Widerstand gegen Tagebau Garzweiler II: Der neue Hambi heißt Lützerath
RWE will das nordrhein-westfälische Dorf Lützerath abreißen, um dort Braunkohle fördern. Klimaaktivist*innen machen es zum Kampfplatz.
Der Energiekonzern RWE will dort den Tagebau Garzweiler II vergrößern und dafür sechs Dörfer abreißen, als nächstes Lützerath. Die meisten Häuser sind schon weg, die Bewohner*innen umgesiedelt. Nur ein Bauer hält die Stellung: Eckhard Heukampf hat als einziger Bewohner nicht an RWE verkauft. Allein ist er trotzdem nicht: An seiner Seite steht die Klimabewegung, die Lützerath zur „ZAD“ erklärt hat – zur „Zone a defendre“, also zur Zone, die es zu verteidigen gilt.
„Es gibt wenige Orte im deutschsprachigen Raum, an denen die lokale und globale Zerstörung der Umwelt so sichtbar wird wie hier“, sagt Jësse Dittmar. Die 36-jährige Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“ wohnt seit über einem Jahr nahe der Abbruchkante des Tagebaus in einem umgebauten Schäferwagen aus Holz. Sie sei hergezogen, um der Klimakrise entgegenzuwirken, sagt sie. „Die Grenze zur Einhaltung des Pariser Abkommens verläuft direkt unter unseren Füßen.“
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im Auftrag der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ ausgerechnet, dass das Treibhausgasbudget, das Deutschland zur Verfügung steht, wenn es mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit das 1,5-Grad-Ziel erreichen will, noch die Abbaggerung von 200 Millionen Tonnen Braunkohle erlaubt. RWE will aber bis 2038 noch 780 Millionen Tonnen aus Garzweiler I und II holen.
Die Prominenz war schon da
Um das zu verhindern, versuchen Dittmar und andere, möglichst viele Menschen nach Lützerath zu mobilisieren. Am Wochenende war die schwedische Aktivistin Greta Thunberg hier und hat sich mit ihrer deutschen Mitstreiterin Luisa Neubauer an der Abbruchkante fotografieren lassen. „Defend Lützerath, defend 1,5° C“ stand auf den Schildern, die sie in die Kameras hielten. Die Seawatch-Kapitänin und Politaktivistin Carola Rackete ist ebenfalls vor Ort und mobilisiert. Lützerath soll der neue Hambi, der neue Danni werden.
Die heiße Phase der Räumung könnte jeden Moment losgehen: Wenn ab 1. Oktober die Schonzeit für Bäume in Deutschland vorbei ist, wird RWE große Grundstücke absperren und alles abreißen, was dort noch steht, befürchten die Aktivist*innen: verlassene Häuser, Scheunen und einige Bäume drum herum.
Ab diesem Mittwoch laden sie deshalb zu einer Skillshare-Woche ein, in der alle Interessierten lernen können, was man wissen muss, um ein Dorf zu besetzen: Baumhäuser bauen, klettern, Knoten machen, sich irgendwo einbetonieren oder festketten, Erste Hilfe.
Showdown ab Allerheiligen
Ernst wird es vermutlich am 1. November. Dann wird die sogenannte Grundabtretung gültig, also die Enteignung von Bauer Heukamp, die RWE bei der Bezirksregierung Arnsberg beantragt hat. Die Bezirksregierung, die für Bergbaugenehmigungen in der Region zuständig ist, gab dem Antrag statt. Heukamp klagt noch dagegen, aber eine aufschiebende Wirkung hat das nicht. Die Aktivist*innen fürchten, dass RWE Fakten schafft, bevor ein Gericht entschieden hat. Ab dem 29. Oktober laden sie deshalb zu einem „Unräumbar-Festivall“ ein. Anschließend sollen alle vor Ort bleiben, solange das nötig ist. Auch Ende Gelände mobilisiert nach Lützerath.
Was Heukamp macht, wenn der Protest nicht erfolgreich ist, dem er eine große Wiese zum Zelten und ein Mietshaus zur Verfügung gestellt hat, wisse er noch nicht, sagt er. „Es gibt keinen Plan B.“ Der Kampf gehe an die Substanz, aber aufgeben werde er deshalb nicht. „Es geht hier um mehr als mein Haus und Hof. Es geht um das Leben zukünftiger Generationen.“
Auch Dittmar und andere Aktivst*innen wollen mehr, als das Dorf zu erhalten – sie wollen dort etwas Neues aufbauen: „Eine solidarische Gemeinschaft, die nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und nicht nach der Wirtschaft“, sagt sie. Das müsse sich auch nicht auf Lützerath beschränken. RWE will fünf weitere Dörfer in der Nachbarschaft abbagern: Keyenberg, Berverath, Kuckum, Oberwestrich und Unterwestrich. Auch dort wohnen noch Menschen, die sich gegen eine Umsiedlung wehren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien