Wahlkampf in Baden-Württemberg: Ein heißes Eisen
Im Südwesten beginnt der erste große Wahlkampf unter Pandemiebedingungen. Der Deal: nicht zu viel Konkurrenz in Krisenzeiten. Klappt das?
Beeindruckt würde er davon berichten und dann mit einem kleinen Exkurs über Homer oder Hannah Arendt vom Konkreten zum Globalen übergehen. Da wäre es dann ganz still im Saal. In den Redepausen würde Kretschmann am Tee nippen, um seine sicher lädierte Stimme zu pflegen. Und dann ginge es schon weiter, nach Balingen oder Schramberg.
Der Korrespondent würde dann möglichst pointiert die kämpferische Rednerin Susanne Eisenmann dagegen schneiden. Wie sie unter dem Label „Eisenmann will’s wissen“ ebenfalls durchs Land tourt. Wie sie erst einmal gegen den Mangel an Bekanntheit und gleichzeitig gegen die allgemein übliche Unbeliebtheit einer Kultusministerin ankämpfen muss. Und wie sie vielleicht auch manchen CDU-Ortsvereinsvorsitzenden davon zu überzeugen versucht, dass auch eine Frau das Land regieren könnte.
Journalisten und Politiker würden versuchen, zu erspüren, ob da irgendwo ein Wechselwille verborgen ist. Oder ob in Baden-Württemberg einfach alles bleibt, wie es ist. Also im grünen Bereich.
Wahlkampf ist ein geübtes Ritual für alle Beteiligten. Bis etwas dazwischenkommt. Bei der letzten Wahl 2016 bestimmte das Thema Geflüchtete die Diskussion, plötzlich brachte die AfD die Parteienarithmetik aus dem Lot. Auch jetzt bestimmt eine Krise den Wahlkampf, diesmal aber ganz praktisch:
Wie geht Wahlkampf in Pandemiezeiten?
Wie mobilisiert man Wähler während einer Pandemie, wenn Versammlungen nicht erlaubt und auch Wahlstände am Marktplatz nicht das Richtige sind? Wie den Wähler für Strukturwandel in der Autoindustrie und neue Mobilitätsmodelle interessieren, wenn öffentlich kaum etwas anderes diskutiert wird als mögliche Lockerungen des Lockdowns und die Verteilung der Impfdosen? Wie geht Wahlkampf zwischen dem grünen Ministerpräsident und seiner schwarzen Kultusministerin, die gerne werden will, was er nun auch schon seit zehn Jahren ist, während beide vollauf damit beschäftigt sind, diese Krise in einer gemeinsamen Regierung zu managen?
Susanne Eisenmann und er selbst hätten sich gegenseitig versprochen, keinen Coronawahlkampf zu machen, beteuert Winfried Kretschmann ein ums andere Mal. Seine Begründung sei eine staatspolitische, sagt Kretschmann würdevoll: Kein Wähler würde es akzeptieren, wenn der Kampf um die Wählergunst das Pandemiemanagement behindern würde.
Aber was soll das eigentlich heißen, keinen Coronawahlkampf zu machen? Kann man die Maßnahmen der Regierung, die ja Menschenleben retten sollen und dabei in Freiheitsrechte eingreifen, einfach so dem politischen Diskurs entziehen? Offenbar nicht. Schon vor Weihnachten drängelte Susanne Eisenmann, Schulen und Kitas auch „unabhängig von der Inzidenzlage“ wieder zu öffnen. Die Diskussion reichte bis in den Januar, dann bremste Kretschmann sie mit seiner Richtlinienkompetenz demonstrativ aus.
