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Weltkriegsgedenken in RusslandDie Show gestohlen

Wegen der Corona-Pandemie wird die Siegesparade am 9. Mai auf dem Roten Platz abgesagt. Präsident Wladimir Putin schiebt die Veteranen vor.

Dieses Jahr findet keine Parade am Roten Platz statt Foto: Valery Sharifulin/imago

E s sollte groß werden, pompös, eine Riesenparty. Noch größer, noch pompöser, noch riesiger als je zuvor. Der Krieg, dieser Große Vaterländische, der bittere, der verlustreiche, er ist seit 75 Jahren zu Ende. Die Sieger wollten feiern. Wollten sich vereint und stark und unbesiegbar zeigen. Panzer, Raketen, Soldaten in allerlei Formationen. Und viele Veteranen auf dem Roten Platz.

Mit ihren Orden und Medaillen, für die Verteidigung Moskaus, für die Schlacht in Stalingrad, für den Kampf gegen die „Operation Zitadelle“, diese letzte deutsche Großoffensive um die russische Stadt Kursk im Sommer 1943, für die Schlacht um die Seelower Höhen 1945, den Einmarsch der Sowjetunion in Berlin.

Es ist ein Tag, an dem die oft Gebrechlichen und Vergessenen ihren Stolz auf der Brust tragen und die Hand des Präsidenten schütteln. Ein freudiger Tag für die RussInnen, ein heiliger, wie Wladimir Putin ihn nannte, als er eine schwere Entscheidung verkündete. Die Militärparade am 9. Mai, dem Tag des Sieges, der das Selbstverständnis der Russen prägt, wird verschoben.

In der Geschichte dieses Feiertags war das noch nie vorgekommen. Es ist das Coronavirus, dass die Pläne des Präsidenten zunichte macht. Das Virus, das Putin bereits die Möglichkeit nahm, eine Abstimmung über die im Eiltempo vorangetriebene Verfassungsänderung abzuhalten. Diese hätte ihm eine Amtszeitverlängerung bis 2036 eingebracht. Doch auch sie – verschoben.

Heikle Entscheidungen

Die Wirtschaftskrise weitet sich aus. Der starke Mann wirkt plötzlich blass. Und doch ganz geübt darin, heikle Entscheidungen doch bitteschön anderen zu überlassen. Diesmal den Veteranen.

„Wir bitten Sie, diesen schweren und fairen Entschluss zu fassen, die Parade an einem anderen Datum abzuhalten, damit sie gemäß der epidemiologischen Situation keine Bedrohung, sondern ein wahrer Triumph des Friedens und der Sicherheit für alle Teilnehmer darstellt“, schrieben mehrere Veteranenverbände. Und siehe da, Putin erhört die Bitten seines Volkes und gibt sich verständnisvoll.

Der Präsident beherrscht solche Inszenierungen perfekt. „Er kann nicht wie jeder normale Mensch eine Entscheidung treffen und die Parade einfach absagen. Nein, er muss sich hinter den Veteranen verstecken. Mit den Großvätern kann man’s ja machen“, schrieb der Blogger Rustem Adagamow.

Die Entscheidung kam für viele Russen, vor allem die, die das Fernsehen als erste Informationsquelle nutzen, wie aus dem Nichts. Seit Wochen hält Putin wöchentlich eine Rede, ordnet „arbeitsfreie Wochen“ an, verteilt Wirtschaftshilfen für Unternehmer, sagt Sachen wie: „Es nervt, zu Hause zu sitzen, doch eine andere Wahl gibt es nicht.“

Überbringer schlechter Nachrichten

Den 9. Mai erwähnte er nie – bis zu diesem Donnerstagabend, als er, bei einer Videokonferenz mit den Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrats, pathetische Worte über die Moral, das Leben, den Menschen an sich gebraucht. Sein Auftritt klingt, als wolle er die Verschiebung dieser ideologie- und mythenaufgeladenen Feier in dem von ihm ausgerufenen „Jahr der Erinnerung und des Ruhmes“, dieser Selbstvergewisserung nach innen und außen, schnell hinter sich bringen. Er gibt nicht gern den Überbringer schlechter Nachrichten. Das Virus fordert es wöchentlich von ihm.

