Wie sich Krieg anfühlt: Verstaubte Wörter
In Zeiten wie diesen sollte man mit Menschen sprechen, die von Faschismus betroffen waren. Sie können erzählen, wie er sich anfühlt und aussieht.
I ch bin fasten gewesen. Als in Hanau ein rechter Terrorist neun Mitbürger ermordet hat, dann seine Mutter und schließlich sich selbst erschossen hat, schlief ich irgendwo in Schleswig-Holstein meinen privilegierten Schlaf und träumte vermutlich von einer Bioavocado, die ich schon recht bald auf meinem Teller haben würde. Morgens beim Yoga versuchte ich die Bedrückung wegzuatmen. Es gelang nur so mittel.
Als ich am Wochenende zurückkehrte in mein brandenburgisches Habitat, klingelte ich bei meinen lieben Nachbarn. Wie stets hatten die beiden über Achtzigjährigen die Katze gefüttert, den Briefkasten geleert und die Poststapel fein säuberlich für den Mann und für mich geordnet. Und wie stets nach einer Reise brachten wir ihnen etwas zu essen mit.
Wir bedankten uns also und überreichten die Speise: diesmal eine Manufakturwurst vom holsteinischen Galloway-Rind. „Und, wart ihr wieder hungern?“, fragten die Nachbarn. Wir antworteten brav, dass wir keineswegs gehungert hätten, sondern freiwillig nicht gegessen hätten. Und dass Heilfasten sehr gut sei für den inneren Ausgleich und die Gesundheit. Derlei.
Entgegen ihrer sonstigen, ganz überwiegend humorvollen Gewohnheit reagierten die Nachbarn, nun ja, indigniert. Schon gut, sie wüssten, was Hunger sei, sagten sie. Und dass es ihnen, nichts für ungut, am höheren Verständnis dafür mangele, wenn Menschen nichts essen, obwohl sie es doch könnten.
Betroffen von Faschismus
Wir setzten uns. „Habt ihr denn wirklich gehungert?“, frage ich. Was folgt, ist keine flüssige Erzählung. Eher Satzbrocken, lange nicht gebrauchte Wörter, dunkelste Erinnerungen an ihre Kindheit im Krieg, den sie jeweils in Berlin und in Brandenburg überlebt haben. Ja, überlebt.
Ich höre: Ödeme. Notjahre. Kälte. Furunkel, die nicht heilen wollten und gegen die „schwarze Salbe“ aufgetragen wurde. Narben davon bis heute. „Schweden-Speisung“, mit der die deutschen Kinder im eisigen Winter 1946/47 von Hilfsorganisationen durchgebracht wurden. Auch meine Nachbarin, die im Prenzlauer Berg aufgewachsen ist, hat wegen der Schweden-Speisung überlebt. Sie erinnert sich, dass sie erst dann ihre Suppe bekam, wenn sie vorher tapfer einen Löffel Lebertran geschluckt hatte. Sie schüttelt sich.
„Ach, lass mal jetzt – diese alten Geschichten!“, sagt der Nachbar und macht eine wegwischende Bewegung, als wolle er das Dunkle vertreiben. Und dann wird es auch wieder hell. Und wir sprechen über den Frühling, der naht, und die Katze, deren Winterfell so schön glänzt.
Und ich frage mich, wo wir gerade wieder hinrutschen mit diesem Land. Und warum wir eigentlich nicht einfach viel öfter unsere Eltern und Nachbarn fragen, was Faschismus tatsächlich bedeutet für die, die er meint. Wie er sich anfühlt, aussieht. Ganz viele von ihnen sind ja noch da. Mein Bild dafür ist nun: schwarze Salbe auf ausgehungerten Kinderkörpern. Es ist so bedrückend gerade.
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