Wirtschaftsprognosen zu Griechenland: Tausendmal verrechnet
Seit Jahren fantasiert die EU-Kommission von sonnigen Aussichten für die griechische Wirtschaft. Stets sind die Prognosen falsch.
Allerdings hat Griechenland offenkundig sehr schlechte Insolvenzverwalter. Die verkalkulieren sich nämlich, und das seit Jahren. Seit Beginn der Schuldenkrise 2009/10 in Griechenland ist es das stets gleiche Spiel. Die EU-Kommission erstellt im Verbund mit der Europäischen Zentralbank Voraussagen zur ökonomischen Entwicklung in Griechenland. Mit den Zahlen wird Politik gemacht: Sie sollen ausdrücken, dass die Austeritätspolitik wirkt, dass das Tal durchschritten ist, weil es im nächsten Jahr bergauf gehe.
Was bislang nicht passiert ist. Es spricht auch nichts dafür, dass sich 2017 oder 2018 daran etwas ändert. Im ersten Quartal 2017 schrumpfte die Wirtschaft in Griechenland um 0,1 Prozent. „2017 wird das Wachstum nicht kommen. Wir werden noch nicht einmal eine Eins vor dem Komma sehen“, sagt Alexander Kritikos, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der taz.
Die Geschichte dieser Prognosen erklärt auch, warum das Land ökonomisch immer noch da verharrt, wo es ist: Seit 2010 bekommt das Land kein Geld mehr auf den Finanzmärkten. Seitdem machen die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds IWF sowie der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM und dessen Vorgängerorganisation dem Land Auflagen, wie es zu sparen hat.
Und sie fingen gleich mit einem Prognosefehler an. Zwei Ökonomen des IWF haben das, weitestgehend unbemerkt, im Jahr 2013 eingeräumt. In den Jahren davor war die griechische Wirtschaft viel stärker eingebrochen als die anderen in der EU. Grund: Der Staat musste mitten in der Krise auch noch seine Ausgaben kürzen, was die Situation noch weiter verschlimmerte. Diesen Effekt hatten die Gläubiger Griechenlands unterschätzt, schrieben die IWF-Ökonomen 2013.
In der Krise rechnet man anders
Sie hatten, wie üblich, damit gerechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes für jeden Euro, den die Regierung weniger ausgibt, um einen halben Euro sinkt. So rechnet man in normalen Zeiten, aber in der Krise wirke das viel stärker. „Je aggressiver die geplanten fiskalischen Konsolidierungsmaßnahmen, desto größer der Prognosefehler für das BIP-Wachstum“, schreibt der Ansgar Belke, Professor für Makroökonomik an der Universität Duisburg-Essen, der dazu forscht.
Das ist eine der dramatischen Wendungen der griechischen Tragödie: Weil Ökonomen einen falschen Multiplikator in einer Prognose verwendeten, trugen sie dazu bei, dass eine Volkswirtschaft noch stärker abstürzte, Menschen ihre Jobs verloren, zusätzliche Lehrer entlassen wurden und Regierungen stürzten.
Der IWF hat seine Prognosen angepasst. Trotzdem geht er noch regelmäßig von zu hohen Wachstumsraten aus. In ihren Berichten verweist die Washingtoner Institution darauf, dass die Griechen nicht schnell genug reformiert hätten – und das Land politisch instabil sei. Seit Mai 2010 gab es elf Finanz- und sieben Premierminister.
Der Staatshaushalt als einzige Priorität
Auch Alexander Kritikos vom DIW verweist auf Ursachen, die im Land selbst zu finden sind: Die immer noch extreme Bürokratie etwa, die Verwaltung sei völlig überreguliert, das Steuersystem nicht verlässlich. Die Justiz arbeite zu langsam. Gerichtsverfahren zu Durchsetzung von Vertragsvereinbarungen dauerten bis zu zehn Jahre, was ein wesentliches Investitionshemmnis darstelle. Diese Kritik geht aber auch an die Gläubiger. „Es ist wichtig, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen. Aber das ist bisher die einzige Priorität“, sagt Kritikos.
Volkswirt Ansgar Belke sieht den Hauptgrund für die Wachstumseinbrüche Griechenlands an stagnierenden Exporten. Auch das führe dazu, dass die Auswirkungen der Sparpolitik viel größer seien als vorausgesagt – grundsätzlich sei es aber richtig, dass Griechenland spare, schreibt Belke.
Nun sind Prognosen immer ungenau. In Griechenland entscheiden sie aber über das Schicksal des Landes, in dem fast 50 Prozent der Menschen bis 25 keine Arbeit haben, Tendenz immerhin fallend.
Das Land hat längst seine Unabhängigkeit verloren: Athen erwirtschaftet zwar einen Haushaltsüberschuss, rechnet man die Zinsen für die Schulden nicht ein. Aber es muss ständig alte Kredite mit neuen ablösen – die es nur gegen Sparauflagen oder wie jetzt Steuererhöhungen gibt. Die Kredite hält fast zur Hälfte der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM, dazu kommen die EZB und der IWF.
Eine viel zu rosige Zukunft
Laufen die Kredite aus, werden sie durch neue von den gleichen Institutionen ersetzt. Es fließt längst kein „frisches“ Geld an Griechenland, auch wenn das in jeder Talkshow behauptet wird.
Der IWF hat längst eingesehen, dass das Land einen Schuldenerlass braucht, weil es mit fast 180 Prozent seines BIP in der Kreide steht. Die europäischen Gläubiger aber malen die ökonomische Zukunft des Landes – siehe Vergangenheit – wie immer viel zu rosig. Deshalb ist aus Sicht der Europäer kein Schuldenschnitt nötig.
„Man kann spekulieren, ob das aus politischen Gründen passiert, um nicht vor den Wahlen – etwa in Deutschland – über die Schuldentragfähigkeit diskutieren zu müssen“, sagt Kritikos.
Nächstes Jahr geht’s bergauf bei den Griechen. Garantiert.
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