Wehrpflicht: Koalition schafft es zur Musterung
Union und SPD beschließen: Der Wehrdienst bleibt freiwillig. Doch die Pflicht zur Musterung kommt.
Am Ende stellen es alle so dar, als wollten sie nie etwas anderes: Von der Union über die SPD bis zum Verteidigungsminister selbst zeigten sich am Donnerstag alle glücklich und hochzufrieden über die erzielte Einigung beim neuen Wehrdienst. Dabei ist es vor allem Minister Boris Pistorius (SPD), der sich an zentralen Stellen gegenüber den Fraktionen im Bundestag durchsetzten konnte. „Wir haben einen sehr guten Kompromiss und ein sehr gutes Gesetz gefunden“, sagte er in Berlin. Die Auseinandersetzungen der Vergangenheit seien nun Geschichte.
Pistorius ist damit an sein vorläufiges Ziel gelangt: Der neue Wehrdienst kommt, und er soll freiwillig sein. Verpflichtend wird dagegen für junge Männer die Musterung, und das bereits ab dem 1. Januar. Diese flächendeckende Musterung bezeichnete der Verteidigungsminister als einen „entscheidenden Punkt“ für den angestrebten Aufwuchs der Truppe.
An diesem Punkt hatte sich die Koalition zuletzt verhakt: Eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Union und SPD hatte sich vor einem Monat auf ein Losverfahren geeinigt, mit dem junge Männer zur Musterung über ein Zufallsprinzip ausgewählt werden sollten. Pistorius hatte diesen Vorstoß, der zunächst auch von seiner eigenen Fraktionsspitze mitgetragen wurde, scharf kritisiert. Er wollte die flächendeckende Musterung aller jungen Männer.
Am Donnerstag wollte dann niemand mehr etwas von Streit wissen. Falko Droßmann, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, gab sich gar handzahm, nachdem er zuletzt noch als Teil der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe erheblichen Verbesserungsbedarf an dem Entwurf des Verteidigungsministeriums gesehen hatte. „Ich freue mich, dass es gelungen ist, aus dem sehr guten Entwurf der Bundesregierung einen noch besseren Entwurf des Parlaments zu machen“, sagte er nun.
Röttgen: Hat sich gelohnt
Ähnlich sah man es auf Seiten der Union. „Mein Rückblick auf das Gesetzverfahren ist geprägt von der Frage, ob es sich gelohnt hat“, sagte deren stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Norbert Röttgen. „Das bejahe ich heute uneingeschränkt.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sprach gleich von einem „mustergültigen Verfahren“, das „beispielgebend für die Arbeit in der Regierung“ gewesen sei.
Das ist eine zumindest eigenwillige Interpretation der vergangenen Wochen, die kommunikativ eher in Richtung eines heillosen Chaos deutete. Nach der Einigung innerhalb der Bundesregierung folgte eine Verschiebung der Beratungen im Parlament, um dann innerhalb der Koalitionsfraktionen den Entwurf zu entkernen. Weitere Schritte führten zu einer aufgeregten Fraktionssitzung der SPD, die in einer kurzfristig abgesagten Pressekonferenz mündete, auf der eigentlich eine Einigung präsentiert werden sollte.
Konkret sieht das Gesetz vor, dass ab dem 1. Januar alle 18-Jährigen einen Fragebogen zu ihrer Motivation für einen Dienst bei der Bundeswehr erhalten. Männer müssen diese Fragen beantworten, für Frauen ist das freiwillig. Um möglichst viele für einen freiwilligen Dienst zu gewinnen, sind Anreize wie eine monatliche Vergütung von rund 2.600 Euro brutto und ein Zuschuss zum Führerschein vorgesehen.
Die Pflicht zur Musterung gilt für Männer, die ab dem Januar 2008 geboren wurden. Hierfür müssen allerdings noch die Strukturen aufgebaut werden, was laut dem Verteidigungsministerium bis Mitte 2027 dauert. Zunächst sollen daher diejenigen gemustert werden, die zur Bundeswehr gehen oder einen Dienst unter allen Umständen verweigern wollen. Nach Angaben Pistoriusʼ soll für eine verpflichtende Musterung nach den Geburtstagen vorgegangen werden. Wer im Januar Geburtstag hat, kommt also früher dran.
Bis zu 270.000 Soldat*innen im Jahr 2035
Die Einigung sieht außerdem vor, dass es für jedes Jahr Zielkorridore gibt, wie viele neue Leute gewonnen werden sollen. Im kommenden Jahr liegt die Zielgröße dabei zwischen 186.000 und 190.000 aktiven Soldat*innen. 2035 soll die angestrebte Spanne dann zwischen 255.000 und 270.000 liegen. Derzeit verfügt die Bundeswehr ungefähr über 183.000 Soldat*innen im aktiven Dienst. Das Bundesverteidigungsministerium soll dem Bundestag künftig halbjährlich eine genaue Übersicht über die Personalzuwächse zusammenstellen.
Desiree Becker, Linke
Anhand dieser Daten möchte der Bundestag dann gegebenenfalls über eine Wiedereinführung einer Wehrpflicht entscheiden. Denn anders als von der Union ursprünglich gefordert, soll es künftig keinen Automatismus in diese Richtung geben, wenn über die angestrebten Attraktivitätssteigerungen nicht genügend Soldat*innen gewonnen werden können.
Die Linke kritisierte das Vorhaben deshalb als „Vorbereitung zu der Einführung einer Wehrpflicht“. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion, Desiree Becker, sagte der taz, die Koalition habe damit den Streit um eine Wehrpflicht einfach vertagt. „Man hat sich mit 270.000 Soldatinnen und Soldaten absichtlich ein sehr hohes Ziel gesetzt“, sagte sie.
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