Wahl der Linkspartei-Vorsitzenden: Zum ersten Mal zwei Spitzenfrauen
Die Linke hat eine neue Parteiführung. Die Delegierten wählten Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler. Mit überraschendem Ergebnis.
Janine Wissler kandidierte als einzige Kandidatin auf dem ersten Platz, auf dem nach den Regularien der Partei nur Frauen antreten dürfen. Die Delegierten wählten sie mit 84,2 Prozent ins Amt. Angesichts der Verhältnisse in der in Kritik geschulten Linken ist das ein sensationell gutes Wahlergebnis.
Hennig-Wellsows Ausgangsbasis war schwieriger. Sie trat auf der gemischten Liste gegen zwei männliche Gegenkandidaten an. 70,5 Prozent der Delegierten stimmten für sie. Das im Vergleich zu Wisslers Wahl schwächere Ergebnis hängt aber auch damit zusammen, dass Hennig-Wellsow offensiv für eine Regierungsbeteiligung im Bund wirbt und sich auch UN-Friedensmissionen mit deutscher Beteiligung vorstellen kann. Beides ist an der Basis höchst umstritten.
Einer ihrer Gegenkandidaten, Reimar Pflanz, präsentierte sich für die Skeptiker in der Linken in seiner Bewerbung als klare Alternative: Nein, zu Regierungsbeteiligungen, Nein zu Auslandseinsätzen. Fast 20 Prozent der Delegierten stimmten für ihn, was in etwa dem Anteil von Wähler:innen entspricht, die die Linke nicht in Regierungen sehen wollen. Eine Minderheit, wenn auch eine laute.
Soziale Sicherheit und Solidarität
In ihrer Bewerbungsrede prangerte Wissler vor allem die soziale Ungerechtigkeit im Lande an, das Brot-und-Butter-Thema der Linken. In der Coronapandemie säßen alle in einem Boot – doch die einen ruderten, während es sich die anderen in den Kajüten gut gehen ließen.
Außerdem erinnerte Wissler ihre Partei an etwas, das mal in der Linken als selbstverständlich galt, bevor es in der quälenden Auseinandersetzung zwischen dem Flügel um Sahra Wagenknecht und den ehemaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger zum Zankapfel wurde: „Solidarität ist unteilbar und sie endet nicht an den Außengrenzen der EU“, rief Wissler ihren Genoss:innen zu. Damit setzte auch sie unter diese Debatte noch einmal einen Schlussstrich.
Zu den in der Partei heiß umstrittenen Fragen, nämlich zu UN-Blauhelm-Einsätzen und zur Regierungsbeteiligung, äußerte sie sich hingegen nicht.
Hennig-Wellsow trat erneut mit dem klaren Bekenntnis an, die Linke in eine Regierung zu führen. „Lasst uns CDU, CSU aus der Regierung vertreiben.“ Hennig-Wellsow erinnerte an die Erfolge der PDS im Osten in den 90er Jahren, die für die Menschen dort ansprechbar war, für sie kämpfte und sie nach der Wende in die neue Zeit begleitete. Diesen Anspruch müsse die Partei auch heute haben – nämlich für Veränderungen im Hier und Jetzt zu sorgen.
Sie zählte dabei konkrete Projekte auf: eine armutsfeste Mindestsicherung, die Stärkung des öffentlichen Gesundheitssystems und den Stopp von Rüstungsexporten. Alles Punkte, die in der Partei unumstritten sind. Auf mögliche Blauhelmeinsätze ging auch Hennig-Wellsow nicht ein, sondern appellierte stattdessen an ihre Partei: „Lasst uns das Gemeinsame sehen.“
Mit dem geglückten Wechsel an der Parteispitze gibt es zumindest die Chance, dass das gelingt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin