Was von Trump bleibt: Wahn und Wirklichkeit
Das vorläufige Ende der Trump-Ära hat uns eine geschichtliche Atempause verschafft. Die müssen wir nutzen, um zu verstehen, was da geschah.
D ie kluge Marilyn Monroe hat bei der antikommunistischen Hexenjagd den Typus ihrer Verfolger treffend beschrieben: „halbfaschistischer Hampelmann“. Einen, den man mit Fug eine Apotheose des halbfaschistischen Hampelmanns nennen kann, scheint die Welt gerade loszuwerden. Uffa! Noch mal gut gegangen. Keine weiteren vier Jahre Lügen, Hetze, Narzissmus und schiere Blödheit. Oder?
Es bleibt ja dieser fiese Nachgeschmack: Fast die Hälfte der amerikanischen Wähler*innen haben sich aus all dem, was sich Donald Trump in seiner Regierungszeit zuschulden hat kommen lassen, nichts gemacht. Sie wollten mehr davon! Der Trumpismus als postpostdemokratische Episode des Niedergangs wird den USA und dem Rest der Welt bleiben. Und bei uns? AfD-Wähler*innen, Coronaleugner*innen, Verschwörungsfantast*innen, Rassist*innen und toxischer Chauvinismus, wo man hinsieht. Von klammheimlicher Zustimmung zu alledem ganz zu schweigen. Wir waren doch schon einmal so viel weiter auf dem Weg zu Aufklärung, Humanismus, Gerechtigkeit und Toleranz! Hat jedenfalls ein Teil der betroffenen Gesellschaften geglaubt.
Ein beunruhigend großer Teil unserer Mitmenschen scheint entschlossen, Personen, Ideen, Bewegungen zu folgen, die weder rational zu erklären noch moralisch zu rechtfertigen sind. Besonders erschreckend ist das, wenn man Menschen, denen man lange freundschaftlich verbunden war, sozusagen über Nacht an eines dieser antirationalen und antiethischen Milieus verliert. Der Bruch mit der großen Erzählung von Demokratie und Rechtsstaat, Aufklärung und Humanismus, Wirklichkeit und Wissenschaft geht mitten durch die Familien, die Nachbarschaften, die Arbeitswelten, die Vereine. Oft ist dieser Bruch so fundamental, dass es kaum zur Versöhnung kommen kann.
Ich persönlich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, mich mit jemandem noch einmal an einen Tisch zu setzen, der von jüdischen Weltverschwörern mit 5G-Strahlen raunt, die soziale Verantwortung von Maske und Abstand zur „Diktatur“ erklärt oder es für notwendig hält, auch auf Kinder zu schießen, um „illegale Einwanderer“ abzuschrecken. Und ich erwarte auch keine Versöhnungsangebote von der anderen Seite. Aber mit einer Definition der Bruchlinie ist es nicht getan. Wir hinterlassen unseren Nachkommen nicht nur einen Planeten in Gefahr und eine Gesellschaft in Auflösung, sondern auch Erzählungen, Wissen und Bilder. Auch um die lohnt es sich zu kämpfen. Und wenn uns die Weltgeschichte mit dem vorläufigen Ende der Trump-Ära eine Atempause verschafft, dann muss die auch für Versuche genutzt werden, zu verstehen, was da geschah.
Es gibt die Wahrheit des Materialismus, die Karl Marx in „Die heilige Familie“ formulierte: „Die ‚Idee‘ blamierte sich immer, soweit sie von dem ‚Interesse‘ unterschieden war.“ Tatsächlich erweist sich immer wieder, dass hinter ideologischem Getöse nichts als egoistisches Interesse zum Vorschein kommt. Daraus lässt sich für die Defekte dieser Zeit eine einfache Richtlinie ableiten: Folge der Spur des Geldes! Universaler lautet das Credo: It’s the economy, stupid! Aber das lässt sich auch umkehren: It’s the stupidity, economist! Das (ökonomisch-egoistische) Interesse erzeugt unter Druck eine so fundamentale Form der Dummheit, dass sie sich sogar gegen das eigene Interesse wendet.
Umkehren lässt sich vielleicht auch der Marx-Satz: „Das ‚Interesse‘ blamiert sich oft, wenn ihm die Idee in die Quere kommt.“ Insofern sich als „Idee“ eine Abbildung tieferer Leidenschaften verstehen lässt: Begehren, Hass oder Angst. Materialistische Rationalist*innen können nur den Kopf schütteln angesichts des Verhaltens von Menschen, die sich so entgegen den eigenen Interessen verhalten. Zum Beispiel in Wahlkabinen oder auf Straßenevents. Und was ist mit Autor*innen, Fernsehköch*innen, Kabarettist*innen, Schauspieler*innen, Wissenschaftler*innen et cetera, die ihre Verträge aufs Spiel setzen, nur um bösartige politische Phantasmen zu verfolgen? Interesse (die Hoffnung, Aufmerksamkeit zu Geld zu machen) oder doch Idee (die Ansteckungsgefahr skrupelloser Entwirklichung)?
Man könnte also neben der Spur des Geldes auch der der Angst folgen. Natürlich gibt es auch immer wieder Punkte, an denen beides zusammenkommt. Der Rassismus der deutschen Rechten basiert auf handfesten ökonomischen Interessen und zugleich auf dem sozialen Erbe von Angst- und Hassenergien. Die Angst im Neoliberalismus reduziert sich auf ein Thema: die eigenen Verluste. Verlust an Karriere, Verlust an Freiheit, Verlust an Sex und Macht, Verlust an Spaß. So wie man im Krieg, wie einst eine berühmte Krankenschwester erkannte, beobachten kann, dass die Gier zu töten größer ist als die Angst vor dem Sterben, so erscheint in unserer Gegenwart die Gier, möglichst viel vom Kuchen abzubekommen, größer als die Angst, er könnte vergiftet sein.
Wer sich so sehr gegen ein „vernünftiges“ Maß an Interesse sträubt, der braucht Idee, Ideologie, Phantasma – mehr noch: Wahn als Rechtfertigung. Nicht weil einer an eine Ideologie glaubt, tut er alles, um sich einen kurzfristigen Vorteil zu sichern, sondern im Gegenteil: Weil jemand um jeden Preis auf einen kurzfristigen Vorteil aus ist, sucht er oder sie sich eine Ideologie, die genau das erlaubt. Aber die Ideologie, die sich aus Gier und Angst zusammensetzt, verselbständigt sich: Interesse und Idee verknäueln sich unauflöslich.
Die halbfaschistischen Hampelmänner dieser Welt machen es vor, wie gut man das Interesse in der Ideologie und die Ideologie im Interesse verbergen kann, wenn es nur gelingt, Gier und Angst in „Überzeugung“ zu verwandeln. Dann kann man in der Tat auf Vernunft und Moral verzichten. Auf Wirklichkeit sowieso. Donald Trump ist fort, aber das Gespenst des Trumpismus geht weiter um in der Welt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“