Alle Feiern zum 75. Jahrestag des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg sind erst einmal abgesagt. Der Aufmarsch auf dem Moskauer Roten Platz in Moskau ist ein Teil der patriotischen Erziehung im Land, die den Sieg als militärischen Heroismus feiert und die Stärke der Sowjetmacht unterstreicht.

Opfer und Gewalt treten bei diesem Weltkriegsnarrativ in den Hintergrund. Ein Narrativ, das nur eine „Wahrheit“ kennt und die Verteidigung dieser in die veränderte Verfassung hineingeschrieben hat. Kritik wird zu einem Verstoß gegen das Grundgesetz.

Die Parade werde „auf jeden Fall“ stattfinden, sagte Putin. Nur wann, sagte er nicht. Manche in Russland sprechen von Juni, andere von September, weil der Zweite Weltkrieg da endgültig vorbei war. „Wir werden auch das Virus zurückdrängen.“ Derzeit steigen die Zahlen täglich um etwa 4.000 Neuinfizierte an.

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4 Kommentare

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  • 8G
    83985 (Profil gelöscht)

    Na da sieh einer an, Putin geht nicht über Leichen, auch wenn es um seinen „Machterhalt“ (Verfassungsänderung) oder „Propaganda“ (Siegesparade) geht. Stattdessen verordnet er Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und stützt seine Wirtschaft. Sehr verdächtig. Aber auch eine Erklärung, warum so viele Russen hinter „Väterchen“ Putin stehen. Im übrigen haben die Russen jedes Recht, diesen Sieg über Hitlerdeutschland zu feiern.

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • 0G
    01209 (Profil gelöscht)

    Eigentlich sollten wir uns doch mit den Russen freuen, weil ihr Sieg gleichzeitig unsere Befreiung und die Befreiung des KZ Auschwitz durch russische Soldaten bedeutet.

  • der russische präsident macht es richtig.er schützt sein volk vor der coronavirus-pandemie so gut er kann und trifft dafür auch unpopuläre aber notwendige entscheidungen.



    von dem derzeitigen us-präsidenten kann man das nicht sagen.

    russland hat europa immer wieder verhandlungen über die begrenzung der aufrüstung angeboten.von amerikanischer seite kam immer wieder die aufforderung mehr geld für aufrüstung auszugeben



    was ist wohl das vernünftigere?



    gerade jetzt wäre es in anbetracht der hohen direkten und indirekten kosten



    der bekämpfung der corona-virus-pandemie vernünftig sich auf das russische angebot das wettrüsten zu begrenzen einzulassen und sich für die perspektive einer entspannungspolitik zu öffnen.



    dann hätte europa geld für die solidarität mit sich selbst und der welt



    derer es zur zeit besonders bedarf

    vielleicht könnten die europäer *innen sogar erfolgreich versuchen die usa auf den weg der vernunft und des friedens zu bringen



    für die bekämpfung der corona-virus-pandemie wird viel geld gebraucht und für die möglichst sichere abwendung eines katastrophalen klimawandels noch sehr viel mehr

    de.statista.com/st...-militaerausgaben/

  • Der Autor kennt die jährlichen Paraden wohl nicht aus eigener Anschauung, da er sich nur auf den rein militärischen Teil konzentriert, wie er übrigens auch in Paris nicht anders stattfindet. Ansonsten hätten ihm die vielen Tausend einfacher Bürger, vor fünf Jahren waren es sogar fast eine halbe Million, auffallen müssen, die jede/r ein Foto von einem im Krieg ums Leben gekommenen Verwandten in der Hand halten.