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Wahlkampf in BerlinKann man kleine Parteien wählen?

Anna Klöpper
Bert Schulz
Kommentar von Anna Klöpper und Bert Schulz

Am 12. Februar bieten sich viele kleine Parteien als Wahlalternative an. Nur: Den Sprung ins Parlament wird wohl keine schaffen. Ein Pro und Contra

Werden sie jemals wieder ihre Flagge hissen? Die Piraten saßen schon mal im Parlament Foto: imago

J a.

33 Parteien treten am 12. Februar an, und schon diese Zahl zeigt: Das politische Spektrum endet nicht bei den sechs Parteien, die bislang im Abgeordnetenhaus sitzen. Die Ber­li­ne­r*in­nen haben viel mehr Optionen, wo sie ihre Kreuze machen können. Nur: Können sie damit etwas bewirken? Schließlich gilt es laut Umfragen derzeit als unwahrscheinlich, dass noch eine siebte Partei Ver­tre­te­r*in­nen ins Abgeordnetenhaus schickt.

Doch „verloren“ oder „verschenkt“ sind Stimmen für die Au­ßen­sei­te­r*in­nen auf keinen Fall. Vielmehr äußert sich in dieser Wortwahl eine gewisse Verachtung für das demokratische System, für das die Möglichkeit von Veränderungen eine Grundbedingung ist: Wozu sollte mensch sonst wählen?

Dass es diese Veränderungen gegeben hat, ist offensichtlich. Bis Anfang der 1980er Jahre hatte die Bundesrepublik ein sogenanntes Zweieinhalbparteiensystem aus SPD, CDU und einer FDP, die ab und an ihren Koalitionspartner wechselte. Inzwischen sind es sechs Parteien, die als etabliert gelten können: Aus dem Schwarz-Weiß-Spektrum wurde eine vielfarbiges Portfolio, weil weder SPD noch CDU verhindern konnten, dass sie Konkurrenz an ihren Rändern bekommen haben.

2021 holten die kleinen Parteien zusammen 12 Prozent – mehr als die AfD.

Für die Arbeit im Parlament ist das bisweilen schwierig, weil die Bildung von Koalition mehr Verhandlungen als früher verlangen. Aber letzten Endes bildet diese Vielfalt nur die Veränderungen in der Gesellschaft ab, die eben immer pluralistischer wird.

Wenn nun am Ende dieses Wahlkampfs vor allem die Grünen an ihre Kernklientel appellieren, auf keinen Fall für kleinere Parteien zu stimmen, etwa aus Frust über die Räumung von Lützerath, dann entbehrt das nicht einer gewissen Ironie: Es würde die Grünen schlicht nicht geben, wenn ihre Wäh­le­r*in­nen in den 1980ern diesen Rat befolgt hätten. Damals war das ein Zeichen, dass die bis dahin etablierten Parteien nicht mehr alle politisch relevanten Themen – in diesem Fall die Ökologie – abbildeten. Die Klimakrise und der Umgang damit könnte sich ähnlich im Parteiensystem abbilden.

In Berlin gelang es 2021 der Tierschutzpartei, mit 2,2 Prozent der Zweitstimmen zur größten der kleinen Parteien zu werden; dank eines noch besseren Ergebnisses auf Bezirksebene zog sie in vier Bezirksverordnetenversammlungen ein. Weitere gut zehn Prozent entfielen auf die anderen „sonstigen“ Parteien, die damit zusammen fast so viel Stimmen auf sich vereinigen konnten wie die Linkspartei insgesamt.

Daher ist nicht auszuschließen, dass absehbar ein oder zwei weitere Parteien eine Stamm­wäh­le­r*in­nen­schaft um sich scharen können. Vor ein paar Jahren wäre es mit den Piraten fast so weit gewesen; auch sie „fischten“ unter anderen bei den Grünen. Statt eine „vernünftige“ Entscheidung der Wäh­le­r*in­nen einzufordern, müssen die Parteien ihre inhaltliche Defizite erkennen, beheben und so den Wäh­le­r*in­nen entgegenkommen – damit diese sich nicht verabschieden. Bert Schulz

Nein.

Eine Stimme für Kleinstparteien ist eine verschenkte Stimme. Klingt hart? Mag sein. Aber wer als Wäh­le­r*in seine Stimme begreift, als die Möglichkeit mitzugestalten, der wählt eine Partei, die tatsächlich Politik macht: die den Neubau von Sozialwohnungen organisiert, Autobahnverlängerungen verhindert, und die um Geld für Schulsanierungen im nächsten Doppelhaushalt ringt, auch wenn enteignete Wohnkonzerne entschädigt werden müssen.

Ob die Partei dabei in einer Regierungskoalition sitzt oder in der Opposition im Parlament, ist egal. Aber: Wer als eine Stimme des Volkssouveräns mitgestalten will, wählt die Möglichkeit zur Einflussnahme.

Natürlich, eine Stimme für die Mieterpartei kann auch eine Stimme dagegen sein. Gegen die Linke zum Beispiel, die in einer rot-grün-roten Koalition mit verantworten muss, dass der erfolgreiche Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnkonzerne vielleicht nie in Gesetzesform gegossen wird.

Man kann für die Klimaliste stimmen, wenn man gegen die Grünen ist, mit ihrer von vielen Klimabewegten als zu lasch empfundenen Klimaneutralpolitik und der nur schleppend in Gang kommenden Verkehrswende – insbesondere beim Ausbau der Radwegkilometer. Gerade die Grünen betonen ja gerne, wie sehr sie den „Druck von der Straße“, aus der Bewegung heraus bräuchten. Weil sie eigentlich gerne viel radikaler ausfallende Klimapolitik machen würden, wenn nur die störrischen Koalitionspartner nicht wären.

Man kann den aktivistischen Impuls des Dagegen-Seins aber auch auf die Straße verlegen statt in die Wahlkabine. Da ist er nämlich wirksamer, oder anders gesagt: Da ist er weniger verschenkt. Man muss sich auch nicht gleich auf dem Asphalt festkleben. Der Berliner Demo-Kalender ist ein gut bestückter Gemischtwarenladen, da ist für jedes Level etwas dabei.

Auf die Mieterpartei entfielen bei der Wahl 2021 0,2 Prozent der Zweitstimmen, die Klimaliste kam auf 0,4 Prozent.

Auf die Mieterpartei entfielen bei der Wahl 2021 0,2 Prozent der Zweitstimmen, die Klimaliste kam auf 0,4 Prozent. Vielleicht treibt aktuell die von den NRW-Grünen mitverantwortete Räumung von Lützerath der Klimaliste nochmal ein paar mehr verärgerte Grünen-Wähler*innen in die Arme. Aber für die 5-Prozent-Hürde wird es kaum reichen.

Wenn es schlecht läuft, ist die Stimme für die Klimaliste eine Stimme für die CDU. Die will die A100 weiterbauen. Man kann sich natürlich immer noch auf der Baustelle festkleben, wenn es so weit ist. Aber man kann seine Stimme auch schon vorher sinnvoll nutzen. Anna Klöpper

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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7 Kommentare

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  • Auch wenn dieses Thema hier durch ist, noch eine Anmerkung:

    Selbst wenn die Kleinparteien die 5%-Hürde nicht schaffen, sind die Stimmen für sie nicht "verloren", wenn sie wenigstens - wie mehrere bei der letzten Wahl - auf 1% kommen.

    Auch die Piraten hatten vor ihrem Erdrutsch-Sieg 2011 mit 2% bei der Bundestagswahl 2009 angefangen. So kamen sie zunächst in die Parteienfinanzierung. Und bei einer eher rechten Partei lief das 2013 zunächst genauso. Es kommt für Newcomer somit nicht allein auf die 5%-Hürde an, sondern (bei Landtagswahlen) auf die 1%-Hürde um an Geld fürs nächste Mal zu kommen.

    Absolut ungerecht wäre bei dieser Wahlwiederholung, wenn die Kleinparteien, die sie teilweise erfolgreich eingeklagt haben, dabei einen Parteienfinanzierungs-Teilhabe-Anspruch wieder verlieren, den einige bei der chaotischen Wahl 21 schon errungen hatten. Eben dafür, dass das nicht passiert, lohnt es sich zu stimmen, damit die Kleinen im Rennen bleiben.

    Transparenz-Hinweis: Ich bin weder Kandidat, noch Parteimitglied, unterstütze aber beratend und aktiv bei dieser wie bei der 21er-Wahl das Bündnis aus Mieterpartei-Bergpartei-Piraten-Feminist:innen.

  • "Kann man kleine Parteien wählen?"



    Ja, bitte tut es!



    Zeigt den "etablierten" Parteien, dass es in Berlin nicht einfach so weiter gehen kann. Was wurde euch versprochen und was wurde gehalten? Wo sind die 20.000 neuen Wohnungen geblieben?



    Wählt eine kleine Partei, damit die Großen endlich ihren Denkzettel bekommen. Aber bitte, bitte nicht die AfD!

  • Soweit ist das ja alles korrekt. Ich selbst vermisse aber wichtige Hinweise. Bei der Bundestagswahl und ich glaube das ist auf Landesebene nicht anders benötigt eine Partei 0,5% der Stimmen um Parteienfinanzierung zu bekommen. Dieses Geld brauchen die Parteien um zu überleben aber zum Beispiel auch für Klagen, siehe Piraten die mehrmals schon erfolgreich gegen Gesetze der Politik vorgegangen sind. Dieses Geld fehlt dann übrigens den "alten" Parteien da der Topf ein Limit hat.

    Leider wird auch viel zu wenig über die kleinen Parteien die oft ein sehr ausführliches Programm haben berichtet.

    Transparenz Hinweis: Ich bin Mitglied der Piratenpartei und Direkt Kandidat.

    • @HeadoN:

      Starker erster Auftritt hier, im Besonderen dein Transparenz Hinweis.

  • Das wär mal was neues, wenn NRW-Politik für den lokalen Berlin-Wahlkampf allzu große Auswirkungen hätte ... Ich dächte, in Berlin hätten sie ihre eigenen Grünen und Roten und sonstigen politisch Gefärbten.



    Liebe Berliner, guckt Euch lieber an, was Eure eigenen Politiker so treiben. Gebt ihnen die Gelegenheit, es besser zu machen als unsere hier.



    Gruß aus NRW.

    • @Tetra Mint:

      Danke. Ich denke auch, wir müssen den Grünen hier die Chance einräumen, zumindest eine Zeit lang. Auch wenn es nach Lützerath schwer fällt.



      Aber die Vorstellung einer CDU, die zusammen mit Giffey das wenige plattmacht, das hier versucht wurde, ist ein totaler Alptraum.

  • Die sechs Parteien haben genug Scheiße gebaut.

    Höchste Zeit den kleinen eine Chance zu geben.

    Und wenn die es auch nicht besser hinbekommen: Verloren haben wir Wähler dann ja auch nichts.

    Denn es ist ja im Grunde egal, warum den Polits Nichts gelingt.

    Aber fehlende Fähigkeiten kann man imerhin lernen.



    Unwillen dagegen muss man brechen - und das ist weitaus mühseliger.