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Waffenlieferungen an die UkraineDer Taurus wird nicht kommen

Großbritannien und Deutschland rüsten auf, den Taurus gibt der Kanzler nicht frei. Die erste Tranche aus den USA soll bald kommen.

In der Ukraine wird er nicht fliegen: Der Marschflugkörper Taurus Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr/dpa

Berlin/Athen taz | Es tobt ein Krieg in Europa – mit diesen markigen Worten trat der britische Premierminister Rishi Sunak am Mittwoch in Berlin auf. Und: Es handele sich um eine historische Entscheidung, die Verteidigungsausgaben spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu erhöhen. Deutschland hatte sich darauf verpflichtet, das 2-Prozent-Ziel der Nato für den Verteidigungsetat als Anteil am Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr zu erreichen und bis 2030 zu halten. Sunak kündigte nun für Großbritannien einen 2,5-Prozent-Anteil ab 2030 an.

„Die Welt ist gefährlicher geworden“, sagte der britische Premier nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Das britische Verteidigungsministerium hatte am Dienstag von 75 Milliarden Pfund zusätzlichen Militärausgaben bis 2030 gesprochen, um das neue Ziel zu erreichen. Dafür müsste in anderen Bereichen gespart werden. Laut Sunak seien mehr Ausgaben für Verteidigung aber nicht nur notwendig, sondern auch machbar, da sich die britische Wirtschaft erholt habe. Der Wert von 2,5 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung könnte sich innerhalb der Nato-Staaten zur neuen Marke entwickeln. Bisher erreichen oder übererfüllen lediglich 18 der 32 Mitgliedsstaaten das 2-Prozent-Ziel.

Die finanzielle Unterstützung für die Ukraine steht also. Scholz betonte erneut, dass Deutschland mit die meisten Mittel in Europa für die Ukraine aufgebracht hätte. Dennoch: Nach der Abstimmung im US-Senat zu Militärhilfe in Höhe von knapp 61 Milliarden US-Dollar am Dienstag ist die Erleichterung beim Treffen zwischen Scholz und Sunak in Berlin zu spüren.

US-Präsident Joe Biden unterzeichnete das Gesetzespaket am Mittwoch und kündigte an, dass die Übergabe eines ersten Hilfspakets mit militärischer Unterstützung für die Ukraine in wenigen Stunden beginnen solle. Vermutet wird, dass die erste Tranche Luftverteidigungskapazitäten, Artilleriegeschosse, gepanzerte Fahrzeuge und andere Waffen umfasst.

EU darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen

Konkret gibt es die Hoffnung, dass sehr bald weitreichende US-Waffensysteme geliefert werden. Dazu zählen ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Großbritannien hat auf der Lieferliste Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow. Die viel geforderte panzerbrechende Waffe Taurus aus Deutschland wird aber nach wie vor nicht kommen. Kanzler Scholz machte erneut deutlich, dass er bei seiner Haltung bleibe, den Marschflugkörper nicht für die Ukraine freizugeben.

Doch Sunak und Scholz machen auch klar, dass sich die EU, Deutschland und Großbritannien beim Thema Verteidigung und Aufrüstung in Europa nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen. Beide Regierungschefs kündigten engere Zusammenarbeit bei diversen Rüstungsprojekten an, etwa selbstfahrenden Artilleriesystemen, die in gepanzerte Boxer-Fahrzeuge eingebaut werden sollen.

Zentral für die ukrainische Verteidigung bleiben zusätzliche Luftverteidigungssysteme. Deutschland hat eine drittes System vom Typ Patriot zugesagt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) haben an die G7-Staaten sowie die Mitglieder von Nato und EU appelliert, nach weiterem Luftabwehrgerät für die Ukraine zu suchen.

Umstrittene Patriot-Systeme

Die Aufforderung richtet sich auch an Griechenland, doch Athen mauert. Griechenland integrierte das Patriot-System 2003 in seine eigene Luftwaffe. Sie verfügt laut offizieller Angaben über zwei Koordinations- und Informationszentren (ICC) sowie sechs Einsatzkontrollstationen (ECS) mit jeweils sechs Abschussstationen. Regierungssprecher Pavlos Marinakis sagte nun aber, es werde „keinen Schritt geben, der die Abschreckungsfähigkeit und die Luftverteidigung unseres Landes gefährden würde“.

