Wie ich die Verkehrswende versuchte: Der lange Weg zur Schulstraße
Hamburgs rot-grüner Senat hat erklärt, dass Schulstraßen künftig unkompliziert eingerichtet werden können. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
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Von der Existenz von Schulstraßen erfuhr ich durch ein Interview, das ich für die taz führte. Man sperre die Straße zu Schulstoßzeiten für den Autoverkehr, sagte die Verkehrsexpertin. Das bremse die Elterntaxis aus, stattdessen könnten die Schulkinder sicher zu Fuß oder per Rad ans Ziel kommen. Es klang wie die Lösung für ein Problem, für das bislang niemand eine Lösung gefunden hat.
Es dauerte noch ein paar Wochen, in denen ich morgens vor der Schule meines Kindes über die Elterntaxen fluchte, bis ich beschloss, selbst eine auf den Weg zu bringen. Nun, ein paar Wochen später, kann ich sagen: Es ist mühsam. Und während man darüber nachdenkt, ob es realistisch ist, dass Eltern jeden Morgen selbst die Straßensperre aufstellen, stößt man auf ganz andere Fragen, politisches Großkaliber sozusagen: Versuche ich hier, mein grünblasiges Einzelinteresse durchzusetzen? Und erwarte ich zurecht, dass Veränderung leichtgängig ist oder sind das Trumpeske Disruptionsphantasien?
Ich habe den Kampf um eine Schulstraße lange vor mir hergeschoben, vielleicht ahnte ich, dass es mühsam sein würde. Eine Mail an den Elternrat, warten auf die Antwort, Schulferien, neuer Elternrat. Besuch bei der Elternratssitzung. Das Ergebnis: Die Schule kämpft wie alle Schulen seit Jahren einen vergeblichen Kampf gegen die Elterntaxen. Eine Schulstraße, das finden sowohl Schulleitung als auch der Elternrat, wäre super. Zufällig hatte ich gesehen, dass Schulstraßen auf der Tagesordnung für die nächste Sitzung des bezirklichen Mobilitätsausschusses standen. Aus der Schulsitzung ging ich mit dem Mandat, dem Mobilitätsausschuss zu erklären, dass wir dringend eine Schulstraße haben möchten.
Elterntaxis setzen sich über Regeln hinweg
Wenn ich an den nächsten Tagen die Elterntaxis vor den Halteverbotsschildern vor der Schule halten sah, SUV und Kleinwagen, Kombis, alles dabei, dachte ich: Eure Zeit ist abgelaufen. Ich schlängelte mich mit meinem Kind zwischen ihnen durch und fragte mich, ob mein Zorn verhaltnismäßig ist. Die Gleichung ist: umweltfeindliche Verkehrsmittel gefährden umweltfreundliche Verkehrsmittel. Plus: Es ginge leicht anders, denn Grundschulkinder werden wohnortnah eingeschult. Plus: Die Elterntaxis setzen sich über die Regeln hinweg.
Ich sah aus den Augenwinkeln den freundlichen Schulvater, den ich oft in einem Laden um die Ecke hinter der Theke stehen sehe. Zwei Jahre bin ich ihm morgens auf dem Rad begegnet, sein Kind hinter ihm auf dem Gepäckträger. Das Kind schmiegte sich immer an seinen Rücken, deshalb fielen sie mir auf im morgendlichen neuesteslastenrad-Verkehr rund um die Schule. Seit kurzem kommt der Vater mit seinem Kind in einem Kleinwagen. Ich sehe ihn und frage mich, ob der Kampf um eine Schulstraße von vielen Eltern als das hässliche Gesicht der Klimaschutzbewegung gesehen wird: moralines Hineinregieren in das Privatleben anderer.
Verkehrssituation vor der Schule ist katastrophal
Der Mobilitätsausschuss traf sich um sechs. Es war zu kurzfristig gewesen, um mich als Fragestellerin anzumelden, aber der Vorsitzende ließ mich zu Wort kommen. Zu Beginn forderte eine Frau, dass in ihrer Straße das aufgesetzte Parken wieder erlaubt würde. Die Gehwege seien breit genug, meinte sie, und die Bäume könnten es vertragen. Ihr Anliegen fand Sympathie bei rechts und rechtsaußen, die Grünen schmetterten es ab.
Nach drei Stunden war ich an der Reihe, nach dem Tagespunkt, an dem die Verwaltung dargelegt hatte, dass sie unterbesetzt seien und keine Bewerber:innen für ihre Stellenausschreibungen fänden. Ich erklärte, dass die Verkehrssituation vor der Schule katastrophal sei und wir eine Schulstraße einrichten wollten. Die Antwort war, dass es bereits eine Pionierschule gebe, bei der man eine Schulstraße einrichten werde. Mehr sei derzeit nicht zu wollen. Während ich herausging, kam mir ein Ausschussmitglied hinterher und gab mir seine Karte. Die Antwort gerade sei wohl eine Enttäuschung gewesen, meinte er. Er habe mit der Pionierschule den Schulstraßen-Antrag erarbeitet, sagte er, und ich könne ihn gerne anrufen.
Ich rief an. Er sagte, dass wir auch die anderen Parteien von der Schulstraße überzeugen müssten. Er fragte, ob wir uns schon bei der Polizei beschwert hätten und schlug Demos vor. Der Anruf hinterließ mich mit dem Wunsch nach Disruption. Ich erinnerte mich an die Antwort des rot-grünen Senats in Hamburg, in der es heißt, dass Schulstraßen künftig „unkompliziert und rechtssicher“ eingerichtet werden können. Von Demos war dort nicht die Rede. Ich telefonierte mit einer Mutter, die an der Pionierschule für die Schulstraße gekämpft hatte. Die Medien tun so, als bekämen wir sie schon, sagte sie. Aber noch ist nichts entschieden.
Ich ermahnte mich, die Zähigkeit der Angelegenheit sachlich zu sehen. Dass es hier zäh ist, bedeutet auch, dass es für die anderen zäh ist. Ich bin Teil einer Lobby, der Schulstraßenlobby, und muss versuchen, meine Kampagne voranzutreiben. Und es ist müßig, sich zu wundern, dass das Ziel nicht alle so überzeugt, dass sie von sich aus aktiv werden, trotz Personalmangels.
Die Verkehrsexpertin hatte mir erzählt, dass in Paris die Schulstraßen zum Teil grüne Oasen geworden seien, wo sich die Nachbarschaft treffe. Ein Bild davon war in der Online-Schulung „How to schulstraße“ zu sehen. Organisiert hatte sie kidical mass, ein Bündnis für sichere Kinder- und Jugendmobilität. Eine Schulungseinheit ging um die Organisation von Demos und auf den Bildern dazu war ein Kinderorchester zu sehen, das auf der Straße vor der Schule spielte. Ich würde keine sehr hohe Wette darauf eingehen, dass ich noch zur Schulzeit meines Kindes eine Schulstraße erlebe. Aber ich habe dieses Bild gesehen.
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