserem Frühjahresgutachten sind wir als Sachverständigenrat für 2024 von einem Miniwachstum von lediglich 0,2 Prozent ausgegangen. Das wäre alles andere als eine kräftige Erholung. Und eine Reihe von Indikatoren deutet darauf hin, dass der erhoffte Aufschwung in diesem Quartal ausbleibt und die tatsächliche Lage noch schlechter ist als zunächst erwartet.

taz: Was lässt Sie so pessimistisch sein?

Im Interview: Achim Truger

ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamt­wirtschaft­lichen Entwicklung. Das fünf­köpfige Berater­gremium wird auch „die Wirtschaftsweisen“ genannt.

Truger: Der Geschäftsklimaindex des Münchner ifo Instituts ist im Juli das dritte Mal in Folge zurückgegangen. Das heißt, die Unternehmen schätzen die Lage deutlich pessimistischer ein als noch am Anfang des Jahres. Zudem werden die Finanzmärkte volatiler. Das konnte man nicht nur bei den weltweiten Börsenturbulenzen vor einigen Tagen sehen. Auch die Konjunkturerwartungen deutscher Finanzexperten, die das Forschungsinstitut ZEW erhebt, sind deutlich zurückgegangen. Dass die Auftragseingänge in der Industrie zuletzt wieder gestiegen sind, ist da nur ein schwacher Hoffnungsschimmer. Dafür herrscht derzeit auch zu viel Unsicherheit über geopolitische Entwicklungen wie den Krieg im Nahen Osten.

taz: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Juni die Zinswende eingeleitet und das erste Mal seit der Energiepreiskrise ihre Leitzinsen gesenkt. Hat das nicht zur Entspannung der Lage beigetragen?

Truger: Perspektivisch vielleicht ein bisschen. Aktuell leider nein. Bis die Effekte der Zinssenkung in der Wirtschaft ankommen, wird es noch dauern. Zudem haben die kräftigen Reallohnsteigerungen der letzten Monate noch nicht dazu geführt, dass die private Nachfrage wieder anzieht. Allein im ersten Halbjahr 2024 sind die Tariflöhne real um 3,1 Prozent gestiegen. Eigentlich müsste das den Konsum ankurbeln. Dass das nicht passiert, zeigt, dass die Menschen der Situa­tion nicht trauen und ihr Geld lieber sparen als ausgeben. Denn die Reallohnverluste während der Energiepreiskrise sind bei weitem noch nicht kompensiert. Und diese Zurückhaltung beim Konsum führt dazu, dass die Konjunktur weiter stottert.

taz: Deutschland ist aber doch auch eine exportstarke Volkswirtschaft …

Truger: Auch der Export läuft derzeit nicht rund. Zuletzt ist der Wert der Ausfuhren gesunken. Denn auch die Lage in der Weltwirtschaft hat sich verschlechtert. Gleichzeitig konnte die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Monaten, anders als früher, kaum vom Aufschwung in den USA und China profitieren. Und das ist alarmierend. Es ist ein Anzeichen, dass die deutsche Industrie an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat.

taz: Ist das bereits der Beginn einer Deindustrialisierung?

Truger: Für so eine Diagnose ist es noch zu früh. Aber gleichzeitig lässt sich nicht leugnen, dass die hohen Energiepreise insbesondere die energieintensive Industrie vor Probleme stellen. Zudem fällt der deutschen Wirtschaft auf die Füße, dass China sein Geschäftsmodell geändert hat. Das Land expandiert immer mehr in Geschäftsfelder, in denen deutsche Unternehmen stark waren. Dadurch müssen deutsche Unternehmen jetzt viel häufiger mit chinesischen Firmen konkurrieren, und zwar sowohl in China als auch auf anderen Exportmärkten.

taz: Die EU-Kommission hat Anfang Juli vorläufige Sonderzölle auf chinesische Elektroautos verhängt. Ist das die richtige Maßnahme gegen solch neue Konkurrenz aus Fernost?

Truger: Dass die EU Zölle verhängt hat und jetzt verhandelt wird, ist angesichts der massiven Subventionen in China absolut richtig. Gleichzeitig braucht die EU eine ehrgeizige industriepolitische Strategie. Sie muss auch auf das zwei Billionen Dollar schwere IRA-Investitionsprogramm der USA eine Antwort finden. Insbesondere Deutschland muss da liefern. Und die Bundesregierung muss eine Antwort finden, wie die Energiepreise stabilisiert werden.

taz: Was ist, wenn sich die konjunkturelle Lage weiter verschlechtert und Deutschland in eine Rezession gerät?

