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Wahl in Brandenburg, Sachsen, ThüringenWieder gibt es Hass im Wahlkampf

In den Landtagswahlkämpfen kommt es zu Bedrohungen der Wahlkämpfenden. Das Kulturbüro Sachsen fordert schnellere Anklagen.

Die Grünen-Politikerin Antje Töpfer (Mitte) vergangene Woche nach dem Angriff in Hohen Neuendorf Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Gerade erst schlug im brandenburgischen Hohen Neuendorf ein Mann einen 68-jährigen Grünen-Wahlkampfhelfer nieder und raubte dessen Tasche mit Parteiflyern. Zuvor schon wurde in dem Bundesland die CDU-Politikerin Adeline Abimnwi Awemo in Cottbus rassistisch beleidigt und angegriffen. In Sachsen wiederum wurde ein Linken-Wahlhelfer in Dohna mit einer Machete bedroht, ein Team der Piraten in Dresden angegriffen, in der Stadt auch ein 23-jähriger Gewerkschafter von mehreren Personen verprügelt.

Sorgten schon im Frühjahr im Europa- und Kommunalwahlkampf Gewaltdelikte oder Bedrohungen von Engagierten in Brandenburg, Sachsen und Thüringen für Schlagzeilen, darunter ein Angriff auf den sächsischen SPD-Europaspitzenkandidaten Matthias Ecke, häufen sich nun erneut Meldungen.

Laut Sachsens Innenministerium sind es keine Einzelfälle: Demnach wurden in diesem Jahr bislang bereits 897 politisch motivierte Straftaten in Zusammenhang mit den Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen gezählt. 55 Vorfälle hätten sich dabei direkt gegen Parteirepräsentanten gerichtet, 14 gegen Parteigebäude. Die meisten Vorfälle, 815 Stück, beträfen allerdings Beschädigungen von Wahlplakaten – die meisten davon trafen laut Ministerium welche der SPD und AfD. Gezählt wurden aber auch 14 Gewaltdelikte.

Auch in Brandenburg wurden in diesem Jahr bis Anfang Juli laut Antwort der Landesregierung auf eine Linken-Anfrage 75 politisch motivierte Straftaten gegen Par­tei­re­prä­sen­tan­t*in­nen und 930 Taten gegen Wahlplakate verübt – mehr als bei den Wahlen 2019 im Bundesland. In 63 Fällen seien Menschen attackiert worden.

Anfeindungen „leider schon alltäglich“

In Thüringen gab es laut Polizei in diesem Jahr bereits 479 politisch motivierte Straftaten mit Bezug zu Wahlen. Auch hier betrafen die allermeisten Beschädigungen oder Diebstahl von Wahlplakaten, teilte eine Sprecherin der taz mit. In 28 Prozent der Fälle habe dies die AfD betroffen, gefolgt von den Grünen (20 Prozent) und der CDU (18 Prozent).

„Dass Menschen, die in Sachsen Wahlkampf betreiben, angepöbelt oder angefeindet werden, ist leider schon alltäglich“, beklagt Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen, das Kommunen zu Rechtsextremismus berät. Auch nach den Angriffen im Europawahlkampf bestehe die „aufgeheizte Stimmung“ fort. „Da gibt es kein Innehalten. Die rechtsextreme Szene ist sehr selbstbewusst“, so Nattke zur taz. „Einige der Tatverdächtigen sind weiter bei Szene­aktionen dabei, etwa von der ‚Elblandrevolte‘.“ Gerade deshalb sei es wichtig, dass alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft und schneller Anklagen gegen Täter erhoben würden, um hier Stoppzeichen zu setzen, fordert Nattke. „Es braucht eine andere Priorisierung bei der Justiz.“

Schon nach den Übergriffen im Frühjahr hatten Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU), Brandenburgs Michael Stübgen (CDU) und Thüringens Georg Maier (SPD) eine harte Strafverfolgung von Gewalttätern angekündigt. Auf einem Sondertreffen aller In­nen­mi­nis­te­r*in­nen und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wegen der Vorfälle wurde dies unterstrichen. Anklagen aber stehen bisher zumeist aus.

Anfang August eröffnete Faeser zudem eine Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger, betrieben vom Deutschen Forum für Kriminalprävention. Diese soll Betroffenen konkret und vertraulich Hilfsangebote vermitteln. Mit bis zu einer Million Euro wird dies jährlich finanziert. „Diese Angriffe erfolgen gezielt, um Demokraten mundtot zu machen“, warnte Fae­ser.

Auch BKA-Präsident Holger Münch hatte in der taz die Straftaten als „Alarmsignal“ bezeichnet. Die Unzufriedenheit mit staatlichen Institutio­nen befördere Bedrohungen und Gewalt, die sich schlimmstenfalls zu schwersten Taten wie dem Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke 2019 steigern könne.

Bundesweit meiste Straftaten gegen die Grünen

Schon im vorigen Jahr war es bundesweit zu 3.626 Straftaten auf Parteirepräsentanten oder Mandatsträger gekommen. Das geht aus finalen Zahlen des BKA für das Jahr 2023 hervor, die der taz vorliegen. Die mit großem Abstand meisten Straftaten trafen dabei die Grünen, 1.727 Fälle. Danach folgten die SPD (648), die AfD (578), die FDP (498), die CDU (286) und die Linke (110).

