Was steht im AfD-Gutachten?: Feinde der Verfassung – auf 1108 Seiten
Das Verfassungsschutzgutachten, mit dem die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, war geheim. Nun leakten es rechte Medien. Was steht drin?

Im November 2023 veröffentlicht Uwe Detert, AfD-Politiker in Nordrhein-Westfalen, ein Video mit dem Text: „Das Deutsche Reich ist da – Es ist nie untergegangen – Es war in kein Kriegsgeschehen verwickelt – Es gehört uns.“
Es sind Äußerungen wie diese, die die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor eineinhalb Wochen dazu veranlassten, die AfD bundesweit als gesichert rechtsextreme Bestrebung einzustufen. Als letzte Amtshandlung. Gesammelt sind die Belege in dem 1.108 Seiten starken Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz, das die Behörde eigentlich unter Verschluss halten wollte.
Die Behörde und das Ministerium hatten die Geheimhaltung damit begründet, Geheimdienstquellen schützen zu wollen und eine Präzedenzwirkung für weitere Verfahren zu vermeiden. Zudem erhalte die AfD das Gutachten ja im Falle eines Rechtsstreits. Tatsächlich hatte die Partei Eilklage gegen ihre Einstufung eingereicht – und ihre Anwälte haben das Gutachten inzwischen erhalten.
Seit Dienstagabend ist das Gutachten nun nicht mehr geheim: Die Rechtsaußenmedien Cicero, Nius und Junge Freiheit haben es in kompletter Länge veröffentlicht – zur Freude der rechten Blase. Der Cicero, der noch in der vergangenen Woche online gepostet hatte, das Durchstechen des Gutachtens an den Spiegel sei „Geheimnisverrat“ und wohl politisch motiviert, feiert sich nun als Verfechter der kritischen Öffentlichkeit.
Offiziell will sich die AfD nicht äußern, ihre Anhänger und Vertreter*innen werten den Leak dennoch als Erfolg. Ihr Spin: Die Belege, die das Gutachten anführt, seien absurd. Martin Sellner, Vordenker der Identitären Bewegung, erklärte die Belege als „völlig lächerlich“ und „totalitäre Bestrebungen“. Er rief dazu auf, die „witzigsten Raritäten“ zu posten.
Wer das Gutachten in Gänze liest, der findet hingegen eine ganze Fülle von aggressiven, menschenverachtenden, verfassungsfeindlichen und verschwörungstheoretischen Aussagen. Der Verfassungsschutz führt Zitate von 353 AfD-Funktionären auf, aus allen Ebenen der Partei. Es sind öffentliche Äußerungen aus Reden, Onlinepostings oder Interviews. Der Großteil ist lange bekannt und für jeden öffentlich nachlesbar. Informationen von geheimen Quellen tauchen in dem Gutachten nicht auf – auch wenn der Verfassungsschutz die Partei schon jetzt überwacht. Das offene Material aber hielt der Dienst offenbar für ausreichend.
Ethnisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff
Die AfD vertrete einen „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“, der darauf abziele, Deutsche mit Migrationsgeschichte „von der gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen“ und sie rechtlich abzuwerten, heißt es im Gutachten. Diese würden als „Passdeutsche“ und Bürger zweiter Klasse degradiert.
So schrieb etwa die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum im Jahr 2022 bei Telegram: „Wir dürfen nicht zulassen, dass […] man zum,deutschen Volk' nicht mehr durch Abstammung gehört sondern durch Übertreten der Landesgrenze“. In der Partei wird immer wieder auch von einem „Bevölkerungsaustausch“ oder einer „Umvolkung“ durch Migranten gesprochen, von „illegal ins Land gerufenen Kulturfremden“, was zu Untergang und Zerstörung Deutschlands führe.
Der Berliner Abgeordnete Gunnar Lindemann verglich Zugewanderte gar mit Waschbären: Eine „unkontrollierte Ausbreitung kulturfremder Spezies stellt immer eine Gefahr für die jeweils heimischen Ökosysteme dar“. Die AfD Sachsen postulierte im Wahlkampf offene Diskriminierungsabsichten: Ein Baby-Begrüßungsgeld solle es nur für Eltern mit „alleiniger deutscher Staatsbürgerschaft“ geben, Kitaplätze auch fast nur noch für diese. Andere Funktionäre forderten, die Ausbürgerung von Kriminellen zu prüfen oder Strafen für „Integrationsverweigerung“ zu verhängen.
