WDR und die Klimakrise: Ungewollt komisch
Der WDR startet einen Instagram-Kanal zum Thema Erderhitzung. Jetzt werfen Liberale und Konservative dem Sender Wahlkampfhilfe für die Grünen vor.
Nicht jeder beherrscht die Kunst, sich formvollendet ins eigene Knie zu schießen. Politiker von FDP und Union setzen in dieser seltenen Disziplin gerade Maßstäbe. Natürlich auf Twitter, dem sozialen Netzwerk, wo man permanent und in Echtzeit sehr vielen Leuten beim „sich selbst komplett unmöglich machen“ zusehen kann.
Was ist passiert? Der Westdeutsche Rundfunk hat einen neuen Instagram-Kanal mit dem Namen @klima.neutral gestartet. Vier junge JournalistInnen – Jule, Samira, Frederik und Tom – wollen dort einem eher jüngeren Publikum Wissenswertes zur Klimakrise nahebringen – „Einfach erklärt, aber vielfältig. Mit den Storys dahinter“, verspricht der WDR. Die Klimakrise ist ein menschheitsbedrohendes Problem, das Interesse bei jungen Leuten ist riesig – auch dank Fridays for Future. Warum sollten JournalistInnen das Thema nicht in sozialen Netzwerken thematisieren, handwerklich gut aufbereitet und professionell?
Nun, in der Gedankenwelt von manchen Liberalen und Konservativen geht das gar nicht. Für sie ist Berichterstattung über Klimaschutz automatisch Wahlkampfhilfe für die Grünen – und damit ein Skandal. FDP-Fraktionsvize Alexander Lambsdorff gab den Tenor vor. „Unglaublich“ nannte er das Vorhaben des WDR – und garnierte seinen Tweet mit einem Emoji, dem das Gehirn platzt. Sieben Monate vor der Bundestagswahl mache der WDR einen Kanal „als Wahlkampfhilfe für die Grünen“ auf.
Lambsdorff fragte, wo denn die Kanäle zur Wirtschaftskrise, zur Bildungskrise oder zur Digitalisierungskrise seien. „Oder, ganz crazy, wie wäre es einfach mit Journalismus, der sich in gebotener Distanz zu seinem Gegenstand kritisch mit diesem auseinandersetzt und nicht in Aktivismus umschlägt?“
Beliebtes Narrativ
Lambsdorffs Fazit: Wenn Jule, Tom, Samira und Fred kandidieren wollten bei der Wahl – „go for it, it’s a free country“. Die Argumentation wird nicht besser dadurch, dass sie von Großdenkern wie dem stellvertretenden CSU-Generalsekretär Florian Hahn und diversen Twitter-Trollen aufgenommen wurde. Lambsdorff unterstellt JournalistInnen, die er vermutlich nie getroffen hat, und einem Format, das gerade erst startet, Parteilichkeit und Aktivismus. So wiederholt er das bei Rechtsextremen beliebte Narrativ, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei eine linksgrün unterwanderte Propagandamaschine. Lambsdorff platziert diesen unreflektierten Quatsch mitten in der bürgerlichen Mitte.
Auch die seinen Tweets zugrunde liegende Idee, dass das Thema Klimaschutz die Grünen exklusiv beschäftige, ist an Schlichtheit nicht zu überbieten. Die Klimapolitiker der FDP werden sich bedanken, die von Union, SPD oder der Linken auch. Wenn ein Insta-Kanal zur Klimakrise Wahlkampfunterstützung für die Grünen ist – was ist dann „Börse vor acht“, der tägliche ARD-Börsenbericht?
Ungewollt komisch wird die Sache, weil Lambsdorff, eigentlich ein kluger Kopf, den Grünen mit seiner Unterstellung als einziger Partei Kompetenz für Klimaschutz zuschreibt. Wenn hier jemand Wahlkampfhilfe für die Ökopartei betreibt, ist es Lambsdorff selbst – nicht umsonst trendete das Thema schnell auf Twitter. So gesehen sind Lambsdorffs Tweets auch eine aussagekräftige Selbstcharakterisierung. Die Liberalen – oder zumindest weite Teile der Partei – haben bis heute nicht verstanden, welche Umwälzung durch die Klimakrise auf die Menschheit zukommt.
Angesichts der liberalen Realitätsverweigerung freuen wir uns schon auf die FDP-Attacken gegen Joe Biden, Bill Gates oder die UNO. Sie alle werben ja dafür, die Klimakatastrophe zu verhindern, oder um es mit den Worten der FDP zu sagen: Sie machen Grünen-Propaganda pur.
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