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Waffen für die UkraineBidens Taktik, Scholz’ Chance

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Mit seiner Ankündigung will der scheidende US-Präsident Biden der Ukraine einen Gefallen tun – bevor Trump wieder ins Weiße Haus einzieht. Ein Game Changer?

Unerhörte Forderung: Demonstration in Berlin, Februar 2024 Foto: Stefan Boness

E skaliert Joe Biden in den letzten Wochen seiner Präsidentschaft verantwortungslos den Krieg in der Ukraine? Droht mit der Erlaubnis, mit Raketen militärische Ziele dreihundert Kilometer tief in Russland zu treffen, eine Ausweitung des Krieges? Man sollte die Möglichkeit irrationaler Reaktionen in Kriegen nie unterschätzen. Aber wenn Putin sich so verhält wie seit dem 24. Februar 2022 – extrem aggressiv, aber kalkulierbar –, dann wird der Krieg nicht aus dem Ruder laufen.

Bidens Kurskorrektur bewegt sich im Korridor seiner im Mai 2022 verfassten Ukraine-Doktrin. Die USA tun alles, um den Untergang der Ukraine zu verhindern, und unterlassen alles, was zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland führen wird.

Bidens Korrektur ist keine Brandbeschleunigung, sondern eher ein kalkuliertes taktisches Manöver. Es ist der Versuch, den Vormarsch russischer Truppen zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen – mit Blick auf das, was kommen kann. Trump wird vermutlich einen Tausch – Waffenstillstand gegen massive Gebietsabtretung der Ukraine an Putin – anstreben. Dieser Deal wird für die Ukraine umso schlimmer, je mehr sie bis dahin militärisch in die Defensive gerät.

Bidens Raketen-Entscheidung ist keine Eskalation, aber auch keine Wendemarke. Es ist unklar, über wie viele US-Raketen mit größerer Reichweite das ukrainische Militär überhaupt noch verfügt. Die bellizistisch aufgeladenen Game-Changer-Fantasien sind abgenutzt. Siege auf dem Schlachtfeld sind ebenso fern wie eine halbwegs akzeptable diplomatische Lösung.

Taktischer Rückzug der CDU

Deutschland bedeutet die neue US-Strategie nicht so viel, wie es auf den ersten Blick scheint. Alles ist ja vorläufig. Joe Biden ist Präsident auf Abruf, und ob Olaf Scholz im Frühjahr noch Kanzler ist, ist vorsichtig gesagt unsicher. Die üblichen Verdächtigen wie die FDP-Politikerin Marie Agnes Strack-Zimmermann fordern unverdrossen die Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern. Aber das ist Routine.

Für Scholz bietet Bidens Initiative eine Chance. Er kann sein Image als besonnener Friedenskanzler aufpolieren, nachdem es durch das fragwürdige Abnicken von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland Kratzer bekam. Immerhin redet er mit Putin – und war immer gegen die Lieferung von Taurus. Die Union hingegen ist mit viel rhetorischem Gebläse auf dem taktischen Rückzug. Friedrich Merz war mal mit Herzblut für die Taurus-Lieferung, fand die aber vor den Wahlen in Ostdeutschland dann doch nicht mehr so dringend.

40 Prozent der Unionswählerschaft sind generell gegen Waffenlieferungen an Kyjiw und nun wenig begeistert, wenn ausgerechnet mit dem unberechenbaren Trump 500 Kilometer reichende Waffen nach Kyjiw geliefert werden. Es wird interessant zu sehen, ob Friedrich Merz nun einen Weg zwischen rhetorischem Heldentum und Realpolitik findet.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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12 Kommentare

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  • Taurus: Bestand, Zertifizierung, Kontingent für die NATO, viele Fragen, auch einige Infos zu möglichen Antworten:



    www.mdr.de/nachric...ugkoerper-100.html



    /



    Offensichtlich geht in der Ukraine der Bestand an von Unterstützern gelieferten Marschflugkörpern erwartungsgemäß durch Verbrauch zur Neige. Was dorthin geliefert wird, ist hier dann auch nicht mehr verfügbar zur Verteidigung, darauf hatten Militär-Experten schon früher in Deutschland hingewiesen.

  • Bei diesem ganzen Gerede über Verhandlungen und so weiter, frage ich mich immer, ob die Politiker innen und Bürger innen wirklich so einfältig sind zu glauben, dass ein faschistischer Diktator, welcher die Wirtschaft seines Landes fast vollkommen auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, einfach so Schluss machen wird bei der Ukraine. Vor allem wenn er dann selbst befürchten muss aus dem Fenster zu fallen.



    Dass das Schicksal Europas Trump vollkommen egal ist, ist klar. Aber die Deutschen täten evtl. gut daran auf die Warnungen aus Osteuropa zu hören.

  • Taurus

    Kompatibilität ??



    Panavia PA-200 Tornado IDS, McDonnell Douglas EF-18A+ Hornet, McDonnell Douglas F-15K Slam Eagle, Saab JAS-39C Gripen, Eurofighter Typhoon EF-2000

    Deutschland



    600 Stück, davon im März 2024 etwa 300 Stück als „einsatzfähig“ bezeichnet

    Wir erinnern die geleakte Diskussion unserer Luftwaffen Offiziere über Zieldaten Verarbeitung/Erstellung durch die BW - alternativ den Hersteller - und Übermittelung in die Ukraine.