Unter den Vorfällen waren laut BKA auch 79 Gewalttaten. Hiervon wiederum richteten sich 59 gegen die AfD, 7 gegen die Grünen, je 5 gegen Linke und SPD sowie je 3 gegen FDP und CDU.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es ist richtig politisch motivierte Gewalt gegen Parteimitglieder, die Wahlkampf betreiben, schnell und streng strafrechtlich zu verfolgen. Menschen körperlich anzugreifen, nur weil diese eine andere politische Meinung vertreten, dürfen wir als Gesellschaft nicht dulden.

  • Es ist immer wieder das Gleiche: Klimakleber, die des Deutschen liebstes Kind, den Straßenverkehr beeinträchtigen, werden sofort mittels Terrorgesetzen eingesperrt bzw zu Geldstrafen verurteilt.



    Werden jedoch Menschen angegriffen, wie im Artikel beschrieben sogar einmal mit einer Machete, passiert: ...... NICHTS!



    Also klar, außer der Angreifer war ein Ausländer. Das geht gleich sämtliche Zeitungen rauf und runter!



    Wie kann das sein?

    • @Heinz Kuntze:

      Rechte Strukturen, ob Polizei, VS oder andere Sicherheitsorganen, oder auch nur Medien...sind viel zu viele, aber sind ja alles nur "konservative" mit manchmal leicht übersteigertem Nationalbewusstsein und Ausgrenzungsgedanken.

      Rechte Ideen und Ideologien sind mittlerweile so fest verankert in unser Gesellschaftssystem, dass man quasi den selben "Trick" probiert, wie es das sächsische Verfassungsschutzministerium probiert, braune Scheiße nach Nuancen zu unterscheiden. Braun ist braun, egal ob braun oder dunkelbraun. Keines davon ist besser.

  • So viele Zahlen. Und an fast keiner steht halbwegs präzise dabei, was genau da eigentlich gezählt wurde. Beispiel Brandenburg: 75 Straftaten gegen Parteirepräsentanten, davon 63 gegen Menschen. Und die übrigen 12?



    Die einzige klare Aussage, die nicht isoliert steht sondern gleichartige Dinge ins Verhältnis setzt und mit der sich etwas anfangen läßt, steht in den beiden letzten Sätzen.

    • @Axel Berger:

      75 Straftaten gegen Parteirepräsentanten, davon 63 gegen Menschen. Und die übrigen 12?

      In der Regel dürfte es sich dabei um Angriffe auf das Auto oder die Wohnung handeln.

      • @sneaker:

        Klingt plausibel. Aber bezahle ich ein teures Zeitungsabo (zweimal GEZ) und habe ich genau diese Zeitung gewählt, um danach herumraten zu müssen? Ich möchte informiert werden und erwarte von Journalisten, daß sie Zahlen verstehen und prüfen, bevor sie sie nachbeten.

  • Der korrekte Begriff lautet "Wahlkämpfer".

  • „Die mit großem Abstand meisten Straftaten trafen dabei die Grünen, 1.727 Fälle.“

    Hauptsächlich Ehrdelikte, mit Abstand die meiste Gewalt erfährt die AfD. Der Hinweis darf nicht fehlen. Im Übrigen wahrscheinlich auch nur eine ausgeprägtere Anzeigebereitschaft der Grünen wie Robert Habeck sie demonstriert hat.

    • @In aller Ruhe:

      dabei sind es keine abgeschlossenen Verfahren! es sind Anzeigen. Wir wissen ja das insbesondere AfD-Abgeordnete oder deren Sympathisanten in manchen Dingen gerne "andere Informationen" teilen.

  • Zur Statistik:

    Bei den Gewaltdelikten gegen Politiker ist laut offizieller Statistik der Bundesregierung wohl die AfD die am häufigsten angegriffene Partei.

    Rechnet man die nicht körperlichen Angriffe (z.B. Beleidigungen) hinzu, sind die Grünen am häufigsten betroffen, am zweithäufigsten Politiker der AfD.

    www.welt.de/politi...sten-betroffen.htm

  • Schon seltsam: Folgt man dem Text, so erhält man den Eindruck, daß es Gewalt und politische Kriminalität ausschließlich von rechten Tätern gegen linke Opfer gibt.



    Beachtet man hingegen auch die im Artikel zitierten Zahlen so zeigt sich:

    "In Thüringen gab es laut Polizei in diesem Jahr bereits 479 politisch motivierte Straftaten mit Bezug zu Wahlen. Auch hier betrafen die allermeisten Beschädigungen oder Diebstahl von Wahlplakaten, teilte eine Sprecherin der taz mit. In 28 Prozent der Fälle habe dies die AfD betroffen, gefolgt von den Grünen (20 Prozent) und der CDU (18 Prozent)."

    und:

    "Unter den Vorfällen waren laut BKA auch 79 Gewalttaten. Hiervon wiederum richteten sich 59 gegen die AfD, "