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Aktionen von Kidical Mass in Berlin„Schluss mit den Elterntaxis“

Auch in Berlin protestieren Kinder und Erwachsene am Wochenende auf Rädern. Regina Wosnitza vom VCD Nordost erklärt, um was es bei den Demos geht.

Aktion von Kidical Mass im März in Köln Foto: dpa
Interview von Plutonia Plarre

taz: Frau Wosnitza, der VCD Nordost, Mobilität für Menschen, ruft zusammen mit anderen Organisationen am kommenden Wochenende zur Teilnahme an den weltweit stattfindenden „Kidical Mass“-Demonstrationen auf. Haben Sie einen Überblick, wie viele Aktionen in Berlin stattfinden?

Regine Wosnitza: Am 14. und 15. Mai gibt es zwölf Demonstrationen in Berlin. Der Aufruf ist von einem bundesweiten Bündnis von ADFC, Changing Cities, VCD und vielen anderen Verbänden unterzeichnet. Auch der BUND beteiligt sich.

Auf der Website von Kidical Mass ist die Rede von 250 lokalen Organisationen und Initiativen allein in Berlin. Gibt es ein gemeinsames Ziel, für das demonstriert werden soll?

Ja. Das übergeordnete Ziel ist, eine sichere Fahrradinfrastruktur für Kinder und Jugendliche in den Kiezen zu erreichen. Die Kids sollen sich mit ihren Rädern, Rollern und auch zu Fuß gut und sicher in ihrer Umgebung bewegen können. Das gilt für den Schulweg genauso wie für den Weg zum Sportverein. Manche fahren, manche laufen. Es geht um ein kinderfreundliches Straßenverkehrsrecht.

Was heißt das?

Im Interview: Regine Wosnitza

63, ist Geschäftsführerin des VDC Nordost Mobilität für Menschen. Alle Demotermine in Berlin hier.

Dass Kinder und die schwächsten Verkehrsteilnehmerinnen und Teilnehmer im Zentrum von Politik und Verkehrsplanung stehen. Und nicht das Auto, das in den letzten 70 Jahren immer größer und dominierender geworden ist.

Auf der Website von Kidical Mass findet sich der Satz: „Hört auf, euren Kindern Warnwesten anzuziehen … geht auf die Straße!“ Heißt das, man sollte Kindern keine Warnweste mehr anziehen?

Ohne Warnwesten, das ist natürlich eine Vision. Dazu müssten die Straßen ganz anders gestaltet werden. Solange die Infrastruktur so ist, wie sie ist, müssen Kinder leider Warnwesten tragen. Der Aufruf ist auch als Appell zu verstehen, dass sich Eltern mehr engagieren. Zum Beispiel, indem sie ihren Kindern beibringen, Rad zu fahren und alleine Wege zurückzulegen und sie nicht mit dem Elterntaxi zur Schule zu bringen.

Dass Eltern ihre Kids mit dem Auto bringen und abholen, ist leider ziemlich verbreitet.

Ja dadurch machen sie die Situation vor den Schulen gefährlich für alle die, die schon mit dem Fahrrad kommen.

Bei den Demonstrationen geht es zum Teil auch um lokale Themen.

Ja, hier bei uns in Schöneberg ist ganz konkret die Verkehrsschule am Sachsendamm von der Schließung bedroht. Grundstückseigentümerin ist die Firma Möbel Höffner/Krieger. Sie will das Grundstück bebauen, die Kündigung für die Verkehrsschule ist zu Mitte Juni 2022 ausgesprochen. Es gibt aber noch gar keine Einigung mit dem Bezirk über die künftige Bebauung. Das wird sich mindestens noch ein Jahr hinziehen. Unsere Forderung ist, dass die Verkehrsschule noch so lange auf dem Grundstück bleiben kann.

Die Verkehrsschule am Sachsendamm gibt es bereits seit den 80ern. Wie viele Kinder werden dort geschult?

In den Zeiten vor Corona waren es 14.300 Kinder und Erwachsene im Jahr, sie betreut 21 Schulen in Schöneberg. Aber auch ältere Menschen können dort lernen Fahrrad zu fahren oder ihre Kenntnisse aufzufrischen und Verkehrssicherheit zu üben. Im Zuge der Verkehrswende wird das immer wichtiger, weil auch immer mehr ältere Leute aufs Fahrrad umsteigen.

Gibt es denn Pläne, die Verkehrsschule anderswo in Schöneberg weiterzuführen?

Soweit ich informiert bin, ist der Bezirk sehr engagiert dabei, einen Ersatzstandort zu finden. Möbel Höffner/Krieger hat zugesagt, den Neubau der Verkehrsschule zu finanzieren. Aber es gibt wenig freie Flächen in Schöneberg, da ist auch Kreativität gefragt. Wir haben vorgeschlagen, irgendeine Straße teilweise zu sperren und umzuwidmen. Wir brauchen unbedingt eine Verkehrsschule in Schöneberg und nicht irgendwo in Tempelhof – falls es da ein Grundstück geben sollte.

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2 Kommentare

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  • " Das übergeordnete Ziel ist, eine sichere Fahrradinfrastruktur für Kinder und Jugendliche in den Kiezen zu erreichen."

    Ja, bitte bei den Eltern anfangen, die ihre Kinder auf nicht beleuchteten Fahrräder zur Schule fahren lassen.



    Nicht nur einmal erlebt.

  • An sich bin ich kein großer Freund von Kindern, habe keine, und will auch keine.

    Aber für sichere Fahrradinfrastruktur für Kinder habe ich gestern allein deshalb demonstriert, weil die ja zugleich auch sichere Fahrradinfrastruktur für Erwachsene wäre. (Ich bin aus Pankow zu der Kidical Mass in Marzahn-Hellersdorf gefahren, um wenigstens ein paar zügige Kilometer bei der An- und Abfahrt auf die Uhr zu bekommen. Hinwegs bin ich über große Achsen gefahren, da geht das mit den Radwegen inzwischen eingermaßen; den Rückweg aber habe ich mir von OSMR zeigen lassen, das mich durch Straßen geschickt hat, deren Erbauern das Konzept "Fahrrad" anscheinend völlig fremd war.)

    Unabhängig von meinen persönlichen Ansichten über Kinder gereicht es einer Gesellschaft weder zu Ehre noch Vorteil, wenn sie die Sicherheit und das Wohlergehen ihres Nachwchses vernachlässigt. Und es mag zwar ein Segen für die KFZ-Hersteller sein, aber die Ausrichtung von Städtebau auf Autos ist alles andere als ein Segen für die Lebensqualität in diesen Städten.

    -- Ein herzlicher Gruß und Dank gilt übrigens der Fahrradstaffel der Berliner Polizei: Korken können die so gut wie die CM-Testosteronbrigade, und sie ist (in meiner Erfahrung) eine freundliche, hilfsbereite und nahbare Abteilung. Bürgernah halt ... Fahrradfahren verbindet die gegensätzlichsten Gruppen, weil die im Straßenverkehr auf zwei Rädern alle dieselben Probleme haben.