Wahlexperte über AfD-Liste in Sachsen: „Hätte nicht gekürzt werden dürfen“
In Sachsen dürfen viele AfDler bei der Landtagswahl nicht antreten. Wahlrechtsexperte Wilko Zicht hält das für falsch. Warum?
taz: Herr Zicht, warum ergreifen Sie als Grüner nun Partei für die sächsische AfD?
Wilko Zicht: Es geht nicht um eine politische Frage, sondern um eine Rechtsfrage. Nach allem, was wir wissen, hätte die AfD-Liste zur sächsischen Landtagswahl nicht gekürzt werden dürfen.
Der Landeswahlausschuss hatte das Anfang Juli aber mehrheitlich so entschieden und nur 18 der 61 KandidatInnen zugelassen.
Die AfD hat sich ungeschickt angestellt und war ersichtlich überfordert. Aber letztlich hat sich der Landeswahlausschuss recht engstirnig in formalen Fragen verheddert, die sich so gar nicht stellen.
Wieso? Die AfD hatte ihre KandidatInnen auf zwei verschiedenen Versammlungen im Februar und März aufgestellt – mit unterschiedlichen Voraussetzungen.
Es ist nicht verboten, eine Liste auf mehreren Versammlungen zu wählen. Zulässig ist sowohl eine bloße Fortsetzung der ersten Versammlung als auch eine neue Versammlung zur Änderung oder Ergänzung der auf der ersten Versammlung beschlossenen Liste. Es muss sich dann nur insofern um die gleiche Versammlung handeln, als man nicht von Mitglieder- auf Delegiertenversammlung wechseln oder die Delegierten zwischendurch neu wählen darf.
Wilko Zicht, 43, ist Wahlrechtsexperte und in Bremen Grünen-Parlamentsreferent für Inneres, Recht und Gesundheit. Er ist Autor bei Wahlrecht.de.
Aber durfte die AfD einen anderen Versammlungsleiter bestellen?
Ja, das ist kein Problem. Der potenziell kritischere Punkt ist, dass das Wahlverfahren zwischendurch geändert wurde. Allerdings gab es dafür Gründe: Die AfD wollte zunächst alle 61 Plätze in Einzelwahl besetzen. Nach dem ersten Wochenende war man nur bis Platz 18 gekommen, also wäre man wohl auch am zweiten Wochenende nicht fertig geworden. Weshalb ab Platz 30 dann im Gruppenwahlverfahren weitergemacht wurde. Das halte ich für ein legitimes Vorgehen.
Verletzt das nicht die Chancengleichheit?
Im konkreten Fall sehe ich das nicht, zumal die Änderung wohl vor Platz 19 beschlossen wurde, sich also alle KandidatInnen mit ordentlich Vorlauf auf den Wechsel einstellen konnten. Bei den Grünen haben wir sogar einen Ad-hoc-Wechsel des Wahlverfahrens in unserer Satzung vorgesehen.
Inwiefern?
Da heißt es, dass auf Wahllisten mindestens die ungeraden Plätze Frauen zustehen. Wenn keine Frau kandidiert, kann die Versammlung ein abweichendes Verfahren beschließen.
Bei den Grünen ist das von vornherein klar. Das Wahlrecht ist da doch sehr streng …
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Ja, es gibt teilweise formale Regeln, die knallhart eingehalten werden müssen. In einem Wahlkreis in Brandenburg ist zum Beispiel ein AfD-Kandidat nicht zugelassen worden, nur weil eine Unterschrift fehlte. Derartige Mängel hatte die Sachsen-AfD aber noch fristgerecht ausgebessert. Am Ende hätte der Landeswahlausschuss darum nur noch zu beurteilen gehabt, ob die AfD gegen elementare Mindestregeln einer demokratischen Kandidatenaufstellung verstoßen hat. Wovon keine Rede sein kann.
Ist durch die Kürzung der Liste denn irgendein ein Schaden für die Demokratie entstanden?
Manche beklagen, dass sich die AfD als Opfer gerieren kann – aber das tut sie sowieso immer. Schlimmer ist, dass die AfD nun gute Aussichten hat, eine erfolgreiche Wahlprüfungsbeschwerde einzureichen. In letzter Konsequenz könnte das bedeuten, dass der Landtag neu gewählt werden muss.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun am Mittwoch eine Klage der Sächsischen AfD wegen der gekürzten Liste abgewiesen. Was bedeutet das?
Das Gericht hat die Klagen aus formellen Gründen abgelehnt. Damit war zu rechnen, weil Karlsruhe sich in Länderwahlsachen nicht für zuständig hält. Die entscheidenden Verfahren laufen am sächsischen Verfassungsgerichtshof in Leipzig.
Dort findet nun am heutigen Donnerstag eine mündliche Verhandlung über mehrere Verfassungsbeschwerden der AfD statt.
Die Klagen sind meines Erachtens auch unzulässig, da Verfassung und Wahlgesetz bewusst in Kauf nehmen, eine fehlerhafte Wahl abzuhalten und dies erst im Nachhinein zu korrigieren. Man will damit der Gefahr begegnen, dass sich eine Wahl wegen Streitigkeiten verschiebt. Die Fristen sind eng, in wenigen Tagen soll die Briefwahl beginnen.
Sie meinen, die Verfassungsrichter werden vor der Wahl keine Entscheidung treffen?
Das würde mich zumindest sehr wundern. Vor fünf Jahren gab es einen vergleichbaren Fall, bei dem ein sächsischer AfD-Kandidat gestrichen wurde. Der Verfassungsgerichtshof gab ihm nach Jahren Recht – hatte aber seine Klage vor der Wahl noch abgewiesen.
Was ändert sich dadurch, wenn die AfD-Liste kurz bleibt?
Es kommt dann auf die Direktmandate an. Sobald ein AfD-Mensch ohne Listenplatz einen Wahlkreis gewinnt und nicht unter den 18 KandidatInnen auf der Liste ist, bekommt die AfD mehr Sitze im Landtag. In 25 solcher Wahlkreise lag die AfD bei der Europawahl am 26. Mai vorne, meist sehr knapp. Bislang scheinen die anderen Parteien darauf aber strategisch nicht einzugehen.
Meinen Sie, das bleibt so?
Ich denke, es wird die Runde machen, in welchen Wahlkreisen man der AfD durch strategische Wahl eines aussichtsreichen Gegenkandidaten einen Sitz wegnehmen kann. Der Haken daran ist, dass es der CDU Überhangmandate bescheren könnte. Die werden in Sachsen nicht voll ausgeglichen. Wer eine Regierung ohne CDU und AfD will, der nähert sich dem Ziel dann nur minimal. Es gibt nur wenige potenzielle AfD-Wahlkreise, in denen Grüne oder Linke eine Chance haben.
Wie sähe der Landtag aus, wenn die AfD wegen der kurzen Wahlliste weniger Sitze bekommt, als ihr zustünden?
Die Sitze blieben leer. Nehmen wir an, der AfD stünden nach der Wahl 30 Sitze zu, während sie nur die 18 Plätze durch die Liste besetzen kann. Kämen keine Direktmandate oder Überhang- und Ausgleichsmandate hinzu, würden im Landtag eben 12 Abgeordnete weniger sitzen: 108 statt 120.
Was bedeutet das?
Für eine Mehrheit wären in unserem Beispiel nur noch die Stimmen von 55 Abgeordneten nötig, nicht von 61.
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