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Wiederaufbau der UkraineIm Schatten Putins

Abseits von Waffenlieferungen soll die Ukraine wirtschaftlich gestärkt werden. Inmitten der heftigsten Bombardierungen seit Kriegsbeginn sinkt die internationale Bereitschaft.

Ein zerbombtes Krankenhaus in Kyjiw: Helfen die Verbündeten auch weiterhin, die Trümmer zu beseitigen? Foto: Johanna-Maria Fritz/ostkreuz

Vor dem Kongress­zen­trum in Rom entwickeln die Wartenden echten Galgenhumor. „Wenn der Wiederaufbau der Ukrai­ne so organisiert wird wie die Konferenz hier in Rom, dann kann das ja heiter werden“, murrt einer, der in der gleißenden Julisonne Schlange steht. Der Andrang ist keine Überraschung, hatten sich doch mehr als 5.000 Personen für die vierte Ukrai­ne-Wiederaufbaukonferenz angemeldet. Überrascht scheinen dennoch die italienischen Behörden: Für die vielen Leute gibt es bloß drei Sicherheitsschleusen, in denen Taschen, Ruck­säcke, Personen durchleuchtet werden. Das dauert.

Geduld müssen auch die Ukrai­ne­r:in­nen haben, für deren Land diese Konferenz organisiert wurde. Der russische Angriffskrieg währt das vierte Jahr und tobt heftiger denn je. Allein in der Nacht zu Donnerstag griff Russland mit 400 Drohnen und 18 Raketen Kyjiw ebenso wie zahlreiche andere ukrainische Städte an. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die Zahl der getöteten Zi­vi­lis­t:in­nen pro Monat im Vergleich zu Kriegsbeginn ständig gestiegen. Dies ist die Situation, in der sich die Ukrai­ne gegenwärtig befindet.

An Wiederaufbau ist eigentlich nicht zu denken, es geht buchstäblich ums Überleben. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj appellierte daher zunächst an die Teil­neh­me­r:in­nen aus 70 Staaten neue militärische Hilfe zu organisieren.

Melonis unerwarteter Einsatz

Es gelte, gemeinsam „das unerträgliche Unrecht, das seit mehr als drei Jahren dem ukrainischen Volk zugefügt“ werde, zu bekämpfen, hatte Italiens Ministerpräsidentin ­Giorgia Meloni zuvor in ihrer Eröffnungsrede gefordert. Meloni hatte sich stark dafür ins Zeug gelegt, die Ukrai­ne-­Wie­der­auf­bau­kon­fe­renz in diesem Jahr nach Rom zu holen.

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Dass Italiens rechte Regierungschefin diesen Einsatz zeigt, ist nicht selbstverständlich. Denn die Postfaschistin Melo­ni regiert seit Oktober 2022 mit zwei Koalitionspartnern, die traditionell große Russlandnähe gezeigt hatten – mit der von Putin-Freund Silvio Berlusconi gegründeten Forza Italia und mit Matteo Salvinis Lega. Letztere pflegte seit Jahren innige Beziehungen zur Putin-Partei Einiges Russland.

Doch seit ihrem Regierungsantritt positionierte Meloni Italien klar an der Seite der Ukrai­ne, lieferte und liefert Waffen, trägt alle Sanktionspakete der EU mit. Auch die Nähe zum US-Präsidenten, die Meloni pflegt, änderte daran nichts.

Werben um den Abwesenden

Vom größten Unterstützer der Ukrai­ne haben sich die USA jetzt zum größten Unsicherheitsfaktor entwickelt. Mal tadelt Trump Selenskyj, dann schimpft er wieder über Putin. Mal wollen die USA weniger, dann doch wieder mehr Waffen liefern. Alles hängt vom Wohlwollen und dem Ego des US-amerikanischen Präsidenten ab. Gelingt es ihn wieder auf die Seite der Unterstützer zu ziehen oder nicht? Daran entscheidet sich auch das Schicksal der Ukrai­ne.

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, der ebenfalls nach Rom geflogen ist, weicht vom Manuskript seiner Rede ab, um an Donald Trump zu appellieren: „Bleiben Sie bei uns, bleiben Sie an der Seite der Ukrai­ne und der ­Europäer.“ Dies noch einmal explizit auszusprechen, sei ihm wichtig gewesen, heißt es später. Um den Abwesenden wird auch in Rom weiter geworben.

Am Donnerstagnachmittag treffen Meloni, Selenskyj und Merz im Untergeschoss des Konferenzzentrums die amerikanische Delegation um den Sondergesandten Keith Kellogg. Zugeschaltet sind auch der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer. Es geht um zwei zusätzliche Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot und neue Sanktionsmaßnahmen. Später in der Pressekonferenz wird Merz danach gefragt. Er sagt, man sei bereit, Patriots von den Amerikanern zu kaufen und sie der Ukrai­ne zur Verfügung zu stellen. „Aber noch ist nichts endgültig entschieden.“

Erste Spuren der Kanzlerschaft

Der Bundeskanzler wirkt angespannt, nicht nur wegen des unberechenbaren transatlantischen Partners. Die ersten rund neun Wochen seiner Kanzlerschaft, mit vielen Reisen und der Knatsch in seiner Koalition haben Spuren hinterlassen. Er liest während der Pressekonferenz vom Blatt ab – und ärgert sich darüber, als Außenkanzler wahrgenommen zu werden. Außen- und Innenpolitik seien nicht voneinander zu trennen, sagt er. Wohl wahr. Zu Hause in Berlin rebellieren Teile der Unionsfraktion gegen die von der SPD vorgeschlagene neue Verfassungsrichterin. Am Freitag wurde klar, es kommt zum Koalitionskrach. Das Signal: Die Unionsfraktion folgt dem Kanzler nicht hundertprozentig.