Deutlicher wurde Verteidigungsexperte Angelos Syrigos von der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND): „Unsere Position ist eindeutig und absolut, ob es Druck gibt oder nicht. Die Raketensysteme sind für die Flugabwehr unseres Landes vorgesehen“, sagte Syrigos am Dienstag dem TV-Sender Naftemporiki.Wie die taz erfuhr, steht zudem die Führung der griechischen Streitkräfte einer Patriot-Lieferung an die Ukraine ablehnend gegenüber. Griechenland fühlt sich vom Nachbarland Türkei weiter bedroht, für Athen bleibt die Türkei militärisch die Gefahr Nummer eins. Das Motto: Luftverteidigung stärken, nicht schwächen. Dazu trägt auch das russische Raketenabwehrsystem S-300 bei. Griechischen Medienberichten zufolge wäre Athen höchstens dazu bereit, drei russische S-300-Batterien durch ein Patriot-System ersetzen zu lassen – dies könnte im Falle der Lieferung der S-300 in die Ukraine jedoch zu juristischen Problemen führen.

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14 Kommentare

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  • Taurus soll also große Reichweiten möglich machen - aber im Einsatzfall nicht weit geschossen werden.



    Seltsam.



    Denn große Reichweiten machen ja nur Sinn, wenn Taurus zur Verteidigung von ?Deutschland? ?Nato-Mitgliedern? Ziele weit(!) hinter der Front angreift. Wo sollen die sein - wenn nicht in Russland. Schießen wir nach Polen, wenn Russland an der Oder steht? Oder durch Polen durch ins Baltikum hinein?



    Mit den Beschränkungen die Scholz dem System auferlegt, erkenne ich kaum noch einen sinnvollen Einsatz, wenn Russland als Zielgebiet tabu bleiben soll.

    • @Monomi:

      Sehr viel Infrastruktur der Besatzung liegt auf ukrainischem Gebiet.

  • Nachdem die Ukraine mittlerweile eigene Marschflugkörper mit einer Reichweite von über tausend Kilometern hat ist Scholz Weigerung einfach nur völlig unbegründbar und amoralisch. Wieviele ukrainische Soldatinnen und Soldaten sind gestorben, weil die Kertsch Brücke noch immer nicht zerstört ist? Ein ruZZischer Sieg wären katastrophal! Deshalb ist die mangelnde Unterstützung des Landes durch den Kanzler um so unverantwortlicher. Mit seinem Blut bezahlt dieses tapfere Land jeden Tag Schloz unerträgliche Verzögerungspolitik , dabei wäre die sofortige Lieferungen schwerer, weitreichender Waffen eine große historische Chance. Immerhin sind die Soldaten der Wehrmacht in der Ukraine 1941 als Befreier mit Brot und Salz begrüßt worden, nachdem Stalin kurz vorher 12 Millionen Ukrainer ermordet hatte. Deutsche Taurus Marschflugkörper wären ein Beitrag, das Unrecht Hitlers wieder gut zu machen. Wenn Putin in der Ukraine gewinnt greift er als nächstes die baltischen Staaten an. Nur Putins Niederlage sichert den Frieden in Europa.

  • Der Unterschied ist das die Russen inzwischen auf Kriegswirtschaft umgestellt haben. Im Vergleich dazu kommt aus dem Westen schlicht zu wenig.



    Und dann scheint auch so gewollt zu sein. Am Ende des Tages will man nicht das die Ukraine ihr Territorium vollständig zurück erhält - inkl Krim.



    Denn das könnte Russland destabilisieren.



    Ein stabiles böses Russland ist wichtiger als der Sieg der Ukraine.



    Wenn man sieht, wie halbherzig die Granateinherstellung, Panzerherstellung und das Ausbleiben einer Massenproduktion an Drohnen in der NATO statt findet, sagt das alles.



    Da ist es völlig egal ob man seinen Teil hochrechnet - es führt nicht dazu das genügend Material an der Front ist.

  • Und Scholz hält an seiner Entscheidung fest, die Scham der Republik zu bleiben.

    • @Slimak:

      Ich gebe zu, dass die Thematik kompliziert ist, weil viele Menschen naiv davon ausgehen, dass man den Frieden herbeibomben kann und es nur an Waffen fehlt. Jedoch ist die Thematik etwas komplizierter und Scholz ist nun wirklich nicht dumm. Es gibt genügend Gründe Taurus nicht zu liefern, auch wenn die nicht populär sind.

