WHO in der Kritik: Zu langsam, zu chinafreundlich
Kritik am Krisenmanagment: Eine Petition fordert den Rücktritt von WHO-Direktor Ghebreyesus, wegen seines laxen Umgangs mit China.
Am Mittwoch stufte WHO-Direktor Ghebreyesus in Genf den Corona-Virus „wegen seiner schnellen weltweiten Ausbreitung in den letzten zwei Wochen auf inzwischen 115 der 194 WHO-Mitgliedsstaaten“ als Pandemie ein.
Wenige Minuten nach dieser Erklärung verkündete in New York der chinesische UNO-Botschafter Zhong Jun in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Sicherheitsrates im Monat März, sein Land mache „enormen Fortschritt bei der Eindämmung des Virus“, und das Leben in China kehre „Schritt für Schritt wieder zur Normalität zurück“.
Der große Kontrast zwischen den beiden Auftritten beleuchtet schlaglichtartig das zentrale Dilemma, in dem sich die WHO beim Auftreten internationaler Gesundheitskrisen immer wieder befindet: die Organisation ist in ihrer Reaktions-und Handlungsfähigkeit völlig abhängig von verlässlichen und zeitnahen Informationen der 194 Mitgliedsstaaten.
Doch diese Voraussetzung hat ausgerechnet das Land mit den – bislang – mit großem Abstand meisten Infektions- und Todesfällen nicht erfüllt: China.
Lobende Worte für China
Bereits im November 2019 traten in der chinesischen Stadt Wuhan Fälle einer bis dahin unbekannten Lungenerkrankung auf. Doch erst am 31. Dezember meldete Peking diese Fälle an die WHO. Vor diesem Datum aber auch seitdem wurden chinesische Ärzte und Gesundheitsexpert*innen, die frühzeitig vor dem Virus gewarnt und die Vertuschungsmanöver der eigenen Regierung kritisiert hatten, mundtot gemacht.
Dennoch fand der WHO-Generaldirektor bei seiner ersten Pressekonferenz zum Thema am 23.1., nach seinem Pekinger Treffen am 28.1. mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und auch bei allen weiteren öffentlichen Erklärungen bis Anfang März stets nur lobende Worte für die Maßnahmen der chinesischen Führung zur Bekämpfung des Corona-Virus.
Und dies trotz WHO-interner Kritik. Unter anderen hatte der australische Professor John Mac Kenzie, Mitglied des Expertengremiums, das den WHO-Direktor in Sachen Corona-Virus berät, öffentlich die fragwürdige Informationspolitik und Vertuschungsmanöver der chinesischen Führung gerügt.
Auf Nachfragen zu Mac Kenzies Äußerungen erklärte Ghebreyesus auf seiner Pressekonferenz am Mittwoch: „Ich kann nicht sagen. ob China der WHO Informationen vorenthalten hat oder nicht.“
Unterschiedliche Erfassungen
Für die WHO kommt erschwerend hinzu, dass die Verfahren zum Testen sowie zur Einstufung und statistischen Erfassung von Infizierten und Erkrankten in den 194 Mitgliedsländern sehr unterschiedlich sind.
Zudem haben Mitte Februar nicht nur China, sondern zuvor auch Italien und andere Länder ihre Zählweisen geändert. Außerdem operieren Iran und andere Länder gegenüber der eigenen Bevölkerungen und in ihren Berichten an die WHO mit unterschiedlichen Zahlen und Informationen.
Empfohlener externer Inhalt
Der Umgang mit der Corona-Krise und das Verhalten der WHO spielen inzwischen zunehmend eine Rolle im Konflikt zwischen China und Taiwan.
Eine bereits am 31. Januar über die Webseite change.org lancierte Petition, die bis Donnerstag von fast einer halben Million Menschen unterschrieben wurde, fordert den WHO-Direktor zum „sofortigen Rücktritt“ auf, weil er durch eine falsche Informationspolitik und eine gegenüber Peking zu gutgläubige Haltung eine rechtzeitige Reaktion der WHO verschleppt habe und damit für den Tod vieler Menschen verantwortlich sei.
Streit zwischen China und Taiwan
Initiiert wurde die Petition von einem vorgeblich in Kanada lebenden Taiwanesen, der im Internet unter dem Namen Osuka Yip auftritt. Die Petition kritisiert zudem, dass Taiwan im Jahr 2016 auf Druck Pekings seinen Beobachter-Status bei der WHO verloren hat.
Die taiwanesische Zeitung „Taiwan News“ verbreitete, Chinas Botschaft in Genf habe bei mehreren von der WHO einberufenen Treffen der Mitgliedstaaten im Januar und Februar andere vom Corona-Virus betroffene Länder dazu gedrängt, keine Erklärung zur Ausrufung eines „internationalen Gesundheitsnotstandes“ zu unterstützen.
Ende Januar lud die taiwanesische Vertretung in Genf zehn Journalist*innen aus Europa und den USA – darunter den Autor dieses Artikels – zu einer kurzfristig anberaumten Reise nach Taiwan ein, um „zu demonstrieren, wie die Regierung in Taipeh die Herausforderung durch das Corona-Virus bewältigt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich