„Wetten, dass..?“ und „TV Total“ zurück: Boomer haben ausgedient
Verschiedene TV-Sender graben alte Sendungen wieder aus. Ist die Rückkehr von „Barbara Salesch“ und „Britt“ eine Nostalgie-Offensive für Millenials?
E in Distinktionsmerkmal unter Akademiker*innen ist es, keinen Fernseher zu besitzen. Damit wollen sich viele Menschen mit Hochschulabschluss vom Rest der Bevölkerung absetzen. Ich besitze zwar auch keinen Fernseher, habe aber als Kind genug für ein ganzes Leben in die Röhre geglotzt.
Meine Persönlichkeit ist ein Produkt des TV-Programms der 1990er und 2000er. Natürlich wurde ich hellhörig, als in den vergangenen Wochen bekannt wurde, dass TV-Sendungen aus meiner Kindheit aus der Mottenkisten geholt wurden: „Britt, der Talk“ bei Sat.1; „Der Preis ist heiß“, „Die 100.000 Mark Show“, „Richterin Barbara Salesch“ bei RTL; „TV Total“ auf ProSieben oder „Wetten, dass..?“ beim ZDF. Diese Sendungen habe ich als Kind geguckt. Außer Thomas Gottschalk, der war mir schon immer zu peinlich, zu deutsch, zu wirr.
Damit ich mich nach so manch wirr-akademischer Diskussion auf Podien in westdeutschen Städten etwas erhole, schalte ich abends ab und zu den Fernseher im Hotelzimmer ein. Okay, eigentlich immer. Ich will ja auf dem Laufenden bleiben. Neulich lief „TV Total“ und ich fand es einfach nicht lustig.
Als 12-Jähriger habe ich mich über die Pipi-Kaka-Witze von Stefan Raab weggelacht, im Kölner Hotel mit den Holzimitat-Möbeln aus den 90er Jahren war ich nur erstaunt, dass sich der sowieso unlustige deutsche Humor in den vergangenen 30 Jahren null weiterentwickelt hat. Die trashige Sendung hat mich trotzdem etwas beruhigt. Ich habe mich kurz in Tage zurückversetzt, als die Matheklausur und die Aufmerksamkeit meiner ersten großen Liebe meine Sorgen waren.
Das ist, glaube ich, der Zweck der nostalgischen Fernsehoffensive großer privater und öffentlich-rechtlicher Fernsehsender. Generation-Tiktok ist eh im vertikalen Smartphone-Display-Kosmos gefangen, der ja nur eine billige Kopie von „Upps! Die Pannenshow“ ist. Abgesehen davon, dass jedes erdenkliche Format (meist zuerst in den Niederlanden) durchgenudelt wurde, zeigt der TV-Flashback, dass die Boomer bald ganz ausgedient haben.
Musikantenstadel war gestern, heute regiert der Geist von Harry Wijnvoord! Hmmm, wenn ich so nachdenke, scheint meine Analyse doch etwas wirr, ich weiß. Wenn Sie mir nicht weiter folgen können, schalten Sie einfach um.
Auf jeden Fall wollen nun die Millennials endlich das Sagen haben. Endlich wieder in unbekümmerte Kindheitstage zurückbeamen, nachmittags die Fernbedienung in die Hand nehmen: Barbara Salesch spricht Recht, Britt Hagedorn spielt Paartherapeutin und Sozialarbeiterin. Abends verschenkt Ulla Kock am Brink 50.000 Euro, die trotz Inflation weiterhin als Gegenwert des Hauptpreises bei der Neuauflage der „100.000 Mark Show“ angepriesen werden.
Na ja, bin nicht mehr so sicher, ob die Macht-These Sinn ergibt. Aber ich ziehe das jetzt durch. Ein bisschen Nostalgie wird uns Millennials bei der Machtübernahme schon die nötige Ruhe und das Selbstbewusstsein geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag