piwik no script img

Was die 28-Stunden-Woche ändern könnteDer Wert der Arbeit

Von den guten Arbeitsverträgen der IG Metall werden viele Menschen nicht profitieren. Aber sie deuten ein gesamtgesellschaftliches Umdenken an.

Ist das nun Arbeit oder Freizeit? Foto: dpa

„28-Stunden-Woche“ ist eine irreführende Formulierung. Denn auch für Metallarbeiter hat die Woche ja 7 mal 24, also 168 Stunden. Wenn man davon 7 mal 8, also 56 Stunden fürs Schlafen abzieht, bleiben 112 Stunden übrig, in denen man etwas tun kann. Arbeiten zum Beispiel. Oder leben. Oder am Ende sogar beides gleichzeitig?

Die interessante Frage, die die IG-Metall mit ihrem Arbeitskampf gestellt hat, ist nicht, wie viele Stunden wir arbeiten wollen. Sondern wie viele Stunden wir bezahlt arbeiten müssen – und wie viele dann für andere Tätigkeiten übrigbleiben. Ob 28 Stunden oder 38,5 Stunden bezahlte Erwerbsarbeit zu viel oder zu wenig oder gerade richtig sind, lässt sich nicht pauschal beantworten, denn es kommt ja darauf an, was man mit den anderen 84 oder 77 Stunden in der Woche anfangen will. Oder muss.

Ist jemand Single und hat nur für sich selbst zu sorgen? Wohnt sie vielleicht noch bei den Eltern, wo Mama kocht und Wäsche wäscht? Oder hat er gar für andere zu sorgen, für Kinder, Eltern oder auch die kranke Nachbarin? Es ist auch ein Unterschied, ob jemand Kinder hat, die gerade ihr Studium begonnen haben und dafür einen monatlichen Zuschuss brauchen, oder ein Kleinkind, das nicht nur Geld, sondern vor allem auch Arbeitskraft braucht, weil es noch nicht selber kochen, putzen, wickeln und vorlesen kann.

Obwohl: Ist es denn überhaupt Arbeit, Kindern etwas vorzulesen? Oder der erblindeten Schwiegermutter? Wenn man die gängigen Pflegetarife zugrunde legt, eher nicht, da gibt es nur Zeiträume für Tätigkeiten wie Zähneputzen (4 Minuten) oder „Hilfe beim Wasserlassen inklusive Reinigung der Toilette“ (2 bis 3 Minuten). Ist das Vorlesen dann Freizeit? Und wenn ja: Wie unterscheidet es sich von der Sorte Freizeit, die man in der Kneipe verbringt oder im Fitness-Studio?

Abseits aller Nebelkerzen

Wobei so ein Aufenthalt im Fitness-Studio möglicherweise dazu beiträgt, die eigene „Employability“ zu erhöhen, also später mal pro Stunde mehr Geld abrechnen zu können oder auch mit 70 noch weiter arbeiten zu können, wenn andere schon ausfallen wegen der Bandscheibe oder dem Knie. Es ist also eine Investition. Wobei man leider nie weiß, ob sie sich rentiert, ich denke etwa an jenen Bekannten, der voriges Jahr einen Schlaganfall hatte, trotz Fitness-Studio und Salat. Er braucht jetzt Menschen, die ihm vorlesen.

Es ist also alles sehr kompliziert, seit der alte „Geschlechtervertrag“ nicht mehr gilt, ein Begriff, den die Politikwissenschaftlerin Carol Pateman geprägt hat. Demnach war die Welt fein säuberlich in zwei Sphären aufgeteilt: eine öffentliche und eine private, eine bezahlte und eine unbezahlbare, eine marktförmige und eine uneigennützige, eine männliche und eine weibliche. Doch jetzt geht alles drunter und drüber, und viele der damals eingeführten Begriffe sind sinnlos geworden, sie erklären die Welt nicht mehr. Für den Begriff der „Arbeit“ gilt das ganz besonders.

Schiebt man alle Nebelkerzen einmal beiseite, läuft es unterm Strich auf Folgendes hinaus: Woher bekomme ich das Geld, das ich zum Leben brauche? Und was tue ich mit meiner (Lebens-)Zeit? Am besten haben es die getroffen, die ihre Tage gerne mit einer Tätigkeit verbringen, die gleichzeitig lukrativ ist: Je mehr sie das tun, was sie gerne tun, umso reicher werden sie – ein wahres Luxusleben. Wenn man solchen Leuten das Modell der 28-Stunden-Woche schmackhaft machen will, lachen sie sich natürlich kaputt.

Ebenfalls gut getroffen haben es in der Work-Life-Balance-Lotterie diejenigen, die sich um Geld keine Sorgen machen müssen, weil sie zum Beispiel geerbt haben oder reich geheiratet. Auch sie können ihre Zeit mit Dingen verbringen, die sie wirklich gerne machen und für sinnvoll halten. Das bedingungslose Grundeinkommen ist letztlich nichts anderes als der Vorschlag, allen Menschen diese Art von gutem Leben zu ermöglichen.

Das gute Leben gibt es nur für Wenige

Denn viele Menschen stehen ja genau am anderen Ende der Skala: Sie haben nichts auf dem Konto, und gleichzeitig ist ihr Tauschwert auf dem Arbeitsmarkt so gering, dass sie auch mit 40 oder 50 oder 60 Stunden nicht genug Geld zusammenbekommen. Oder sie sind mit so vielen Notwendigkeiten und Ansprüche konfrontiert, meist familiärer Art, dass sie weder Zeit noch Kraft haben, sich die Frage zu stellen, was sie selbst denn gerne tun würden. Gerade diese Menschen sind es, die gar nicht in den Genuss solch „guter Arbeitsverträge“ kommen, wie die IG Metall sie jetzt für ihre Mitglieder ausgehandelt hat.

Trotzdem bringt die sogenannte 28-Stunden-Woche immerhin ein bisschen mehr Flexibilität in die Angelegenheit. Sie erkennt an, dass Menschen im Alltag normalerweise auch noch anderes zu tun haben als das, was sie „auf der Arbeit“ tun. Sie nimmt richtigerweise auch die Unternehmer in die Pflicht, die schon immer davon profitiert haben, dass irgendjemand die von ihnen benötigte Ware Arbeitskraft auch produziert und reproduziert, und zwar unbezahlt und außerhalb aller Bilanzen.

Aber das Thema wird sich nicht auf der Ebene von Tarifverträgen lösen lassen. Die Krise der Arbeit, die Krise der Pflege, die Krise der Beziehungen und die Krise der sozialen Absicherung – das alles hängt miteinander zusammen. Der große Anteil von unbezahlter Arbeit am gesellschaftlichen Wohlstand muss endlich in volkswirtschaftliche Berechnungen einfließen, und die soziale Absicherung der Menschen darf nicht länger so eng an ihre Erwerbsarbeit gekoppelt sein.

Dass das Thema dank der IG Metall jetzt wieder einmal in der Diskussion ist, ist also gut. Es sollte nur nicht der Eindruck entstehen, mit einer 28-Stunden-Woche für alle wäre alles paletti. Angesichts der Größe der gesellschaftlichen Herausforderungen ist dieser Vorstoß nur ein winziger Trippelschritt. Aber immerhin einer in die richtige Richtung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Diskussionspapier der

    IG BAU Frauen:

    "Das Sorgen für sich und andere - einschließlich zukün

    ſt

    iger

    Generationen - sowie für die natürliche Mitwelt ist

    unabdingbar für eine lebenswerte Zukun

    ſt

    . Die IG BAU

    Frauen setzen sich ein für eine Politik, die sich nicht an

    Wettbewerb, grenzenlosem Wachstum und Profit für

    wenige orientiert, sondern das Gemeinwohl und das Ziel

    eines guten Lebens für alle in den Mittelpunkt ihres

    Handelns stellt. Im Zeitalter der Digitalisierung ist

    Vollbeschä

    ſt

    igung nicht zu erwarten. Immer mehr

    Menschen sind von der Wohlstandsentwicklung

    abgekoppelt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)

    könnte ein wichtiger Teil der Lösung sein.

    Arbeit bedeutet mehr als Erwerbsarbeit. Die Sorge- bzw.

    Care-Arbeit, die sich an den Bedürfnissen der Menschen

    orientiert, trägt ebenso wie ehrenamtliches Engagement

    wesentlich zum Funktionieren unserer Gesellscha

    ſt

    bei. Ein

    BGE könnte das gesamte Spektrum der Arbeit honorieren

    und soziale Sicherung in allen Lebenslagen garantieren. "

    https://www.igbau.de/Binaries/Binary42373/broschuere_bge_web.pdf

    • @Ute Plass:

      Herzlichen Dank für den Link!

       

      Es gibt ja auch Gewerkschaften, die das BGE ablehnen.

      • @Hanne:

        @HANNE

         

        Ja, ist mir bekannt.

        Mir scheint, dass die Basis (wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch) weiter ist als die Funktionärsebene.

  • GRATULIERE...

    vom südwesten (offenburg 1830) gehen immer die revolutionen aus. endlich haben die gewerkschaften - d.h. eigentlich nur die ig metall - ein ende des fadens (arbeitszeit) in der hand: dem bip und der produktivitätssteigerung der letzten jahre nach wäre eine fluktuierende 15-stunden-arbeitswoche auch schon drin.. ver.di - los, auf geht's ! passt scho !

  • Hoffentlich setzt sich das bald flächendeckend durch.

  • Es ist ganz einfach: Wenn jeder etwas weniger arbeitet, kann die Arbeit auf mehr Leute verteilt werden. Das schafft Arbeitsplätze.

    • @kditd:

      Sie haben erkennbar noch nie in einem (Handwerks-) Betrieb gearbeitet - geschweige denn ihr Erspartes riskiert, ein Unternehmen gegründet und damit anderen Leuten Arbeit verschafft. Nächtelang nicht geschlafen, weil unklar war, ob die Auftragslage reicht, um auch im Winter alle Mitarbeiter zu beschäftigen. Nicht zu wissen, ob man in einem schlechten Jahr Verluste macht (die von den Ersparnissen abgehen). Über die Wochenenden völlig überadministrierten Papierkram erledigt. Abends Aufträgen hinterher gehechelt. Der Versicherung hinterher springen, weil Leute, die dieselben Parolen skandieren, wie Sie in taz-Foren argumentieren, am 1. Mai meinen Lieferwagen abgefackelt haben Und nein, ich trage weder Zylinder, noch rauche ich Zigarren oder fahre Mercedes.

      Aber hier die grossen Sprüche klopfen, das können Sie!

      • @Blacky:

        @Blacky: Ich habe das Gefühl, in diese Aussage haben Sie übermäßig viel persönlichen Frust mit einfließen lassen. Das was KDITD an "großen Sprüchen geklopft hat", war ja aber schon sehr harmlos, da so zu reagieren, da muss der Frust schon sehr tief sitzen. Außerdem, haben Ihre Aussagen mit dem Spruch von KDITD auch nicht sehr viel zu tun. Gewiss unterliegt jeder Einzelne einer ganzen Reihe von wirtschaftlichen Zwängen, die ihn/sie davon abhalten nur 28 Stunden zu arbeiten, aber das macht die 28-Stunden-Woche als gesamtgesellschaftliches Konzept dafür nicht gleich unbrauchbar. Außerdem bezieht sich die 28-Stunden wohl erst mal auf Angestellte und nicht auf Freiberufler oder Unternehmenr, die ihr eigenes Unternehmen gegründet haben. Und nur aus der einen Aussage von KDITD zu schließen, dass er/sie zu den Leuten die am 1. Mai ihr Auto abgefackelt haben, bitte, das geht schon sehr weit. Also, einmal tief durchatmen (vielleicht sogar zweimal) und nicht alles auf sich selbt beziehen. LG

        • @Benjamin Toussaint:

          Wissen Sie was? Sie haben recht! War heute morgen tatsächlich etwas viel Frust im Spiel. Nach zweimal tief durchatmen bin ich selbst erschrocken, als ich meinen Beitrag nochmals gelesen habe.

           

          @KDITD: Sorry, ich entschuldige mich dafür, Sie in die Nähe von Brandstiftern gerückt zu haben! Das war unterirdisch.

          Ihren Beitrag übrigens zu Caravaggios "Amor" fand ich übrigens sehr gut.

      • @Blacky:

        Da fragt man sich doch tatsächlich: warum sollte irgendwer sich so etwas freiwillig antun?

  • Warum spricht die IG Metall nicht lieber von 30% Lohnerhöhung?!