    • @Slimak:

      Es gibt zig Szenarien in den denen es sinnvoll ist den Taurus nicht zu liefern. Aussprechen kann Scholz diese natürlich nicht, wie er auch im Bundestag gegenüber Röttgen sagte.

      Spekulation:



      Szenario Baltikum: Deutschland hält als wichtigste Schutzmacht von Litauen, den Taurus zurück um die Abschreckung gegen einen Angriff auf das Baltikum glaubwürdig zu halten.

      Szenario Drittstaaten:



      Deutschland hält den Taurus zurück, weil China oder andere wichtige globale Player damit eine Bestätigung von Putins Lüge sähen, dass Moskau angegriffen/bedroht solle. Scholz jedoch setzt auf die Rolle Chinas z.B. bei der Abschreckung von Atomeinsätzen.

      • @SPD-Versteher:

        Der Taurus scheint eine sehr merkwürdige Waffe, vielleicht so eine Art "Schwert der Nibelungen" - es soll diese Waffe geben - aber sie ist zu wertvoll als dass sie im Kampf eingesetzt werden kann,weil sie in die Hände der Gegner fallen könnte -und die Macht wäre dann mit übergegangen...



        Ernsthaft: Wenn am Taurus keine fremden Soldaten ausgebildet werden dürfen weil dann Entscheidungsgewalt über den Einsatz aus dem Kanzleramt heraus geht - dann braucht ein etwaiger Gegner ja nur die wenigen Soldaten zu "eliminieren", die Taurus bedienen können. Und sofort verwandelt sich das ganze System in hunderte Tonnen von edlem Schrott.



        Das gilt übrigens nicht nur für Taurus - ähnliche Überlegungen lassen sich auch für (zu) hoch komplexe Waffensysteme wie den Leo2 anstellen.



        Es könnte sein, dass diese Waffensysteme gar nicht mit dem Ziel eines erfolgreichen Einsatzes entwickelt wurden, sondern mit dem Ziel in scheinbar ewigen Friedenszeiten Technologieförderung über den Verteidigungsetat betreiben zu können...

        • @Monomi:

          "Es könnte sein, dass diese Waffensysteme gar nicht mit dem Ziel eines erfolgreichen Einsatzes entwickelt wurden, sondern mit dem Ziel in scheinbar ewigen Friedenszeiten Technologieförderung über den Verteidigungsetat betreiben zu können..."

          Ein überspitztausgedrückter aber sehr interessanter Gedankengang!

  • Die usa liefern atacms !!!!!

    • @dizzy:

      Ja, und wohl sogar ohne Reichenweitenbegrenzung, jedoch anscheinend weiterhin mit entschärftem Sprengklopf. Die Lage muss ziemlich dramatisch sein.



      Deutschland wird evt zu einem späteren Zeitpunkt Taurus liefern, falls die Lage noch dramatischer wird, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist eine neue Diskussion überflüssig.

  • Die Britische Regierung kann heute sehr einfach Versprechen über zukünftige Erhöhungen der Aufrüstung machen.



    Schließlich ist es derzeit sehr unwahrscheinlich, dass die heutige britische Regierung in einem knappen Jahr wiedergewählt werden wird.



    Ich finde es etwas seltsam, Partnerstaaten aufzufordern, ihre Verteidigungsfähigkeit aktiv zu reduzieren.



    Die angespannte Lage zwischen Griechenland und der Türkei ist real.



    Dass Tauruslieferungen die deutsche Verteidigungsfähigkeit deutlich einschränken würde, ist ebenfalls kein Geheimnis mehr.



    Derzeit ist die russische Armee auf dem Vormarsch.



    Das Nahziel muss lauten, diese Entwicklung zu stoppen.

    • @Philippo1000:

      Die Russen zu stoppen wäre ein einfaches. Allein was die Amerikaner in der Wüste als Schrott stehen haben würde reichen. Man möchte es aber nicht. Warum? Warum wird immer nur so viel geliefert, dass sie Ukraine nicht kollabiert, sie sich aber nicht richtig verteidigen kann?

      • @Hannes Mustermann:

        Sie kennen die Antwort doch vermutlich selber. Es besteht kein Interesse am Risiko einer Eskalation und die russische Armee lässt sich so gut abnutzen.