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Waffenstillstand Ukraine-RusslandDer Ball liegt jetzt bei den USA

Kommentar von Inna Hartwich

Der russische Präsident Putin will keinen Frieden, er inszeniert sich nur als Friedensengel. Sein Jein zum US-Angebot ist eine Absage an Frieden.

Wo ist dein Anzug? Der russische Präsident Putin in Camouflage Foto: Kremlin Press Office/tass/picture alliance

W o ist dein Anzug?“, musste sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj anhören, bevor das Gespräch mit seinem amerikanischen Amtskollegen Donald Trump im Oval Office vollends eskalierte. Selenskyj verzichtet auf Anzüge, seit Russlands Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 seinen verheerenden Marschbefehl zur „militärischen Spezialoperation“ gegen die Ukraine gab. Der Krieg ist zum Sinn des Lebens und des Überlebens des russischen Regimes geworden. Und siehe da, auch Putin legt seinen Anzug plötzlich ab und zeigt sich in Camouflage: ein Statement, kurz nachdem die USA und die Ukraine bei den Gesprächen in Dschidda in Saudi-Arabien verkündet hatten, sie hätten sich auf eine 30-tägige Waffenruhe entlang der gesamten Frontlinie geeinigt. Nur, wo genau verläuft diese Linie? Wer schützt sie? Unklar.

Durch seine Kleiderwahl zeigt Putin: „Wir sind im Krieg.“ Wenn er früher Sitzungen im Generalstab leitete, Soldatenhelden die Hände schüttelte und ihre Mütter umarmte, trug er Anzug. Nun wählt er selbst Uniform, während die Welt fast schon in Schnappatmung auf die „brisanten“ Nachrichten aus Moskau wartet. Sagt er zu? Stellt er Bedingungen? Kann er es sich leisten, die Amerikaner zu verprellen?

„Atmet aus“, scheint Putin zu rufen, während er von seinen Generälen durch die Gänge des Kommandopostens der Kursker Gruppierung läuft und sich vom russischen Staatsfernsehen filmen lässt. Da ist er zum ersten Mal in dieser Region, seit die Ukrainer Teile des russischen Territoriums besetzt halten. Auch das ist ein klares Zeichen in Zeiten der russischen Rückeroberung bei Kursk. Moskau sieht sich in der Position der Stärke, auf dem Weg zum Sieg. Gerade jetzt wird es nicht klein beigeben und sich auf Vereinbarungen einlassen, von denen es seit Monaten aus Moskau heißt: „Waffenruhe ist inakzeptabel, leeres Geschwätz, ein Trick für eine Verschnaufpause der Ukrainer.“

Erst vor Kurzem hatte Putin gesagt, Russland hätten nur wenige Monate bis zum Sieg im Ersten Weltkrieg gefehlt. Das mag nur einer der Putin’schen Träume gewesen sein, die er als Wahrheit zu verkaufen weiß. Viel wichtiger ist die Botschaft: „Wir müssen durchhalten bis zum Sieg, wir dürfen nicht die Fehler von früher wiederholen.“ Und er wird durchhalten. Ganz Russland wird durchhalten, weil das Putin-Regime alles unter seine Kontrolle gebracht hat. „Den Sieg lassen wir uns nicht klauen“, schreien die Propagandist*innen. Aus dem Kreml klingt das diplomatischer, aber nicht weniger demonstrativ. „Man sollte nichts überstürzen“, hatte der Kremlsprecher Dmitri Peskow gesagt. Putin selbst sagte, zurück in der Hauptstadt und wieder im Anzug, natürlich sei eine Waffenruhe eine „gute Idee, aber“ Moskau brauche keinen kurzfristigen Waffenstillstand, Moskau brauche einen langfristigen Frieden. Es ist eine abermalige Wiederholung des Altbekannten.

