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Wahlwiederholung in BerlinZeichen einer stabilen Demokratie

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

In Berlin lief 2021 bei der Wahl einiges schief, jetzt muss sie wiederholt werden. Das nervt, kann aber auch als Chance betrachtet werden.

Mitarbeiter bereiten Wahlunterlagen für die Briefwahl vor Foto: Jens Kalaene/dpa

D a finden im September 2021 in Berlin gleichzeitig eine Bundestagswahl, Wahlen zum Abgeordnetenhaus, eine zu den Bezirksparlamenten, ein Volksentscheid über die Enteignung von Deutsche Wohnen sowie ein Marathon statt – und alles läuft schief. So schief, dass die Berlin-Wahl wiederholt werden muss. Berlin ist nicht arm und sexy, sondern arm und unorganisiert.

Nun könnten sich die Berliner Behörden fein herausreden mit Argumenten wie diesen: Wir sind seit Jahren defizitär ausgestattet und dadurch viele unserer Mitarbeitenden am Rande des Burn-outs. Im September 2021 wütete Corona immer noch, und Arbeiten im Homeoffice klappte nicht immer so, wie wir uns das selbst gewünscht hätten.

Ja, so könnte man fehlende, unkorrekte und am Kopierer gebastelte Stimmzettel, die Langsamkeit in den Wahllokalen, die dadurch entstandenen, zum Teil sehr langen Schlangen davor und die widerrechtlich verlängerten Öffnungszeiten begründen. Aber der Termin für die Parallelität der Ereignisse war seit Langem bekannt, es blieb also ausreichend Zeit, die Wahlen vorzubereiten. Wenn Wahlen in unserer Demokratie so wichtig sind, wie auch die Berliner Parteien und Behörden stets betonen, verdienen sie die nötige Sorgfalt bei der Vorbereitung.

Aber das Gegenteil war der Fall – und die Berliner Demokratie hat eine heftige Ohrfeige bekommen. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ohnehin an den demokratischen Verhältnissen – die wir trotz allem haben – zweifeln und den Staat und seine Verwaltungsorgane nahezu täglich kritisieren.

Wiederholung zeigt, dass die Demokratie funktioniert

Die Wahlwiederholung, so nervig sie manchen auch erscheinen mag, ist eine Chance, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu stabilisieren – und zugleich der Beweis, wie Demokratie funktioniert: Die Wahl war fehlerbehaftet, also wird sie wiederholt. Auch die Einsprüche gegen eine Neuwahl wurden geprüft. Ebenso unterliegen die Berliner Stimmen zum Bundestag einem Prüfverfahren – und müssten gegebenenfalls auch noch einmal abgegeben werden. All das ist nur in einem demokratischen Staat möglich. Wie es in autokratischen Systemen läuft, erlebt die Welt unter anderem in Russland, Nordkorea, China, Afghanistan, im Iran.

Folgt man den aktuellen Umfrageergebnissen, könnte es für das Weiterführen der Hauptstadtkoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei schwer werden. Die CDU liegt mit 25 Prozent der Stimmen weit vor SPD und Grünen mit 19 und 18 Prozent – und hat verschiedene Möglichkeiten für eine eigene Dreierkonstellation. Entscheiden sich die Ber­li­ne­r:in­nen am 12. Februar gegen die aktuelle Landesregierung und damit früher, als es unter normalen Wahlumständen der Fall wäre, ist auch das ein Zeichen für die Stabilität der Demokratie.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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2 Kommentare

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  • Wie konnte so etwas in einer stabilen Demokratie geschehen?

  • "Zeichen einer stabilen Demokratie"

    So stabil, dass selbst die OSZE darüber nachdachte, ob sie Wahlbeobachter nach Berlin senden soll, was sie nun doch fallen gelassen hat. Aber der Geruch von Ungereimtheiten wird Berlin noch lange anhaften, und im Transparancy Index werden wir es auch bald sehen.