  • Biden hat eine gewisse Narrenfreiheit und könnte zu einer universalen Haltung durchdringen: Völkerrechtswidrige Besatzungen rückgängig machen: ob in Westsahara, Palästina oder der Ukraine.



    Auch wenn Trump alles wieder rückgängig macht, hat Biden den universalen Geist der USA dann zumindest kurz aufblitzen lassen.

  • Der Schutz durch die USA ist Geschichte, Trump würde keinen Finger rühren, um uns zu verteidigen. Wir sollten derart schutzlos sicher keine Beteiligung an einem Krieg gegen eine Atommacht eingehen. Merz Vorschläge diesbzgl. sind völlig verantwortungslos und gegen die Sicherheit der deutschen Bürger.

    • @drafi:

      Man kann es auch anders sehen: was soll schlau daran sein, wenn sich die Europäer Staat für Staat von den Russen abschlachten zu lassen, statt zusammenzustehen?

  • Die Realpolitik gibt Putin vor! Und Scholz verschließt davor die Augen. Er hätte einer neuen Groko eine Chance geben können, wenn er mit Merz eine begrenzte Tauruslieferung ausgehandelt hätte. Fazit: Auch Deutschland braucht Dealmaker. Die Augen verschließt Scholz, aber in den Ohren hat er ja wohl noch die mörderischen Drohungen, mit denen Putin ihn durchs rote Tefefon überhäuft hat. Merz sollte sich klarer positionieren und gemeinsam mit Scholz handeln. Deutschland muss als Verbündeter verlässlich bleiben. Vor allem Richtung Osten: Baltikum, Polen, Ukraine, alle haben hohe Erwartungen. Es ist Zeitenwende. Hat Scholz das schon vergessen?

  • "Ein Game Changer?"



    Ach was. Ein weiterer Trippelschritt mehr, um die Ukraine gerade so vor dem Untergang zu bewahren. Wie so viele.

  • Was könnte Putin tun? Die Waffen selbst sind relativ wenige, denn die Russen haben sicher 2-3 Tausend Marschflugkörper auf die Ukraine abgeschossen. Was machen da ein paar hundert auf Russland aus? Nicht so viel.



    Das gesagt: Russland könnte eine thermobarische Bombe werfen mit mehr Sprengkraft als die kleinsten Atomwaffen (de.wikipedia.org/w...Thermobare_Waffen). Das könnte ein Nachschubzentrum der Ukraine (Eisenbahnknoten) treffen. Er könnte auch Charkiw beanspruchen und den Krieg länger führen, bis er Charkiw hat. Es könnte den Huthis Anti-Schiff-Raketen liefern und so den Suez-Kanal faktisch abschneiden.



    Die Russen können reagieren, das vergessen wir immer.

    • @Kartöfellchen:

      Ja, die Russen könnten reagieren, wie mit dem Überfall auf die Ukraine. Worauf eigentlich?



      In Moldau und Georgien stehen russische Truppen und reagieren. Worauf eigentlich?



      Was, wenn Russland reagiert und das Baltikum überfällt? Oder Polen?



      Nun, die Polen und die Balten stellen sich schon mal darauf ein, rereagieren (kann man das so sagen?) zu können, wenn Russland reagiert.



      Mir fehlt der Glaube daran, dass Russland vor Lissabon halt macht. Je eher der russische Spuk aufhört, um so besser.

    • @Kartöfellchen:

      "Russland könnte eine thermobarische Bombe werfen mit mehr Sprengkraft als die kleinsten Atomwaffen (de.wikipedia.org/w...Thermobare_Waffen). Das könnte ein Nachschubzentrum der Ukraine (Eisenbahnknoten) treffen." Es überlebt kein russischer Pilot das überfliegen der ukrainischen Linien, die Luftabwehr ist zu stark, selbst Einsätze direkt an der Front wie sie von Su-25 geflogen werden sind mörderisch. Einen langsamen russischen Bomber in großer Höhe schafft es niemals bis zu einem strategischen Ziel.

      "Er könnte auch Charkiw beanspruchen und den Krieg länger führen, bis er Charkiw hat." Putin beansprucht, Kharkiv, Odessa und Kyiv bereits. Er beansprucht die gesamte Ukraine als Russisches Kernland, im russischen Fersnehen wird offen diskutiert wieviele Millionen Ukrainer man umbringen muss um sie zu Russen zu machen.



      x.com/StimmeUkrain...579807008060215296

      " Es könnte den Huthis Anti-Schiff-Raketen liefern und so den Suez-Kanal faktisch abschneiden. " Die USA haben eine Seeblockade gegen die Houthis verhängt, außerdem würde das China massiv anpissen.

      Was ist ihre Lösung, Osteuropa überreichen mit Schleifchen dran? Sehr deutsch...

    • @Kartöfellchen:

      "Er könnte auch Charkiw beanspruchen"

      Das tut er bereits.