Wahlwiederholung in Berlin: Zeichen einer stabilen Demokratie
In Berlin lief 2021 bei der Wahl einiges schief, jetzt muss sie wiederholt werden. Das nervt, kann aber auch als Chance betrachtet werden.
D a finden im September 2021 in Berlin gleichzeitig eine Bundestagswahl, Wahlen zum Abgeordnetenhaus, eine zu den Bezirksparlamenten, ein Volksentscheid über die Enteignung von Deutsche Wohnen sowie ein Marathon statt – und alles läuft schief. So schief, dass die Berlin-Wahl wiederholt werden muss. Berlin ist nicht arm und sexy, sondern arm und unorganisiert.
Nun könnten sich die Berliner Behörden fein herausreden mit Argumenten wie diesen: Wir sind seit Jahren defizitär ausgestattet und dadurch viele unserer Mitarbeitenden am Rande des Burn-outs. Im September 2021 wütete Corona immer noch, und Arbeiten im Homeoffice klappte nicht immer so, wie wir uns das selbst gewünscht hätten.
Ja, so könnte man fehlende, unkorrekte und am Kopierer gebastelte Stimmzettel, die Langsamkeit in den Wahllokalen, die dadurch entstandenen, zum Teil sehr langen Schlangen davor und die widerrechtlich verlängerten Öffnungszeiten begründen. Aber der Termin für die Parallelität der Ereignisse war seit Langem bekannt, es blieb also ausreichend Zeit, die Wahlen vorzubereiten. Wenn Wahlen in unserer Demokratie so wichtig sind, wie auch die Berliner Parteien und Behörden stets betonen, verdienen sie die nötige Sorgfalt bei der Vorbereitung.
Aber das Gegenteil war der Fall – und die Berliner Demokratie hat eine heftige Ohrfeige bekommen. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ohnehin an den demokratischen Verhältnissen – die wir trotz allem haben – zweifeln und den Staat und seine Verwaltungsorgane nahezu täglich kritisieren.
Wiederholung zeigt, dass die Demokratie funktioniert
Die Wahlwiederholung, so nervig sie manchen auch erscheinen mag, ist eine Chance, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu stabilisieren – und zugleich der Beweis, wie Demokratie funktioniert: Die Wahl war fehlerbehaftet, also wird sie wiederholt. Auch die Einsprüche gegen eine Neuwahl wurden geprüft. Ebenso unterliegen die Berliner Stimmen zum Bundestag einem Prüfverfahren – und müssten gegebenenfalls auch noch einmal abgegeben werden. All das ist nur in einem demokratischen Staat möglich. Wie es in autokratischen Systemen läuft, erlebt die Welt unter anderem in Russland, Nordkorea, China, Afghanistan, im Iran.
Folgt man den aktuellen Umfrageergebnissen, könnte es für das Weiterführen der Hauptstadtkoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei schwer werden. Die CDU liegt mit 25 Prozent der Stimmen weit vor SPD und Grünen mit 19 und 18 Prozent – und hat verschiedene Möglichkeiten für eine eigene Dreierkonstellation. Entscheiden sich die Berliner:innen am 12. Februar gegen die aktuelle Landesregierung und damit früher, als es unter normalen Wahlumständen der Fall wäre, ist auch das ein Zeichen für die Stabilität der Demokratie.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung