Facebooks „Metaverse“: Weniger Demokratie wagen

Das neue „Metaverse“ von Facebook verspricht „echten Blickkontakt“ in Meetings – birgt aber auch Gefahren für die Autonomie der Nut­ze­r*in­nen.

Ein Portrait von Mark Zuckerberg

Wirkt fast unecht: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im Metaversum Foto: Meta/dpa

Vor Kurzem hielt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der das Unternehmen jüngst in „Meta“ umbenannte, eine seiner Ansprachen. Die Reden, in denen die Chefs der weltweit größten Tech-Konzerne, wie Elon Musk oder Tim Cook, regelmäßig ihre Vi­sio­nen teilen, haben zumindest für begeisterte Tech­ni­k­an­hän­ge­r*in­nen Zäsurcharakter.

Genaues Zuhören ist auch dann sinnvoll, wenn man sich nicht für das neueste iPhone oder andere technische Spielereien interessiert. Denn die dort vorgestellten Pläne – sollten sie jemals so umgesetzt werden – haben eine Tragweite angenommen, die tiefgehende Veränderungen für die Gesellschaft und das Leben ei­ner*­ei­nes jeden Einzelnen bedeuten.

Sie sollen Zukunft atmen und erinnern dabei in Plot und Setting nicht selten an Science-Fiction-Filme. So auch Zuckerbergs jüngster Auftritt: Zunächst vor einer Wohnkulisse, die, mit fein abgestimmter Dekoration und elegant platzierten Büchern im Hintergrund, vermutlich Heimeligkeit ausstrahlen soll und doch so eigentümlich steril wirkt wie die meisten Vorstellungen, die das Kino von der Zukunft hegt. In einen schmucklosen Sweater und eine darauf abgestimmte Hose gekleidet, fügt sich der Chef des Tech-Unternehmens hervorragend in die Szenerie ein.

Er spricht vom „verkörperten Internet“, das ein „Gefühl von Präsenz“ und „echter menschlicher Interaktion“ vermitteln soll. Beim Spielen mit Freun­d*in­nen wird man sich dadurch fühlen, als wäre man tatsächlich zusammen und nicht allein vor dem Computer. Es soll Meetings mit echtem Blickkontakt ermöglichen und dem Starren auf einen leblosen Bildschirm ein Ende setzen.

Digitale Parallelwelt

Es klingt fast, als würde Zuckerberg einen Ersatz für etwas beschreiben, das es längst gibt und wofür man zumindest in der Prä-Corona-Zeit keine Technologie brauchte. Etwas, das eigentlich immer eine Selbstverständlichkeit gewesen ist: echte zwischenmenschliche Begegnungen. Worauf er aber eigentlich hinauswill, ist das sogenannte „Metaverse“, eine Art digitale Parallelwelt.

Mit ein paar Handbewegungen zaubert er eine Simulation dessen herbei, wie es einmal aussehen könnte: Plötzlich steht er vor einer Fensterfront mit weitem Ausblick und offener Feuerstelle. Man meint, das Projekt soll spektakuläre Wohnträume, wie sie sonst nur Milliardäre wie ihm vorbehalten sind, wahr werden lassen. Oder zumindest die Illusion davon.

Das allein wäre aber noch nicht kühn genug, wie im nächsten Schritt zu sehen ist: Zuckerberg tritt mit einem Avatar, der ihm nachgebildet ist, einer Besprechung bei, die in einer im Weltall schwebenden Raumkapsel stattfindet. Einige seiner Kol­le­g*in­nen haben sich ebenfalls für ein menschliches Antlitz entschieden, andere kommen beispielsweise als Roboter.

Der Reiz am „Metaverse“ soll also nicht in der schieren Nachbildung der Realität bestehen, sondern in der Ausdehnung des Möglichkeitsrahmens, wie diese aussehen könnte – und wahrscheinlich noch wichtiger: wer wir darin sein können.

Das Metaverse „könnte zu einer dramatischen Erweiterung dessen führen, was altmodische Denker unsere ‚Lebenswelt‘ genannt haben“, sagt Thomas Metzinger, Professor für theoretische Philosophie an der Universität Mainz. Das Vorhaben überrascht den Ethiker, der im Rahmen eines EU-Projekts bereits zur Übertragung des Ich-Gefühls in Avataren forschte, nicht.

Idee aus einem Sci-Fi-Roman

Die Sache sei bereits klar gewesen, als Face­book vor wenigen Jahren mit „Oculus“ einen zentralen Hersteller von „Virtual Reality“-Headsets – also jener Hardware, die für das Eintauchen in das „Metaverse“ notwendig sein wird – aufgekauft hat.

Die Idee ist nicht neu. Die Begrifflichkeit geht auf einen Sci-Fi-Roman aus dem Jahr 1991 zurück. In „Snow Crash“ schildert Neal Stephenson eine digitale Parallelwelt, in die sich die Menschen angesichts grassierender sozialer Ungleichheit und zunehmend chaotischer Zustände nach umfassenden Privatisierungen zurückziehen.