Zwei Wochen später, direkt nach der Ministerpräsidentenkonferenz, verkündet er selbst, Baden-Württemberg öffne Grundschulen und Kitas schon ab Anfang Februar. Abends im ständig tagenden ZDF-Coronatribunal von Markus Lanz wirkt er in die Enge getrieben, als er dieses Ausscheren aus der gemeinsamen Linie der Ministerpräsidenten mit überschlagender Stimme verteidigt. Es braucht erst den Ausbruch einer Coronamutation in einer Kindertagesstätte im Freiburger Vauban-Viertel, der den Vorstoß in letzter Minute doch noch stoppt.
Fortgesetzte Schulöffnungsdebatten
Trotzdem geht die Öffnungsdebatte im Kabinett Kretschmann munter weiter. Eisenmann, die darauf besteht, das Wohl sozial benachteiligter Kinder – und nicht Wählerstimmen – im Blick zu haben, kritisiert den Mangel an Schnelltests, die die Öffnungen doch möglich machen würden. Der angegriffene Sozialminister Manne Lucha muss vom Regierungschef gebremst werden, als er vor der Presse darauf reagieren möchte. „Kein Coronawahlkampf“ heißt also mal mindestens, dass Debatten, die bisher am Kabinettstisch geführt wurden, jetzt in der Öffentlichkeit ausgetragen werden.
Manuel Hagel, Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg
Diese Beteuerung sei doch „Heuchelei“, sagt der Fraktionsvorsitzende der FDP, Hans-Ulrich Rülke, der auch in normalen Zeiten keine Gelegenheit zur Polemik auslässt. Wahrscheinlich hätten Kretschmann und Eisenmann ausgemacht, dass sie bloß behaupten, keinen Coronawahlkampf zu machen. Schließlich seien alle Parteien im Wahlkampf. Und so schießt sich auch die SPD auf den für Impfstrategie und Coronamaßnahmen zuständigen grünen Sozialminister ein, während die Spitzenkandidaten darauf achten, sich gegenseitig nicht allzu sehr zu schaden. Auch weil sehr wahrscheinlich ist, dass sie nach der Wahl in der ein oder anderen Konstellation wieder miteinander regieren müssen.
Das Vorpreschen bei der Kitaöffnung hat Susanne Eisenmann bundesweit immerhin bekannt gemacht. Dass es sie auch beliebt gemacht hätte, kann man nicht behaupten. Alle Umfragen, die gerade kursieren, sprechen dagegen. Danach wollen nur 17 Prozent der Wähler Susanne Eisenmann als Ministerpräsidentin. Selbst 65 Prozent der CDU-Anhänger wollen lieber den Grünen Kretschmann behalten.
Dass sich Aufmerksamkeit nicht ganz einfach in Zustimmung ummünzen lässt, zeigt auch der Shitstorm über die CDU-Wahlplakate, die vergangene Woche präsentiert wurden. Da ist zum Beispiel das Konterfei von Spitzenkandidatin Eisenmann zu sehen, die fragt: „Wollen wir nicht alle beschützt werden?“. Für Spott in der Twittergemeinde sorgte die irritierende Aufforderung der CDU zur freien Liebe: Gemeinsam. Kinder. Machen. (Bei dem sich allerdings herausstellte, dass es gar nicht von den Christdemokraten aus dem Ländle stammt, sondern aus dem NRW-Kommunalwahlkampf im Herbst 2020).
Umstrittene Wahlplakate
Das Großplakat „CDU wählen, weil wir Verbrecher von heute mit Ausrüstung von morgen jagen“ trendet derweil bundesweit unter dem Hashtag #WirVerbrecherVonHeute. Die Plakatkampagne wirkt, als hätte der Generalsekretär der Partei die Kampagne mit Mundschutz und beschlagener Brille abgenommen – auch wenn Manuel Hagel gar kein Brillenträger ist.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die CDU will die aus ihrer Sicht normalen Verhältnisse im Südwesten endlich wieder herstellen und als stärkste Kraft das Land regieren. Dafür wollte der junge und ehrgeizige Hagel nichts dem Zufall überlassen. Schon vor Corona hatte er einen digitaleren und datenbasierteren Wahlkampf geplant, dafür eine ganze Brigade von Beratern konsultiert.