Russisches Verwirrspiel

Moskau ist geübt darin, Worten neue Bedeutungen zu verleihen. US-Außenminister Marco Rubio sprach davon, dass der Ball nun auf der russischen Seite liege, während Trump den Ukrainern vorwarf, sie hätten keine Karten. Kyjiw spielt weder Karten noch Fußball, Kyjiw kämpft um sein Land.

Moskau kann derweil gern von Fußball erzählen oder Karten hinwerfen – es hat keine Bedeutung. Es dient lediglich als Verwirrspiel: Russland dreht so lange an der Realität, bis eine neue Realität entsteht und keiner mehr weiß, was Wirklichkeit ist. Fakten spielen keine Rolle, nur Thesen und Theorien. Und die These, die Russland seit Jahren bespielt, ist, die Ukraine sei von Faschisten besetzt, deshalb müsse Russland das Land entnazifizieren und demilitarisieren. Dass „Entnazifizierung“ die völlige Demontage der Führung in Kyjiw bedeutet sowie eine durchgängige Kontrolle durch Russland und dass mit „Frieden“ Bedingungen gemeint sind, die eine Kapitulation der Ukraine und eine komplett neue Sicherheitsarchitektur in Europa verlangen, wird dabei nicht mehr erwähnt. Hängen bleibt nur „Frieden“, und das ist schließlich was Gutes, oder?

So können sich die Moskauer Imperialisten als Friedensengel inszenieren, stets ihre „einfachen Bedingungen“ wiederholen – von der völkerrechtlichen Anerkennung der besetzten Gebiete in der Ukraine über die immerwährende Absage der Ukraine an einen Nato-Beitritt bis hin zur vollständigen Rücknahme der westlichen Sanktionen gegen Russland – und die Verantwortung am nicht endenden Krieg der Ukraine zuweisen. Putins Worte sind ein „Jein“, eine aufgeschobene Zustimmung Russlands, bis das verbrecherische Regime das bekommt, was es verlangt. Der Ball, von dem Rubio sprach, liegt also nicht auf russischer Seite, er liegt längst wieder bei den USA.

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19 Kommentare

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  • Putin hat von Trump ganz schnell gelernt - nur mit dem Unterschied, daß er die Amerikaner noch nicht vor laufenden Kameras zur Schnecke macht: www.msn.com/de-de/...tieren/ar-AA1AZm7n

    Zitat: "Wladimir Putin war in ein Treffen mit Alexander Lukaschenko vertieft, was die Gespräche mit Witkoff verzögerte. Der Trump-Gesandte musste ganze acht Stunden auf das Treffen mit Putin warten."

  • Ich versuche noch einmal zum Papier des Quincy Institute zu verlinken, wo sich einige konstruktive Ideen finden, die hierzulande wenig Beachtung finden:

    quincyinst.org/res...-in-negotiations/#

    Ich hätte Verständnis für eine Haltung der Art: Wir müssen für den Worst Case (Friedensplan scheitert auf absehbare Zeit) einen Plan B haben. Aber was in Deutschland und hier im Forum geäußert wird folgt weitgehend der Logik: Dieser Worst Case tritt sowieso ein, also führen wir ihn aktiv herbei. - Auf der anderen Seite des Atlantik ist man da wohl gedanklich weiter. (Immerhin muss ich mir für eine solche Betrachtung heute wohl nicht mehr antiamerikanische Vorurteile vorwerfen lassen.)

  • Putin hat seinen Stalin gelernt, dass muss man ihm lassen. Von daher sollten wir den Russen nicht wieder Halbeuropa überlassen.

  • Ich denke, es ist nun hinreichend klar geworden, dass der Krieg anders enden wird, als von uns gedacht.



    Russland wird wohl niemals freiwillig einen Frieden schließen, der nicht einer vollständigen Kapitulation der Ukraine gleichkommt. Also werden über die nächsten Jahre die Anteile des Militärs am russischen Staatshausahalt immer weiter wachsen, die Wirtschaft wird, soweit nicht unmittelbar Rüstung, weiter verkümmern. Russland wird zurückkehren zur Lage in den 90er Jahren und Stück für Stück immer schwächer werden, an der Peripherie auseinanderdriften, während der Westen den Ukrainekrieg mehr und mehr als existenzielle Bedrohung begreift und ebenfalls immer mehr Geld investiert, was Putin in seiner Abschätzigkeit gegenüber dem verderbten Westen niemals geglaubt hat. Bei diesem Wettrüsten à la Reagan kann der Kreml aber am Ende nicht wirklich mithalten.



    Erst Putins Nachfolger im Amt allerdings wird den Kassensturz machen und den Krieg sang- und klanglos wie damals in Afghanistan beenden mit den Worten, dass Russland "alle wichtigen Ziele erreicht" habe.

  • Und die Selbstinszenierung der Moskauer Imperialisten als Friedensengel funktioniert in Deutschland besonders gut, bis in die taz-Leserschaft hinein. Dazu kennt Putin die deutsche Gemütslage nur allzu gut. Woche für Woche habe ich in den letzten drei Jahren im taz-Forum gelernt, dass Unterstützung der Ukraine mit Waffen Bellizismus ist.



    Die sollen gefälligst nicht so aggressiv um ihr Überleben kämpfen! Und bloß nicht ihren Mörder provozieren! Der ja auch berechtigte Sicherheitsinteressen hat! Und sowie vom Westen ja erst in diese Ecke getrieben worden ist! Usw usf.

  • „Er inszeniert sich nur als Friedensengel“. Mit absoluter Gewissheit? Und wer die Verhandlungstaktik anders interpretiert, ist ein Feind und korrumpiert durch Putins Propaganda?

    Ich nehme an, dass der Autor das Ziel verfolgt, die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen, sie in die Nato aufzunehmen und von Russland Reparationen zu verlangen. Wenn man auf sein Recht pochen will, richtig. Wurde die Umsetzung dieses Zieles aber wirklich intensiv bis ganz, ganz zu Ende gedacht und die möglichen Folgen, der Preis und Risiken einer weiteren Eskalation für die Ukrainer und die EU berücksichtigt?

    Hier ein Beitrag, der es differenzierter sieht:



    www.telepolis.de/f...09092.html?seite=2

    • @nothingness:

      "„Er inszeniert sich nur als Friedensengel“. Mit absoluter Gewissheit?"



      Stimme Ihnen bei. Das tut er absolut nicht.



      Sonst hätte er z. B. längst die Luftangriffe auf zivile Ziele eingestellt.

    • @nothingness:

      Das Recht der Ukraine, den Genozid am eigenen Volk zu verhindern als "auf sein Recht pochen" zu bezeichnen, ist schon besonders frech. Sie hätten dann wohl auch Polen 1939 geraten, den Einmarsch der Wehrmacht einfach hinzunehmen, um des "Friedens" willen? Ihr Frieden ist Appeasement für billiges Gas, nichts anderes. Schämen Sie sich.

    • @nothingness:

      Ich habe den Beitrag gelesen - und finde ihn überhaupt nicht "differenziert". Er wiederholt nur ständige russische Positionen und altbekannte Propaganda. Aber die letzte 20 Jahre zeigen doch, dass permanentes Nachgeben gegenüber Russland, wie in Minsk, keinerlei Frieden gebracht, sondern die Lage immer weiter verschlimmert hat? Sie verwechseln m.E. Putins Russland weiter mit der Sowjetunion. Putin hält sich aber leider an keine Verträge mehr. Er riskiert natürlich keinen Atomkrieg gegen die USA, und er handelt auch sonst in gewisser Weise rational, ja, aber es ist die Rationalität eines Mafiabosses. Menschliche Opfer, auch der eigenen Landsleute, sind ihm herzlich egal. Er weicht erst dann zurück, wenn er entweder seine Pfründe (Oligarchen?) bedroht sieht oder er einem noch mächtigeren Mafiaboss (Trump?) begegnet, den er nicht bezwingen kann.

