Wenn Arbeitgeber Lohn einbehalten: Ein Fonds gegen Ausbeutung
Der Lohn unbequemer Mitarbeitender wird oft einbehalten. Der Fonds „Payday“ soll kämpferischen Arbeiter:innen und Betriebsrät:innen helfen.
Moritz W. ist Mitglied des Betriebsrats von Lieferando und Teil der Betriebsgruppe Lieferando Workers Collective Berlin. Im Gespräch mit der taz zählen er und sein dort ebenfalls aktiver Kollege Dorian R., die beide nicht mit ihrem vollen Namen in der Zeitung stehen wollen, diverse Formen von „Lohndiebstahl“ auf.
Da sei die einfache Form, die auf der Lohnabrechnung oder dem Kontoauszug ablesbar sei. Außerdem gebe es indirekte Lohnkürzungen: fehlende Schichten inklusive ausbleibenden Trinkgelds, falsch berechnete Urlaubs- und Krankheitstage oder mangelhaftes Equipment, das am Ende durch brauchbarere Alternativen aus der eigenen Tasche ersetzt werden müsse. Jedes Element der Arbeitsbeziehung sei für Lieferando eine Gelegenheit, Geld zu verweigern.
„Würde all das bezahlt, was uns rein rechtlich zusteht, hätten wir 30 Prozent mehr Geld in der Tasche“, sagt Dorian R. Die Verbreitung und Bedeutung von Lohnrückstand in der Arbeitswelt ist kaum erforscht. Gleiches gilt für Union Busting oder Angriffe auf Betriebsräte und aktive Beschäftigte allgemein. Doch mit den Problemen, die die beiden Lieferfahrer schildern, beschäftigt sich in Berlin eine Gruppe von Gewerkschafter:innen und Betriebsrät:innen intensiv.
Konkurrenz für Gewerkschaften?
Neben Moritz W. sind auch Ruth Kreuzer und Jona Schapira Teil eines kleinen Kreises, der sich über den jahrelangen Arbeitskampf bei dem inzwischen geschlossenen Berliner Ableger der Hostelkette Wombat’s kennengelernt hatte. Sie sind überzeugt: Lohnentzug ist ein bedeutendes Phänomen. „Man hört das aus Katar – und alle sind schockiert, aber es ist auch in Deutschland eine sehr verbreitete Strategie“, meint Kreuzer, die sich als Schulsozialarbeiterin im Betriebsrat engagiert.
Lohnraub werde strategisch eingesetzt, um aktive Beschäftigte in ihrer Organisierung zu stören oder Arbeitskämpfe lahmzulegen, erklärt Jona Schapira. Sie arbeitet als Bildungsreferentin am Anne Frank Zentrum in Berlin und ist dort in der Verdi-Betriebsgruppe aktiv. Besonders in prekären Berufen führe der Lohnentzug dazu, dass engagierte Arbeiter:innen sich nach einem neuen Arbeitsplatz umsähen. „Damit sind die Aktiven, die Solidarität leben und sich für Rechte einsetzen, weg vom Arbeitsplatz“, so Schapira.
„Wenn alle mit ihren einzelnen Repressionen zu tun haben, ist keine Zeit für kollektives Organisieren“, sagt Kreuzer. „Wir wollen stattdessen unsere Kolleg:innen darin unterstützen, ihre Konflikte führen zu können.“ Um dies zu ermöglichen, hat die Gruppe mit „Payday“ einen Fonds eingerichtet, der den Lohnrückstand bei kämpfenden Kolleg:innen ausgleichen soll. Per mehrsprachigem Online-Formular kann mit der Gruppe Kontakt aufgenommen werden. Nach einem ersten persönlichen Treffen wird über die Freigabe der Gelder entschieden.
Payday befindet sich im Aufbau und wirbt um Spenden. Zudem beschränkt sich der Fonds derzeit noch auf Arbeiter:innen, deren Monatseinkommen 1.800 Euro brutto nicht überschreitet und die in Berlin wohnen. Die Initiative hofft aber, dass sich im Laufe der Zeit andernorts weitere Ableger von Payday gründen. Sie versteht sich nicht als Konkurrenz zu den Gewerkschaften. Stattdessen soll mit dem Vorteil der Handlungsschnelligkeit einer kleinen Gruppe deren Arbeit ergänzt werden. Mit dem Fonds könne im besten Falle aus einzelnen erfolgreichen Geschichten eine kollektive Erzählung vom Gewinnen erwachsen, ist Schapira überzeugt.
„Ein Abschreckungsinstrument“
Eigentlich sind die Arbeitsgerichte für die Feststellung von unrechtmäßigem Lohnrückbehalt zuständig. Ein Prozess zieht sich jedoch nicht selten über zwei Jahre hin. Wenn Betroffene materiell von ihrem monatlichen Lohn abhängig sind, kommen diese Entscheidungen zu spät. Und ein weiteres Problem benennt Schapira: „Wenn der Fall dem Gericht vorgelegt wird, kommt es nicht zur Prüfung, ob eine gewerkschaftsfeindliche Strategie dahintersteht.“
An der Technischen Universität Chemnitz befasst sich der Arbeitssoziologe Oliver Thünken mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Er ist Mitautor einer aktuellen Studie, die Angriffe gegen aktive Arbeiter:innen genauer untersuchte.
Solche Attacken hätten auch eine Dimension jenseits des angegriffenen Individuums, sagt er: „Der strategische Gehalt liegt darin, Einzelne, die sich engagieren, exemplarisch abzustrafen.“ Das führe der Belegschaft vor, dass bei entsprechendem Handeln Konsequenzen zu befürchten seien. „Es ist ein Abschreckungsinstrument“, so Thünken.
Für den Wissenschaftler hat sich gezeigt: „Trotz aller Angriffe auf Einzelne ist es wichtig, deren Abwehr in eine eigenständige betriebspolitische Strategie einzubinden.“ Das bestätigt auch Lieferando-Betriebsrat Moritz W.: „Kleine Dinge verbessern sich, aber nur solange wir Druck machen. Ohne den bekommen wir nichts oder Alibilösungen wie Winterhandschuhe im Wert von 50 Cent.“
Auch Dorian R. begrüßt die Idee von Payday. „Aber wenn wir bestimmte Dinge verändern wollen, gibt es keine Alternative, als dass wir uns als Arbeit:innen leidenschaftlich zusammentun“, sagt er. Die Payday-Initiative will dafür in den Erstgesprächen die kollektiven Handlungsmöglichkeiten der Angegriffenen ausloten. Denn, so Verdi-Aktivistin Schapira: „Eine organisierte Belegschaft mit einer gemeinsamen Strategie ist die beste Prävention vor künftigen Angriffen auf Arbeiter:innen, ob diese nun durch Lohnklau oder in anderer Form erfolgen.“
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