Im von Großkonzernen und organisiertem Verbrechen dominierten „Metaverse“ ist der Staat als Ordnungsmacht ebenso restlos verschwunden. Dennoch erscheint es vielen als lebenswertere Alternative, was dazu führt, dass sich ein Großteil der Nut­ze­r*in­nen nur noch zur Befriedigung der nötigsten menschlichen Bedürfnisse in der realen Welt bewegt.

Warum sich das Silicon Valley ausgerechnet auf einen Terminus festgelegt hat, der aus einem dystopischen Kontext stammt, bleibt ein Rätsel. Eines gewissen Zynismus entbehrt er nicht. „Epic Games“-Chef Tim Sweeney und Microsoft-CEO Satya Nadella sprechen nicht nur ebenfalls vom „Metaverse“, sondern haben auch angekündigt, ebenso an einem solchen zu arbeiten.

Letztgenanntes Unternehmen hat unter der Bezeichnung „Mesh“ gerade sogar erste konkrete Pläne für eine Avatar-Funktion im Meeting-Tool „Teams“ veröffentlicht, die bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 in die Realität umgesetzt werden sollen.

Getrieben von Gier

Dass das „Metaverse“ kommt, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Wie es genau aussehen, wie es die Gesellschaft als Ganzes und den Alltag des Einzelnen verändern wird, lässt sich schwer vorhersagen. „Es könnte zu ganz neuen systemischen Effekten kommen, an die jetzt noch niemand denkt.

Aber das Geschäftsmodell der interessierten Konzerne ist grundsätzlich von Gier getrieben und wachstumsorientiert. Der Aufbau eines ‚Metaverse‘ wäre niemals gemeinwohlorientiert, dahinter steht kein prosozialer Impuls“, sagt Metzinger.

Besonders problematisch findet der Philosoph, dass in der digitalen Parallelwelt voraussichtlich keine Repräsentation politischer Institutionen stattfinden und damit jede demokratische Legitimation fehlen würde. Zugespitzt, würden die Spielregeln letztlich von ein paar wenigen US-amerikanischen Milliardären diktiert. Die Möglichkeit, das „Metaverse“ durch bestehende rechtliche Infrastrukturen zu regulieren, schätzt Metzinger als gering ein.

Für dieses Urteil schöpft er aus Erfahrungen aus der Arbeit in der hochrangigen Expertengruppe zur Erarbeitung der EU-Ethikrichtlinien für künstliche Intelligenz, wo wirtschaftliche Akteure bedeutendere ethische Forderungen oft bereits im Keim erstickt hätten. Weil die großen Tech-Konzerne die lukrativeren Gehälter bezahlen, hätten sie auch das Spitzenpersonal auf ihrer Seite, das früh juristische Schlupflöcher ausfindig mache und so den Behörden häufig einen Schritt voraus sei. Dass das „Metaverse“ als globaler Raum angelegt ist, erschwere es, rechtliche Standards weltweit geltend zu machen.

Im Hinblick auf die demokratische Ordnung sieht Metzinger noch eine zweite Gefahr: „Wir verpassen womöglich gerade eine historische Chance: Wir verlieren die digitale Souveränität. Und zwar nicht nur im politischen Sinne, sondern auch in Bezug auf unsere mentale Autonomie.“

Wie ein LSD-Trip

Algorithmen verstünden es bereits jetzt sehr gut, die Aufmerksamkeit der Nut­ze­r*in­nen abzusaugen und mit den so erlangten Informationen an Wer­be­kun­d*in­nen zu verkaufen. Ein „Metaverse“ könnte das Engagement auf eine neue Ebene heben, noch mehr Aufmerksamkeitsressourcen extrahieren, die geistige Selbstkontrolle weiter beschädigen und so die Demokratie untergraben, die auf eine kritische Menge mündiger Bür­ge­r*in­nen angewiesen ist.

Facebook – beziehungsweise „Meta“ – hat indes eine erste Kampagne zum geplanten „Metaverse“ veröffentlicht, die sich ganz auf den hedonistischen Aspekt des Projektes konzentriert. Im Trailer ist eine Gruppe Jugendlicher in einem Museum zu sehen, die ihre Smartphones auf ein Gemälde richtet. Schließlich tauchen sie virtuell darin ein, die Dschungellandschaft erwacht scheinbar zum Leben, Tiger beginnen zu sprechen, Affen, Gnus und Flamingos tanzen.

Das Spektakel wirkt wie ein gigantischer psychedelischer Trip, den der Konzern überschreibt mit dem Slogan: „Das wird ein großer Spaß.“ Als sei der Name des Projekts nicht bereits zynisch genug, ist das nun erschienene Video mit einem Song von SL2 unterlegt. Der Titel: „Way in My Brain“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.