Truger: Um das zu verhindern, muss die Ampelkoalition endlich ihren Haushaltsstreit beenden. Sie darf nicht weiter kürzen. Sie muss endlich Klarheit schaffen. Es ist ein massives Problem, wenn sich die Bundesregierung nach langen und schwierigen Verhandlungen endlich auf einen Haushalt einigt und der Bundesfinanzminister diesen in Rekordzeit wieder in Frage stellt. Es ist ja immer noch unklar, welche Maßnahmen, die ursprünglich zur Ankurbelung der Wirtschaft gedacht waren, am Ende überhaupt umgesetzt werden. Dabei wird es angesichts der derzeitigen Prognosen Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft brauchen. Sollte sich die Lage weiter verschlechtern, muss die Bundesregierung bei ihrer Wachstumsinitiative noch einmal kräftig draufsatteln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Der Anteil der öffentlichen Investitionen beträgt 11 bis 13 Prozent. Wenn man diese um 20 Prozent steigern würde, bessert sich nicht viel, wenn die privaten Investitionen gleichzeitig sinken.

    Alte Anlagen laufen aus. Es entstanden bisher hier auch Neue. Die Gesetzgebung der EU und Deutschlands erzwingen Änderungen an Anlagen, die Neubauten gleichkommen. Die neuen modernen Anlagen entstehen jetzt im Ausland.

    Die Ursachen lassen sich nicht mit Schulden bekämpfen.

    Die Kosten zur Erweiterung des Stromnetzes und für den Aufbau eines Wasserstoffnetzes werden inzwischen auf über 1.200 Mrd. EUR geschätzt. Bezahlen müssen das in den nächsten 20 Jahren die Unternehmen, die hier abgabepflichtig sind. Die Kostenbeteiligung entfällt hinter der Grenze.

    In Zukunft sind CO2-arme Produktionen gewünscht, die auf Strom und Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien angewiesen sind. Ein Solarmodul in Äquatornähe liefert fast 4 mal so viel wie ein Modul in Deutschland. Dazu liefert es auch im Winterhalbjahr. Gut für z.B. Indien.

    Die Sozialbeiträge sollen steigen. Für Arbeitnehmer heißt das weniger Netto. Also brauchen sie höhere Löhne. Gut für die Wirtschaft in Polen, Rumänien, Indien, ....

  • Es wird dringend Zeit, dass nicht die Wirtschaft angekurbelt wird, so wie das seit 60 Jahren als Mantra ständig vorgebetet wird, sondern dass man sich auf das Wohlbefinden seiner BÜRGER konzentriert!



    Ohne mündige, gesunde und glückliche Bürger funktioniert das Ganze nicht. Das müssen unsere Politiker auch kapieren.



    Ständige Kontrollen, Überwachung, Angstpolitik, Einsparungen, Steuerwirren, Vorschriften und Unsicherheiten bewirken, dass die Leute sich distanzieren.



    Habt mal den Mut Teile der Industrie sterben zu lassen! Lass den Markt entscheiden! Oder steuert die Marktwirtschaft zugunsten der Bürger!



    Aber ständig unsere Stuermilliarden in Konzerne zu pumpen (Atomindustrie, Pharmaunternehmen, Siemens...) und uns gleichzeitig den Werbekonzernen auszuliefern (durch Handyzwang usw) ist KEINE nachhaltige und gesunde Politik!

  • wenn das so weiter geht, haben wir nächstes Jahr nach den Wahlen ein große Koalition (CDU und AfD)....und alles nur, weil die Medien dem Verbrecher im Rollstuhl gestattet haben 15 Jahre das Mähr von der Kompetenz der schwäbischen Hausfrau zu erzählen...

    • @Altunddesillusioniert:

      Ein Verbrecher war das ganz sicher nicht.



      Doch jetzt haben wir einen Hasardeur, einen Pleitier in dem Amt, der es nicht mal fertiggebracht hat, seine eigene Firma trotz staatlicher Zuschüsse vor der Pleite zu bewahren.

      • @Perkele:

        Es ist kein Verbrechen Schwarzgeld anzinehmen von dubiosen Leuten?



        Eigenartige Auffassung!

  • Wenn das Geld wirklich zum Wohle des Landes eingesetzt wird, kann man durchaus Schulden machen, aber wirklich nur für sinnvolle Investitionen.



    Wenn der Schotter ohne Sinn und Verstand rausgehauen und die Ziele durch ungenügende Kommunikation und Verbotspolitik konterkariert werden, ist es allerdings grob fahrlässig bis fast schon kriminell.