Eine angespannte Stimmung ist auch unter den angereisten Un­ter­neh­me­r:in­nen in Rom zu spüren. Hunderte Firmen aus verschiedenen Ländern haben auf der Tagung ihre Stände aufgebaut. Im vergangenen Jahr habe noch richtig Aufbruchstimmung geherrscht, in diesem Jahr sei es schwieriger, sagt ein Teilnehmer aus Deutschland. „Die Investoren stehen jetzt nicht gerade Schlange.“

Ein Problem sei, dass Versicherungen die Lebensversicherung kündigten, wenn Menschen wegen ihres Jobs in die Ukrai­ne zögen. Das bestätigt auch ein Bericht der ukrainischen Nationalbank, über den Table Media berichtet. Demnach nahmen ausländische Investitionen im vergangenen Jahr leicht ab und lägen noch immer deutlich unter dem Niveau von vor 2022. 72 Prozent der Investitionen stammten außerdem von Unternehmen, die schon im Land präsent sind.

Wie etwa der Konzern Bayer. Er betreibt südwestlich von Kyjiw eine Saatgutfabrik mit 700 Mitarbeiter:innen. Man habe auch nach Beginn des Kriegs weitere 60 Millionen Euro in den Standort investiert, sagt der Geschäftsführer für die Ukrai­ne, Oliver Gierlichs. Investiert habe man allerdings auch in unterirdische Bunker für die Mitarbeiter. Von den russischen Angriffen sei man bislang weitgehend verschont geblieben. „Nur einmal sind Trümmer einer abgefangenen Rakete aufs Dach einer Halle gefallen und haben es beschädigt.“

Großer Bedarf nach Produkten

Die junge sizilianische Unternehmerin Miriam Pace kann sich dennoch vorstellen in der Ukrai­ne zu investieren. Sie ist aus Catania zur Konferenz nach Rom gereist. Ihre mittelständische Firma, die in 80 Länder weltweit expor­tiert, stellt Komponenten für Wasserversorgungs-, Thermohydraulik- und Bewässerungssysteme her. Pace glaubt, dass angesichts der massiven Zerstörungen zum Beispiel von Wohnungen in der Ukrai­ne reichlich Bedarf an ihren Produkten besteht. „Ich könnte mir eine Kooperation mit einem ukrai­ni­schen Unternehmen oder auch die Übernahme eines Unternehmens dort vorstellen“, sagt Pace.

In der Tat dürfte der Bedarf nicht nur an den Produkten ihrer Firma immens sein. Etwa 2,3 Millionen Wohnungen und Häuser wurden in den mehr als drei Jahren Krieg durch die russischen Angriffe zerstört, ebenso wie Straßen, Brücken und andere Infrastruktur. Der entstandene Schaden wird auf über eine halbe Billion Euro geschätzt – das entspricht dem Dreifachen des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der Ukrai­ne.

Doch frisches Geld wird auf der diesjährigen Wiederaufbaukonferenz anders als auf der im vergangenen Jahr in Berlin kaum eingesammelt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach lediglich „ausdauerndes Engagement Europas“, auf das die Ukrai­ne immer zählen könne. Sie kündigte zudem einen neuen europäischen Wiederaufbaufonds an, in den vor allem privates Kapital fließen soll.

Internationale Geber sind zurückhaltend

Das alles kann nicht übertünchen, dass die internationale Hilfsbereitschaft sinkt. Besonders der Ausfall der zivilen Hilfe aus den USA ist für die Ukrai­ne schwer zu verkraften. Noch im Jahr 2023 nutzte USAID über 40 Prozent seines Budgets für die Ukrai­ne, insgesamt 16 Milliarden Dollar. Doch seit Trumps Amtsantritt wurden alle Zahlungen eingestellt und sämtliche internationale USAID-Mitarbeiter haben das Land verlassen. Deutschland ist nunmehr der größte bilaterale Geldgeber. Doch auch hier wird gespart.

Laut aktuellem Haushaltsentwurf, der gerade in erster Lesung im Bundestag debattiert wurde, muss das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fast 1 Mil­liarde Euro einsparen. Das BMZ bestätigt der taz auf Anfrage, dass auch für die Ukrai­ne-Unterstützung voraussichtlich weniger Mittel als in den vergangenen Jahren zur Verfügung stehen werden. Aber noch sei der Haushalt nicht beschlossen.

Zivile Hilfsorganisationen merken es jedoch bereits heute. „Die Ukrai­ne ist in der Rangfolge der Krisengebiete nach unten gerutscht“, konstatiert Andreas Tölke von der größten Berliner Hilfsorganisation Be an Angel. Besonders der Ausfall von USAID sei schwer zu kompensieren. Auch das freiwillige Engagement in der Ukrai­ne werde zunehmend riskanter. Unter anderem, weil Russland Drohnen entwickelt habe, die Jagd auf Menschen machten. Seine Organisation, die Menschen evakuiert, Hilfsgüter liefert und Kriegsopfer vor Ort betreut, habe durch solche Angriffe in der Region Cherson drei Freiwillige verloren.

Wirtschaftsabkommen, wie das von Trump und Selenskyj unterzeichne­te, sieht Andreas Tölke kritisch. „Was droht, ist ein Ausverkauf der Ukrai­ne, weil große Firmen in den Startlöchern sitzen und bereit sind alles zu kaufen – Immobilien, Firmen, Infrastruktur.“ Um das zu verhindern, müssten Konzepte entwickelt werden, die eine Entwicklung vor allem von ukrainischen Firmen direkt in der Ukrai­ne fördern. „Alles andere führt irgendwann zu massiver Unzufriedenheit, wenn die Ukrai­ner merken, dass ihr Land nicht mehr ihnen gehört.“

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