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Weltweite Verteilung von ImpfstoffIndustriestaaten blockieren

Die Mehrheit der Menschen muss auf eine Impfung weiter warten. Eine Initiative, die die Patentrechte aufheben wollte, ist am Donnerstag gescheitert.

Bisher eine Ausnahme: Impfstofflieferung in abgelegene Regionen im Amazonasgebiet, Brasilien Foto: Bruno Kelly/reuters

Berlin taz | Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ist eine baldige Versorgung mit Impfstoffen und anderen medizinischen Gütern zur Bekämpfung der Coronapandemie weiterhin nicht in Sicht. Eine Aussetzung von Patentrechten der großen weltmarktbeherrschenden Pharmakonzerne scheiterte am Donnerstag auch in einer fünften Beratungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf seit Oktober 2020 erneut am Widerstand der USA, Deutschlands und anderer Industriestaaten, in denen diese Konzerne ihren Sitz haben.

Bereits Anfang September vergangenen Jahres hatten Indien und Südafrika in der WTO beantragt, es allen Mitgliedstaaten freizustellen, für die Dauer der Pandemie geistige Eigentumsrechte auf medizinische Produkte auszusetzen, die im Kampf gegen die Pandemie gebraucht werden. Das würde eine weltweite Ausweitung der dringend benötigten Produktion von Impfstoffen, Tests, Medikamenten, Schutzmasken und Beatmungsgeräten ermöglichen und könnte so Millionen Menschen in den bislang unterversorgten Ländern des Südens Schutz bieten.

Die Möglichkeit zur Aussetzung von Patentrechten im Fall eines Gesundheitsnotstands ist in dem 1994 zeitgleich mit der WTO-Gründung vereinbarten „Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum“ (TRIPS) vorgesehen. Die Ratifizierung des TRIPS-Abkommen ist Vorbedingung für den Beitritt eines Landes zur WTO.

Bis zum Mittwoch hatten über 100 der 164 WTO-Mitglieder ihre Unterstützung für den indisch-südafrikanischen Antrag erklärt. Doch für die Aussetzung des Patentschutzes ist nach den Verfahrensregeln der WTO ein Konsensbeschluss erforderlich. Dieser wurde am Donnerstag wie bei den vorherigen vier Beratungsrunden zwischen Oktober bis Dezember vergangenen Jahres in erster Linie von den Sitzstaaten der weltgrößten Pharmakonzerne USA, Japan, Schweiz, Großbritannien sowie den EU-Ländern Deutschland und Frankreich verhindert.

Eine weitere Beratung des TRIPS-Rates der WTO ist für März vorgesehen. WTO-Diplomaten aus Ländern, die den Antrag unterstützen, äußerten gegenüber der taz die Sorge, die Verhandlungen könnten sich bis Ende des Jahres hinziehen. Es werde bereits erwogen, notfalls einen Mehrheitsbeschluss zu fassen.

NGOs kritisieren „Blockadehaltung“

Ärzte ohne Grenzen, Oxfam und andere Nichtregierungsorganisationen kritisierten die „fortgesetzte Blockadehaltung“ der Industriestaaten. „Kanzlerin Merkel hat vor knapp einem Jahr gesagt, dass ein Covid-19-Impfstoff ein globales öffentliches Gut sein wird und man an möglichst vielen Stellen auf der Welt Produktionskapazitäten für einen Impfstoff schaffen muss. Davon ist jetzt nichts mehr zu sehen“, erklärte Marco Alves von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. Es sei „ein Skandal, dass von dem Bekenntnis zu globaler Weitsicht nur noch nationale Kurzsicht übriggeblieben ist“.

Die auch beim jüngsten Impfgipfel in Berlin von den Pharmaunternehmen vorgebrachte Erklärung, eine signifikante Ausweitung der Produktion von Corona-Impfstoffen sei wegen technischer Schwierigkeiten oder des Mangels an Grundstoffen nicht möglich, wies Alves mit Verweis auf die bereits seit Januar 2020 praktizierte und sehr erfolgreiche Kooperation zwischen dem britischen Hersteller AstraZeneca und dem Serum Institute of India zurück.

Die Covax-Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur gerechteren globalen Verteilung von Impfstoffen, deren Unterstützung durch Deutschland die Bundesregierung betont, sei „keine Lösung des Problems“. Denn auch Covax könne „nur die Impfstoffe verteilen, die zuvor auch produziert werden“.

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12 Kommentare

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  • Die Linke hatte am 14.1. einen entsprechenden Antrag (19/25787) im Bundestag eingebracht. Wie die anderen Parteien darauf reagiert haben, kann man sich auf der Seite des Bundestags in einzelnen Videoclips ansehen

  • Und wieso sollte es nicht möglich sein, dass die Antragsteller Indien und Südafrika eine kostenpflichtige Lizens erwerben?

  • Andreas Zumach hat wieder einmal den Finger in die Wunde gelegt.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Dieser wurde am Donnerstag (...) in erster Linie von den Sitzstaaten der weltgrößten Pharmakonzerne USA, Japan, Schweiz, Großbritannien sowie den EU-Ländern Deutschland und Frankreich verhindert.""

    ==

    Ich befürchte das die Bundesrepublik Ihren Einfluss längst verloren hat überhaupt mitbestimmen zu können wie der Impfstoff verteilt wird.