  • Was ist das für ein Wahnsinn mit dem Wachstum ? Fehlt etwas ? Brauchen WIR als Verbraucher NOCH MEHR ? Oder geht es 'nur' darum , anderen die Profite zu sichern und damit -als Nebeneffekt- den einen oder anderen Arbeitsplatz, während gleichzeitig kreative Labore daran mitwirken, weiteren abhängig Beschäftigten ihren Job (und damit ihre Existenz) wegzurationalisieren ? Wenn dann gerade diejenigen, die ein einigermassenes Einkommen hatten, aber zu teuer wurden, als Verbraucher ausfallen und damit die Binnennachfrage einbricht, sollten wir uns nicht wundern, wenn das ganze System nicht mehr funktioniert. 'Wir' haben ja jetzt schon mehr Fahrzeuge, als die die immer schneller kaputt gefahrenen Strassen verkraften können. Die Lebensdauer vieler Produkte ist oft so kurz, dass sie eigentlich gleich in die Tonne geliefert werden könnten. Viel zu viel macht träge und blind und viel zu viel neue Technik wird dann zu teuer, wenn sie sich niemand mehr leisten kann, auch Nachhaltigkeit hat seinen Preis. Immer den profitorientierten Wirtschaftsunternehmen hinterher zu subventionieren, macht arm und nützt niemandem!

    • @Dietmar Rauter:

      auch dienstleistungen, wie z. b reparaturen von second hand waren erzeugen wirtschaftliches wachstum, es geht nicht immer um neue autos

      • @nutzer:

        Da brauchts aber zunächst Kunden, die Löhne zahlen , die auskömmlich sind, glauben Sie mir, die meisten kaufen lieber etwas neues.

        • @Grandpa:

          sicher, meine Antwort bezieht sich nur darauf, dass Dietmar Rauter davon ausgeht, dass wirtschaftliches Wachstum zwangsläufig ein Mehrkonsum an materiellen Gütern beinhaltet. Das ist eine populäre Vorstellung von Wachstum, aber ökonomisch nicht korrekt. Um es einmal extrem zu verdeutlichen, es wird sogar Prostitution ins BIP eingerechnet..

    • @Dietmar Rauter:

      Viel zu viel macht träge und blind....



      Stimmt, deswegen setzen sich ja so viele Menschen in Deutschland in Bewegung un sehen zu, dass sie bei den Tafeln an was zu essen kommen....

  • Erst wenn der Sozialstaat komplett abgeschafft ist, wird die FDP die Schuldenbremse abschaffen. Und dann nur zu Gunsten der Unternehmen und der Besserverdiener.

  • "Es ist ein massives Problem, wenn sich die Bundesregierung nach langen und schwierigen Verhandlungen endlich auf einen Haushalt einigt und der Bundesfinanzminister diesen in Rekordzeit wieder in Frage stellt."

    die fdp der Freund der Wirtschaft. Immer ein Ohr an den Sorgen der wirklich arbeitenen Menschen in diesem Land.... was soll man sagen....? Es geht nur noch mit Zynismus...

    • @nutzer:

      Der Artikel besagt unter anderem, dass es "Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft braucht".



      Nur dass das auch mal zur Kenntnis genommen wird.

      • @Rolf B.:

        ja und genau das ist der Punkt, nur steht die vermeintliche Wirtschaftspartei fdp davor.

  • Solange die Wirtschaftsweisen, so wie es Herr Truger hier bestätigt, in maximal Frühjahrsgutachten und Quartalen denkt, kann sich nix dauerhaft ändern. Und das in einer Situation wo Europas Boomer demnächst in Rente gehen und China mit Langfristplänen und Strategien nur das eigene Wohl befördern will.



    Allgemeinsätze wie " muss die Bundesregierung bei Wachstumsinitiative draufsatteln" sind gleichermaßen wenig hilfreich.



    Ich dachte die Wirtschaftsweisen beraten die Regierung! Kann ich nicht erkennen. Bzw. warum da mitarbeiten, wenn das Gutachten sowieso nicht beachtet wird?

  • Ich habe so meine Zweifel, ob unser Finanzgenie Lindner die TAZ liest. Doch dieses Interview sollte er sich mal durchlesen. Andererseits: es ist sinnlos. Es geht ihm um sein Image als "Sparminister" und ein paar Stimmen mehr. Das Gesamtbild, Logik kriegt der gar nicht auf die Kette....