Und die AfD Sachsen forderte im Landtagswahlkampf gleich ein Begrüßungsgeld für deutsche Kinder – aber nur wenn beide Elternteile ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Der ethnisch-abstammungsmäßige Volksbegriff bilde inzwischen den Grundkonsens in der Partei, resümiert der Verfassungsschutz.
Es handele sich „nicht um Einzelfälle“, betont das Gutachten. Und dies, obwohl die Partei wusste, dass sie als Verdachtsfall unter Beobachtung steht – und obwohl bereits 2018 ein parteiinternes Papier zum Verzicht von Kampfbegriffen aufrief. Auch eine zwischenzeitlich von der AfD vorgelegte „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ entlaste die Partei nicht: Sie sei zweideutig und wohl taktisch motiviert, konstatiert der Verfassungsschutz.
Fremden- und muslimfeindliche Aussagen
Das Gutachten führt zahlreiche Belege dafür an, dass Mitglieder der AfD kontinuierlich gegen Nichtdeutsche und Muslime agitieren, diese pauschal diffamiert werden als dumm, kriminell und rückschrittlich. AfD-Chefin Alice Weidel schrieb „Messerkriminalität“ allein Zuwanderern zu. Das sei „in unserer Kultur völlig unbekannt“. Thüringens Parteichef Björn Höcke sah eine „kulturelle Kernschmelze“ voraus, wenn man die „millionenfache Zuwanderung“ nicht stoppe. Der sächsische Abgeordnete Alexander Wiesner ätzte über „Analphabeten aus dem Ausland“, deren „Hemmschwelle zu Gewalt noch niedriger ist als deren Bildungsgrad“.
Muslime werden von Mitgliedern der AfD als „Barbaren“ betitelt, als „ausländische Integrationsverweigerer“. „Multikulti ist Burka-Schwarz“, wird der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Renner zitiert. Weil eine Kölner Moschee den Ruf des Muezzins über Lautsprecher überträgt, schrieb der AfD-Bundesverband im Oktober 2022 bei Facebook von „kultureller Landnahme“, gegen die man sich wehren müsse. Mit solchen Aussagen, heißt es im Gutachten, würden irrationale Ängste geschürt, Musliminnen und Muslime dauerhaft abgelehnt und abgewehrt.
Im Bundestagswahlkampf forderte die AfD sogar ein laut OVG-Urteil die Menschenwürde verletzendes Minarettverbot sowie ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen, dass muslimische Frauen erheblich in ihrer Religionsfreiheit einschränken würde.
Antisemitische Aussagen
Mehrfach führt das Gutachten Belege an, dass führende AfD-Politiker antisemitische Verschwörungstheorien verbreiten. So bezeichnet etwa Björn Höcke Deutschland als „besetztes und unterwandertes und fremdbestimmtes Land“, die Bundesregierung als „globalistische Sprechpuppen“, die nur amerikanische und „globalistische“ Interessen verträten. Auch der ehemalige US-Präsident Joe Biden ist nach Ansicht des AfD-Landespolitikers Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt eine „Sprechpuppe der Globalisten“. Und Tillschneider geht noch weiter: Seiner Ansicht nach hat der US-amerikanische Investor George Soros „mit seinen Methoden, mit seinem Institut, mit seinen Netzwerken die Ukraine gedreht“ und somit letztlich den Einmarsch der Russen provoziert. Dennoch kommt das Gutachten in Sachen Antisemitismus zu einem für die AfD teils entlastenden Urteil. Äußerungen wie diese fänden bisher nur vereinzelt statt und seien noch nicht prägend für die Gesamtpartei, so der Verfassungsschutz.
Demokratie und Rechtsstaat
Der Verfassungsschutz kommt zu dem Schluss, dass sich auch Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip in der Partei verdichtet hätten, wenn dort etwa der Bundesregierung oder den demokratischen Parteien diktatorische Strukturen unterstellt würden oder diese als „Kartell“ bezeichnet würden. So stellten AfD-Mitglieder immer wieder in Abrede, dass Deutschland ein souveräner Staat sei. Björn Höcke bezeichnet die etablierten Parteien als „Statthalter des US-Establishments“. Für Marvin Weber, AfD-Stadtrat in Paderborn, ist Deutschland ein „gebrochenes Experiment der Siegermächte“.