      • @hedele:

        Man hat Putin noch nicht zurückweichen sehen, schon deshalb nicht, weil das das Ende seiner Macht bedeuten würde. Es ist also nicht klar, ob das jemals passieren wird, ohne daß es dann dafür biologische Ursachen gäbe.

  • "Fakten spielen keine Rolle, nur Thesen und Theorien. "

    Das war schon immer in Diktaturen so und wird auch so bleiben.



    Besorgniserregend ist, dass sich dieses "Phänomen" auch in westlichen Demokratien immer mehr ausbreitet. Anders als früher nicht mehr nur bei den extremistischen Parteien und ihren Unterstützern, sondern auch bei den Parteien der Mitte und der Mitte der Gesellschaft insgesamt.

  • Was für eine Überraschung! Putin bekräftigt einmal mehr die Position, die es schon von Beginn an immer und immer wieder vertreten hat, und die die hiesige "Verhandlungsfraktion" nie zur Kenntnis nehmen wollte. Mal sehen, wie der einzige Kontrahent, den Putin, anders als die Europäer, immer ernstgenommen hat, darauf reagiert.



    Immerhin: auch die Linkspartei wird sich nun allmählich mal entscheiden müssen, ob sie weiterhin die Ukraine einem "Frieden" zu Putins Bedingungen ausliefern möchte. Ich bin da allerdings wenig optimistisch.

  • Wenn Trump nicht einen adäquaten Druck aufbaut, bewegt sich Putin bestimmt nicht.



    Die Frage ist, was passiert, falls Trump Druck auf Putin ausübt, das Potential zur Entgleisung ist definitiv vorhanden.

    • @nutzer:

      "Die Frage ist, was passiert, falls Trump Druck auf Putin ausübt, das Potential zur Entgleisung ist definitiv vorhanden."



      Und was für ein Druck soll das sein?



      Putin möchte Krieg gegen die Ukraine führen, und wird sich durch nichts davon abbringen lassen. Das wird auch Trump bald begreifen (hat er vielleicht schon). Dann sollte die sofort EU bereit stehen als Bürge für ein Lend-Lease-Programm, damit Trump die Fortsetzung der US-Militärhilfe seinen Wählern verkaufen kann.

    • @nutzer:

      Welchen Druck? Trump ist an echtem Frieden nicht interessiert. Er will die Ukraine gewissenlos ausbeuten dürfen, Putin will das Land und die völlige Unterwerfung der Ukraine. Verlierer in diesem Ping-pong-Spiel der Soziopathen sind die Ukraine und Europa.

  • Trump und Putin wollen sich die Ukraine aufteilen.

    Schade, dass Europa immer noch schläft.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Eher nicht. Auch Hitler hat damals dem Stalin nicht wirklich halb Polen schenken wollen. Putin hat Trump womöglich bloß ein Geschäft anbieten wollen; ob er manchmal noch in moralischen Kategorien denkt und den Amerikaner auf sein eigenes Niveau herunter ziehen wollte - da wäre ich mir nicht so sicher.

  • Es sind eben jetzt keine Nazis im ursprünglichen Sinne, sondern Wirtschaftsnazis. Die Spezies dummer, aggressiver Republikaner, auch bei uns. Heute werden keine Menschen mehr vergast, sondern in Fabriken oder irgendwo auf der anderen Seite der Welt bis zum Tod ausgebeutet.

  • Dass damals Russland nur wenige Monate zum totalen Sieg gereicht hätten sollte eher klar sein. Nazis haben Nazis vor den Russen gerettet, nur so konnte diese arrogante Gesellschaft im Christentum untertauchen und ihre Fremdenfeindlichkeit weiter ausleben. Man muss diesen Krieg heute geschichtlich besser einordnen, denn wenn Putin von Nazis spricht, dann hat er aus der geschichtlichen Perspektive nicht gänzlich Unrecht.