    Eindeutig ist das die EU derzeit die die Priorität darauf setzt den nur derzeit knappen Impfstoff einigermassen gerecht wenigstens unter den EU 26 Staaten zu verteilen. (Ungarn impft mit Sputnik V).

    Man stelle sich vor wenn es die EU nicht gäbe - und der britische Ultra-Impfnationalismus (wir sind die größten & besten, alle anderen sind Versager - so im guardian) unter den Staaten auf dem Kontinent grassieren würde.

    Biontech baut derzeit



    4 Produktionsstätten in der Bundesrepublik auf - auch mit Novartis - wobei Pfizer die Produktion in den USA schon längst aufgebaut hat.

    Den Vogel schiesst Curevac ab in seiner Zusammenarbeit mit GlaxoSmithKline plc. . Curevac hat die mRNA Technolgie überhaupt lange vor Biontech in Tübingen entdeckt und weiterentwickelt und sie arbeiten heute an der nächsten Generation, die das Potential eines multivalenten Ansatzes gegen aufkommende Virusvarianten in einem Impfstoff mit sich bringt.

    Unter den Bedingungen der erweiterten Partnerschaft wird GSK Zulassungsinhaber für den Impfstoff der nächsten Generation sein mit Ausnahme der Schweiz. GSK wird den Impfstoff in allen Ländern -- mit Ausnahme von Deutschland, Österreich und der Schweiz vermarkten.

    mRNA Technik wurde in der Bundesrepublik erfunden, aber zukünftig befindet sich das Land unter den Ländern, in dem multivalente Impfstoffe nicht erhältlich sein werden?

    Wir haben gelernt das Covid 19 bekämpft werden muß bevor die Zahlen in die Höhe schiessen & die furchtbaren Konsequenzen nicht mehr oder kaum händelbar sind.

    In der Kritik von dem was real abläuft



    im Dunkeln zu stehen und sich zu überschätzen ist mindestens genauso fatal.

  • Und mal wieder ist Deutschland mit an der Spitze !!!

    Diesmal mit an der Spitze der Unmenschlichkeit!

    Wären die Pharmakonzerne in finanziellen Schwierigkeiten, könnte ich das ja zumindest ein kleines Stückchen nachvollziehen - aber so ist es reine Gier.

  • Man kann sich nur noch für Führung unseres Landes schämen.

    • @yurumi:

      Ich habe eine Zeitlang in Südamerika gelebt, und eines was ich dort gelernt habe ist: Menschenwürde drückt sich auch in Solidarität aus. Und Würde ist nichts, was man jemand weg nehmen kann. Es ist daher nicht die Würde der Armen, die durch Ungerechtigkeit verletzt wird, es ist die Würde der Wohlhabenden, die nicht helfen.

      Und da gibt es auch eine kollektive Dimension.

      Es ist würdelos, Flüchtlinge buchstäblich ertrinken zu lassen.

      Es ist würdelos, zugunsten von Gewinnen für Unternehmen Menschen in Asien und Südamerika einer tödlichen Seuche auszusetzen und ihnen Impfungen vorzuenthalten.

      Wenn Impfungen für die Länder des Südens im aktuellen System nicht finanzierbar sind, müssen wir halt das System ändern.

      • @jox:

        @Jox: Sehr gute Ausführung. Ich habe dazu nichts mehr hinzuzufügen.

  • "Eigentum ist Diebstahl", sagte bereits 1840 der französische Anarchist Pierre-Joseph Proudhon. Übertragen auf hiesigen Kontext lässt sich sagen, dass es um Profite geht und nicht um die Gesundheit und das Leben von Menschen, insbesondere je ärmer diese sind. Wer die Regierenden bloß immer wieder wählt?

  • Ich schäme mich.

    • @gleicher als verschieden:

      Ja, wir haben allen Grund uns zu schämen. Diejenigen, die den meisten Grund zur Scham haben sollten, nämlich die Handelnden in unserer Regierung, fühlen sich merkwürdigerweise überhaupt nicht betroffen. Ich denke, solange hier eine Regierungsbeteiligung ein "C" im Namen hat, wird keine soziale Lösung zur Anwendung kommen. Es wird munter weiter geheuchelt und den Gläubigen unter den Wählern vorgelogen, was man alles möchte und sollte, aber leider nicht durchsetzen kann.



      Grund: Das EU-Einstimmigkeitsprinzip, mit dem Einer das Votum der Mehrheit blockieren kann. Das ist einer der größten Fehler im EU-Werkzeugkasten, hinter dem sich die Maßgeblichen verstecken und munter weiter lügen und mit frommem Augenaufschlag heucheln können. Uns bleibt neben der Scham nur eines - aufwachen und gut nachdenken, ob wir weiter mitheucheln wollen oder unser Wahlkreuzchen bei einer Partei setzen, die über ihren Tellerrand und den der EU hinaus sehen und handeln will und kann.

    • @gleicher als verschieden:

      Mir geht es auch so. Eine Schande für die reichen Länder. Eine ethische Ungeheuerlichkeit, die zahllose Menschen im Süden unnötig das Leben kosten wird. Da möchte man mit Brötchen schmeißen.