Quantitativ finde dies allerdings nicht in einem solchen Maße statt wie die Belege für ein ethnisches Volksverständnis, heißt es. Gleiches gelte für die Verharmlosung von NS-Verbrechen, die vereinzelt in der Partei stattfinde – etwa mit Reden von einem „Schuldkult“ oder im Umgang mit dem „Alles für Deutschland“-Ausruf von Björn Höcke, einer SA-Losung. Solche Positionen hätten sich noch nicht für die Gesamtpartei verdichtet – es bleibe aber ein verfassungsfeindlicher Verdacht, so das Gutachten.
Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppen
Angeführt werden auch strukturelle Verbindungen der AfD zu rechtsextremen Akteuren, vor allem aus der Neuen Rechten. Allen voran mit dem Compact-Magazin wird kooperiert, auch finanziell, indem die AfD dort regelmäßig Werbeanzeigen schaltet. Daneben wird ein enger Kontakt zum rechtsextremen Netzwerk „Ein Prozent“ gehalten, dem Institut für Staatspolitik, das nun „Menschenpark“ heißt, oder den Identitären – obwohl Letztere gar auf einem Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei stehen.
Teils würden Identitäre auch als Mitarbeitende von Parlamentariern eingestellt. Der Abgeordnete Jan-Wenzel Schmidt gab selbst an, auch 5.000 Euro an die Identitären gespendet zu haben. An eine Teilorganisation von Ein Prozent hätten AfD-Gliederungen zudem von 2017 bis 2022 mindestens 249.000 Euro für Auftragsarbeiten überwiesen, fand der Verfassungsschutz heraus. Dazu kämen 53.000 Euro von der JA.
Junge Alternative und „Flügel“
Auch die jüngste Auflösung der bereits zuvor als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD-Parteijugend oder vor Jahren schon des rechtsextremen „Flügels“ entlaste die AfD nicht, so der Verfassungsschutz. Denn hier habe „keine grundsätzliche Entfremdung“ zu den Akteuren stattgefunden. Im Gegenteil: Diese seien weiter aktiver Teil der Partei.
Mitglieder der JA sowie des ehemaligen völkischen Flügels seien in der Partei zunehmend in wichtige Positionen gelangt und hätten Einfluss auf Gesamtausrichtung der Partei. In beiden Fällen habe es keine glaubhafte inhaltliche Distanzierung gegeben – das Gutachten kommt hingegen zum Schluss, dass Positionen des ehemaligen Flügels mittlerweile parteiweit die vorherrschende Grundtendenz widerspiegeln.
Fazit
Insgesamt kommt der Verfassungsschutz zu einem eindeutigen Urteil: Seit der Einstufung der AfD als Verdachtsfall im Jahr 2021 hätten sich die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen „zur Gewissheit verdichtet“. Es müsse nun eine „extremistische Prägung der Gesamtpartei“ festgestellt werden.
Der Verfassungsschutz berücksichtigt dafür auch noch das Agieren der AfD im jüngsten Bundestagswahlkampf – und sieht seine Einschätzungen bestärkt. Auch dort seien Zugewanderte als „bedrohliches Kollektiv“ markiert worden, der SA-Slogan „Alles für Deutschland“ ist auf die Spitzenkandidatin Alice Weidel umgemünzt worden, gefordert wurde eine „millionenfache Remigration“. Zum Vergleich: Die Zahl der Ausreisepflichtigen lag zuletzt bei etwa 220.000, die meisten von ihnen geduldet. Es habe „keinerlei Mäßigung“ stattgefunden, heißt es im Gutachten weiter. Und: Es sei „nicht mehr davon auszugehen, dass es gemäßigteren Kräften in der AfD noch möglich ist, diese festgestellte verfassungsfeindliche Prägung der Gesamtpartei umzukehren“.
Über die Hochstufung der AfD wird nun zunächst das Verwaltungsgericht Köln entscheiden – es steht ein jahrelanger Rechtsstreit bevor. Grüne und Linke im Bundestag bereiten auch einen AfD-Verbotsantrag vor. Hier aber liegen die Hürden noch mal höher, braucht es auch den Nachweis, dass die AfD kämpferisch gegen die Demokratie vorgeht. Auch hier bietet das Gutachten vereinzelt Material, etwa Zitate von Hans-Thomas Tillschneider, der auf einer Kundgebung erklärte: „Wenn wir eine Regierung haben, die gegen uns Krieg führt, dann führen wir Krieg gegen diese Regierung.“
Kanzler Friedrich Merz gab sich zurückhaltend in Sachen Verbot. Erst einmal, konstatierte der CDU-Mann, werde man das Verfassungsschutzgutachten sorgfältig auswerten. Eine Absage an ein Verbot aber ist das nicht.
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