Für die Plakatkampagne zeichnet deshalb dieselbe Agentur verantwortlich, die der CDU in Bremen zum Wahlerfolg verholfen hat. Hagel sieht die Debatte deshalb „völlig entspannt“, wie er sagt. Und setzt sogar noch einen drauf: „Über unsere Kampagne wird gesprochen. Das ist doch top. Unsere Spitzenkandidatin hat da völlig recht.“
Denn bei aller Digitalität spielen Wahlplakate bei den Parteien noch immer eine wichtige Rolle. Vor allem Grüne und die CDU hängen heutzutage wesentlich mehr davon auf als in vergangenen Wahlkämpfen. Sie sollen ein wenig Präsenz bei Veranstaltungen ersetzen und die Wähler auch jenseits der Bubble erreichen.
„Eigentlich arbeiten wir ja bei Twitter und Facebook gegen den Algorithmus, wenn wir die eigene Blase verlassen wollen“, sagt der grüne Landeschef Oliver Hildenbrand. Keine Partei kann sicher sein, wie viele Wähler sie tatsächlich auf den sozialen Kanälen erreicht, die nicht zur Stammwählerschaft gehören. Die Besucherzahlen bei den digitalen Kundgebungen sind manchmal durchaus höher als sonst in den Mehrzweckhallen. Auch weil Neugierige hinzukämen, die sich nicht unbedingt zu einer Parteiversammlung aufgemacht hätten, meint Susanne Eisenmann.
Für die Wahlkampfteams gilt es jetzt, die Spannung bis zum eigentlichen Wahlsonntag am 14. März aufrechtzuerhalten. Durch die wesentliche höhere Zahl der Briefwähler dürfen die Parteien nicht wie sonst alle Kraft in die letzten Tage vor dem Wahlsonntag stecken – Briefwahlen sind im Land ab dieser Woche möglich. „Ab jetzt ist eigentlich jeden Tag Wahlkampfhöhepunkt“, sagt Hildenbrand.
Verliert der FC Bayern?
Zumindest um die Mobilisierung der Wähler müssen sich die Politiker offenbar keine allzu großen Sorgen machen. Bei den Oberbürgermeisterwahlen im Herbst in Konstanz und der Landeshauptstadt Stuttgart war die Wahlbeteiligung jeweils höher als bei Wahlen zuvor. Was vielleicht auch an den Kandidaten lag, die neue Formate erprobt und damit einigen Erfolg hatten: In Konstanz kam der Kandidat der vereinten Linken, Luigi Pantisano, bei gutem Wetter zum Kandidatenschaulaufen in private Vorgärten und wusste auch Social Media zielgruppengerecht zu nutzen. Beinahe hätte ihn das ins Rathaus getragen.
Auch in Stuttgart hatte nur der ebenfalls knapp unterlegene unabhängige Kandidat Marian Schreier eine konsequente Digitalstrategie. Eines sei sicher, sagt Grünen-Chef Hildenbrand, digitaler Wahlkampf sei keineswegs günstiger zu haben als ein konventioneller; eine leidvolle Lehre aus der vergeigten Kampagne in Stuttgart, wo die Grünen den OB-Posten nach acht Jahren an die CDU verloren haben.
Doch das Kräfteverhältnis im Land ist ein anderes als in der Landeshauptstadt. Im Moment liegen die Grünen ganze 6 Prozentpunkte vor der CDU, im November waren beide noch fast gleichauf.
Ausgerechnet Markus Söder hatte in seinem Grußwort zum CDU-Landesparteitag die Kretschmann-Grünen mit dem FC Bayern verglichen. Söder tröstete seine Unionsfreunde nur halbherzig: Auch die Bayern verlören mal ein Spiel. Stimmt. Im Moment allerdings sieht es nicht danach aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe